© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  13/12 23. März 2012

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Gauck und das „Glück der Befreiung“
Marcus Schmidt

Kurz bevor am vergangenen Sonntag die Bundesversammlung mit der Nationalhymne endete, konnte sich die Linkspartei noch einmal in ihrer Ablehnung Joachim Gaucks bestätigt fühlen. In seiner kurzen Antrittsrede nach seiner Wahl zum Bundespräsidenten, in der er voller Dankbarkeit auf das Ende des SED-Regimes und die ersten freien Wahlen in der DDR am 18. März 1990 zurückblickte („Was für ein schöner Sonntag“) und vom „Glück der Befreiung“ sprach sowie davon, daß „Millionen Ostdeutsche (...) nach 56jähriger Herrschaft von Diktatoren endlich Bürger sein durften“, versteinerten bei den zahlreichen früheren SED-Genossen und den vielen nachgeborenen Kadern der Linkspartei die Mienen. Mit einem eleganten Seitenhieb hatte Gauck die Linkspartei, die sich mit der Nominierung der selbsternannten „Nazi-Jägerin“ Beate Klarsfeld in ihren Augen die bessere, weil moralisch scheinbar hochwertigere Kandidatin ins Rennen um die deutsche Staatsspitze geschickt hatte, wieder an ihre Herkunft aus der Konkursmasse des SED-Regimes erinnert und sie in eine Linie mit der nationalsozialistischen Diktatur gestellt.

Mit Blick auf die der Linkspartei politisch entgegengesetzte Richtung konnten aufmerksame Beobachter zuvor von den Besuchertribünen aus schon lange vor der Eröffnung der Bundesversammlung das Rätsel lösen, wo denn nun die drei Wahlmänner der NPD Platz finden würden. Im Vorfeld hatten sich die anderen Parteien darin überboten zu begründen, warum die NPD-Vertreter auf keinen Fall in ihrer Nähe sitzen könnten (JF12/12). Die Bundestagsverwaltung fand schließlich am Rand des Plenarsaals, mit genügend Abstand zu den Plätzen der Grünen an eine Betonsäule gequetscht Platz für die drei Stühle. Diese gerieten zu Beginn kurz ins Zentrum des Interesses, als Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) über mehrere Anträge der NPD zur Geschäftsordnung abstimmen ließ, die indes allesamt mit 1.230 zu drei Stimmen abgewiesen wurden.

Nach der daran anschließenden routinierten Präsidentenkür war unter den 1.233 erschienenen Wahlleuten, darunter zahlreiche Altpolitiker wie Theo Waigel, Günther Beckstein (beide CSU) sowie Roland Koch und Dieter Althaus (beide CDU) sowie Prominente wie Fernsehmoderator Frank Elstner, Schauspielerin Senta Berger und Fußballehrer Otto Rehhagel, das Thema Präsidentenwahl schnell abgehakt. Unter der Kuppel des Reichstages rückten wieder die wirklich wichtigen Themen in den Mittelpunkt, etwa der drohende Untergang der FDP oder die auch für Bundeskanzlerin Angela Merkel richtungsweisende Neuwahl in Nordrhein-Westfalen. Unüberseh- und hörbar war dabei der wieder auf der großen politischen Bühne mitmischende frühere FDP-Generalsekretär Christian Lindner, der sich kurz zuvor zum Spitzenkandidaten in NRW ausgerufen hatte und sich nun am Buffet aufgeputscht über die Erfolgsaussichten seiner Partei an Rhein und Ruhr verbreitete.

Gauck war da, nachdem er sich in monarchischer Manier auf dem Balkon des Reichstages dem Volk gezeigt hatte, schon längst feiern gegangen.

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