© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  13/12 23. März 2012

Mütter als Lückenbüßer im Visier
Arbeitsmarkt: Arbeitgeber und Politik setzen zunehmend auf das volle Erwerbspotential von Frauen – das Erfolgsmodell Teilzeitarbeit gerät dabei ins Hintertreffen
Curd-Torsten Weick

Frauen an die Arbeit. Nicht nur die IG-Metall fordert angesichts des demographischen Wandels und des damit beschworenen drohenden Fachkräftemangels seit langem mehr Frauen in einer Vollzeiterwerbstätigkeit. Dies ist auch das erklärte Ziel der Bundesregierung. „Frauen stellen das größte und am schnellsten zu aktivierende Erwerbspersonenpotential“ ließ sie in einer öffentlich wenig beachteten Stellungnahme verlauten. „Vorsichtige Schätzungen“ einer Umfrage, so die Antwort der Bundesregierung (Drucksache 17/8372; 18. Januar 2012) auf eine Anfrage der SPD, hätten gerade bei Müttern mit Kindern bis 16 Jahre das „rechnerische Potential“ auf rund 1,2 Millionen zusätzliche Vollzeitäquivalente taxiert. Allerdings nur unter der Bedingung, daß die Mütter eine abgeschlossene Berufs- oder Hochschulausbildung haben und ihre „Erwerbswünsche aufgrund ausreichender Betreuungsangebote und familienfreundlicher Arbeitsbedingungen auch realisieren“ könnten.

Starkes Ost-West-Gefälle bei der Teilzeitquote

Keine Frage, die „Ausschöpfung der Erwerbspotentiale von Frauen“, so auch die Wortwahl der Bundesvereinigung deutscher Arbeitgeber (BDA), gilt als wirtschaftlich ebenso notwendig wie politisch und sozial fortschrittlich. Doch im Kontrast dazu stehen die nüchternen Zahlen der Arbeitsmarktstatistik. Berechnungen des Instituts für Demographie, Allgemeinwohl und Familie (i-DAF) zufolge ist das Volumen der Erwerbsarbeit in Deutschland in den letzten beiden Dekaden um drei Milliarden Stunden gesunken. Dies entspricht etwa einer Million Vollzeitarbeitsplätze. Darüber hinaus wurden Vollzeitstellen in den letzten Jahren zunehmend durch Teilzeitstellen ersetzt.

Entsprechend ist die Zahl der Vollzeiterwerbstätigen zwischen 1993 (27,8 Millionen) und 2010 (25,3 Millionen) um mehr als zweieinhalb Millionen gesunken. Dieser Schwund betraf besonders die Männer (von 18,4 auf 16,4 Millionen), aber auch die Zahl der vollzeitbeschäftigten Frauen ist von 9,4 Millionen auf 8,9 Millionen gesunken. Der gleichzeitige Anstieg der Frauenerwerbsquote beruhte ausschließlich auf Teilzeitstellen, deren Zahl zwischen 1993 und 2010 von fünf auf knapp sieben Millionen zugenommen hat.

Fast jede zweite erwerbstätige Frau ist in Deutschland inzwischen in Teilzeit beschäftigt. Als Hauptgrund für ihre Teilzeittätigkeit, so das Statistische Bundesamt (destatis), nannte jede zweite Frau (51,3 Prozent) die Betreuung von Kindern beziehungsweise von Pflegebedürftigen. Dagegen arbeiteten 18,9 Prozent verkürzt, da sie keinen Vollzeitarbeitsplatz finden konnten.

Mit der Quote von 45,6 liegt Deutschland im Vergleich zu anderen europäischen Ländern an der Spitze. Höher ist die Teilzeitquote nur in der Schweiz (57,2 Prozent) und in den Niederlanden (74,7 Prozent). Auch in den Niederlanden ist laut destatis die Betreuung der Familie der wichtigste Grund für weibliche Teilzeitarbeit. Der Anteil der Frauen, die jedoch „unfreiwillig“ Teilzeit arbeiteten, da sie keine Vollzeitstelle finden konnten, lag mit 5,5 Prozent aber deutlich niedriger als in Deutschland.

