© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  13/12 23. März 2012

Starke Nerven beim Sparpoker
Spanien: Die konservative Politikerin Sáenz de Santamaría gilt nicht ohne Grund als mächtigste Frau des Landes
Michael Ludwig

Sie ist nur einen Meter fünfzig groß, aber was ihre politische Statur anbelangt, so stellt sie ihre männlichen Kabinettskollegen mit Leichtigkeit in den Schatten. Und Statur braucht man zur Zeit. Vor allem im Kräftemessen mit den Gewerkschaften, die seit langem gegen die Arbeitsmarktreform Sturm laufen, die die konservativ-liberale Regierung Mariano Rajoy in den ersten Monaten ihrer Amtszeit durchgeboxt hat.

Die Rede ist von Soraya Sáenz de Santamaría, der Frau mit den dichten kastanienbraunen Haaren und den dunklen Kulleraugen, die leicht darüber hinwegtäuschen können, daß sich hinter diesem fotogenen Äußeren eine knallharte stellvertretende Regierungschefin verbirgt. Für viele gilt sie als die mächtigste Frau Spaniens.

Kühl, sachlich und zugleich versöhnlich

Es ist nicht leicht, den Charakter der 40jährigen Politikerin mit dem klangvollen Namen zu beschreiben. Sicher ist, daß sie über eine Fähigkeit verfügt, die in der Arena des Öffentlichen unbezahlbar ist, nämlich Schlagfertigkeit. Als kürzlich die sozialistische Opposition im Madrider Parlament die von der konservativen Regierung verabschiedete Arbeitsmarktreform als „brutal“ und „eine Barbarei“ geißelte, antwortete Sáenz de Santamaría kühl und sachlich, daß die Gewerkschaften jedes Recht zu einem Generalstreik, zu dem sie am 29. März aufrufen, hätten, aber dadurch in Spaniens finsterster Krise kein einziger zusätzlicher Arbeitsplatz geschaffen würde.

Das ist eine Seite ihres Wesens. Die andere ist versöhnlicher. In einem Interview erklärte sie: „Selbstkritik ist nötig, wenn wir uns irren, und es wird viele Irrtümer geben. Dann ist es besser, wir nehmen sie so schnell wie möglich zurück. Wir mögen unsere guten Gründe haben, aber auch die anderen haben gute Gründe. Aus dem Abwägen des Für und Wider ergeben sich immer die besten Lösungen.“ Das sind erstaunliche Sätze in einem Land, in dem die beiden großen Parteien Spaniens, die konservativ-liberale Partido Popular (PP) und die Sozialistische Arbeiterpartei (PSOE), einander noch immer meist unversöhnlich gegenüberstehen; hinzu kommt ein Volkscharakter, der es vielen Spaniern schwermacht, einzusehen, einmal nicht recht zu haben.

Neben der Fähigkeit, nach Bedarf hart oder flexibel zu sein, zeichnet Soraya Sáenz de Santamaría noch eine Reihe weiterer Vorzüge aus. Ihre Freunde schildern sie als ausgesprochen fleißig, diszipliniert, ehrgeizig und mit einem Gedächtnis ausgestattet, das einem Computer gleichkommt. Nach dem Abitur studierte sie in der zentralspanischen Stadt Valladolid Jura und legte als Jahrgangsbeste das Staatsexamen ab. Anschließend arbeitete sie als Staatsanwältin in León.

Zur Politik kam sie eher zufällig. Als der heutige Regierungschef Mariano Rajoy im Jahr 2000 eine Rechtsberaterin suchte – er war damals Vizepremier unter José María Aznar – meldete sie sich. Es war wohl nicht politische Überzeugung und der Wille, sie öffentlich zu vertreten, als vielmehr der Wunsch, aus den engen Grenzen ihres provinziellen Daseins auszubrechen, der sie zu diesem Schritt veranlaßte. „Sie hat bei der PP angeheuert wie andere Leute bei IBM“, schrieb der Journalist Antonio Jiménez Barca in der angesehenen Tageszeitung El Pais.

Spanien muß zusätzlich 20 Milliarden Euro sparen

Von nun an ging’s bergauf. 2004 schaffte sie für die Konservativen den Sprung ins Parlament, vier Jahre später wurde sie als erste Frau Sprecherin der PP. In diesen Jahren verfestigte sich ihr Verhältnis zu Rajoy zusehends. Er konnte sich vorbehaltlos auf sie verlassen. Als der bärtige Mann aus dem nordspanischen Galizien 2008 zum zweiten Mal als Präsidentschaftskandidat scheiterte, wetzten Altkonservative in der Partei ihre Messer, um ihn politisch zu schlachten. Zu den Getreuen, die hinter Rajoy standen und damit eine erfolgreiche Revolte verhinderten, gehörte auch Soraya Sáenz de Santamaría. Er dankte es ihr nach seinem Wahlsieg im November vergangenen Jahres – sie bekleidet nun das Amt der stellvertretenden Ministerpräsidentin, Regierungssprecherin und Präsidialamtsministerin – in Deutschland wäre sie damit Ministerin des Bundeskanzleramtes. Außerdem übertrug ihr Rajoy die Aufsicht über den spanischen Geheimdienst.

Vor allem als Regierungssprecherin fällt ihr eine wichtige Aufgabe zu. Ihr obliegt es, die Reformpolitik dem Volk zu vermitteln. Angesichts der derzeitigen desolaten wirtschaftlichen Lage ist das wahrlich kein Honigschlecken. Denn es vergeht kaum eine Woche, in der nicht über neue Einschnitte ins soziale Netz diskutiert wird. Das Land muß in diesem Jahr zusätzlich zwanzig Milliarden Euro sparen, um die neu ausgehandelten Verschuldungskriterien der EU zu erfüllen. Die öffentlichen Investitionen werden um vierzig Prozent sinken, die Zahl der Arbeitslosen um weitere 600.000 auf insgesamt sechs Millionen wachsen, dann wären über 25 Prozent aller Spanier im erwerbsfähigen Alter ohne Lohn und Brot. Der erhoffte Silberstreif am Horizont der Ökonomie ist noch immer nicht in Sicht. Im Gegenteil. Wissenschaftler gehen davon aus, daß in diesem Jahr die Wirtschaftsleistung um 1,7 Prozent sinken wird.

Solche Zahlen in der Öffentlichkeit zu vertreten, dazu gehören wahrlich starke Nerven – und niemand zweifelt daran, daß Sáenz de Santamaría sie hat. Dies beweist sie auch in ihrem Privatleben. Obwohl der kirchliche Einfluß in der PP noch immer stark ist, hat sie nicht kirchlich, sondern lediglich standesamtlich im fernen Brasilien geheiratet; als sie vereidigt wurde, schwor sie nicht auf die Bibel, sondern auf die Verfassung. Wer sich so von konservativen Gepflogenheiten verabschiedet, muß sehr von sich überzeugt sein und darauf hoffen, daß ihn der Zeitgeist auch weiterhin nach vorne trägt.

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