© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  13/12 23. März 2012

Eine nationale Tragödie
Ägypten: Nach dem Tod ihres Oberhauptes droht den Kopten ein Machtvakuum
Marc Zöllner

Sie kamen, um ihrem Papst noch einmal das letzte Geleit zu erweisen. Zehntausende Ägypter, Christen wie Muslime, strömten dieser Tage auf den Platz vor der Markuskathedrale, dem zentralen Heiligtum der Koptischen Kirche Ägyptens. Dort wollten sie ein letztes Mal noch vor dem Mar Marqos, dem Thron des Heiligen Markus, knien und dem prunkvoll aufgebahrten Leichnam Shenoudas III. die Hand küssen.

Hunderte Kreuze zierten die Prozession, in frommer Trauer versunkene Frauen füllten die Ränge der Basilika im Herzen des sonst von christlich-orthodoxer Fröhlichkeit geprägten Stadtteils Abbasia. Drei Menschen wurden im Gedränge zu Tode gequetscht, über 50 Trauernde zum Teil schwer verletzt. Mit Papst Shenouda III., dem Oberhaupt der Koptischen Kirche, verstarb eine markante Persönlichkeit: ein studierter Historiker und Archäologe, ein Politiker und Offizier, ein Journalist und Autor von über hundert Sachbüchern. Vom damaligen Präsidenten Anwar al-Sadat aufgrund seiner Kritik sowohl an der zunehmenden Islamisierung Ägyptens als auch der Aussöhnung Kairos mit Israel über Jahre hinweg in einem Wüstenkloster unter Hausarrest gestellt, erwuchs er schnell zum Befürworter von dessen Nachfolger Husni Mubarak.

Mit dem Tod ihres Oberhauptes sehen sich die ägyptischen Kopten einer ungewissen Zukunft gegenüber. Erneut ergreift eine Welle der religiösen Radikalisierung das Land, bei den jüngsten Parlamentswahlen im Dezember errangen allein die islamistisch geprägten Parteien mehr als drei Viertel der Stimmen.

Insbesondere die künftigen Beziehungen zur FJP, dem politischen Arm der Muslimbrüder, zieht nun tiefe Risse durch die koptische Gemeinde. So kam es bereits während einer Versammlung der koptischen Bischöfe Mitte März beinahe zum kircheninternen Eklat, als zehn der 22 anwesenden Teilnehmer sich weigerten, den von den Kopten favorisierten Kandidaten für die Präsidentschaftswahlen im Mai, Abdel Moneim Abouel Fotouh, zu unterstützen. Ihre Begründung: Ein ehemaliger Moslembruder sei für Christen absolut nicht akzeptabel.

Der Tod des oftmals mäßigenden Shenouda III. hinterließ in der koptischen Gemeinde ein Machtvakuum, welches nun vor allem die Hardliner in den Rängen der Kirche zu füllen versuchen. Und ein mäßigender, von sämtlichen Parteien respektierter Nachfolger scheint derzeit noch nicht in Sicht.

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