Auffällig ist dabei, daß es hinsichtlich der weiblichen Teilzeitarbeit ein offensichtliches West-Ost-Gefälle gibt. Während die Quote in den Ländern Westeuropas zwischen 30 und 40 Prozent schwankt, liegt sie in den Staaten des früheren Ostblocks weit darunter. Entsprechend findet man die geringsten Teilzeitquoten unter erwerbstätigen Frauen in Bulgarien (2,4 Prozent), der Slowakei (5,1 Prozent) und in Ungarn (7,6 Prozent). Parallel dazu ist dieses Gefälle ebenso zwischen den alten und neuen Bundesländern zu finden. Liegt die Teilzeitquote im früheren Bundesgebiet bei durchschnittlich 49 Prozent, verzeichnen die neuen Länder (einschließlich Berlins) lediglich eine Quote von 34 Prozent. Brandenburg mit seinen 31,5 Prozent liegt demnach deutlich hinter Bremen, dem Saarland und Schleswig-Holstein mit je 51 Prozent.

Der Grund für diese gravierenden Unterschiede mag einerseits sein, daß die Teilzeitarbeit von Müttern zu DDR-Zeiten unerwünscht war – sich folglich „unterschiedliche Muster familiärer Arbeitsteilung“ (Gender Datenreport des Bundesfamilienministereriums) entwickelten. Andererseits gibt es in Mitteldeutschland einen geringeren Anteil von Klein- und Mittelbetrieben, die Teilzeitarbeit nutzen. Demgegenüber sorgen im Westen Deutschlands persönliche und familiäre Verpflichtungen für die Nachfrage nach Teilzeitjobs.

Diese Nachfrage wird nach Einschätzung des am 14. März von Bundesfamilienministerin Kristina Schröder (CDU) veröffentlichten Achten Familienbericht „Zeit für Familie“ – trotz der virulenten Probleme bei der finanziellen Absicherung und der sich daraus entwickelnden Altersarmut – sogar noch zunehmen. Wurde bisher, so der Bericht, das Thema Vereinbarkeit von Familie und Beruf „hauptsächlich unter dem Aspekt der Kindererziehung diskutiert“ wird vor dem „Hintergrund der steigenden Lebenserwartung und des demographischen Wandels zunehmend die „Pflege hilfsbedürftiger Angehöriger ins Blickfeld der Vereinbarkeitsproblematik“ geraten. Im Jahr 2050 werden dann „voraussichtlich fast doppelt so viel Menschen dauerhaft auf Hilfe angewiesen sein wie heute“.

Viele Klagen über Fachkräftemangel überzogen

Vor diesem Hintergrund scheint es wenig durchdacht, das Politik und Arbeitgeber das Rad der Geschichte zurückdrehen wollen und auf die Reduzierung der Teilzeit drängen. Dennoch sieht die Bundesregierung angesichts des vielfach beschworenen künftigen Fachkräftemangels in Frauen und Müttern das „größte und am schnellsten zu aktivierende Erwerbspersonenpotenzial“. Um diese stärker in den Arbeitsmarkt integrieren zu können, so die Anfangs erwähnte Antwort auf die SPD-Anfrage, sei es nun dringlich die „rechtlichen und institutionellen Rahmenbedingungen für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf und die Unterstützung beim beruflichen Wiedereinstieg zu verbessern“.

Mit Stolz wird dabei darauf verwiesen, daß die Bundesregierung in den letzten Jahren „große Anstrengungen unternommen“ habe, um die Wahlfreiheit zu verbessern und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf voranzutreiben“. Dabei untertreicht sie insbesondere auf die finanzielle Beteiligung am Ausbau der Kindertagesbetreuung für die unter Dreijährigen (Zielsetzung: 750.000 Betreuungsplätze bis 2013), auf die Einführung eines Rechtsanspruchs auf einen Kitaplatz für Kinder unter drei Jahren, auf das geplante Betreuungsgeld ab 2013, auf Ganztagsschulprogramme oder die Einführung des Elterngeldes mit den Partnermonaten.

Dessen ungeachtet hat nun das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) die vielfachen „Klagen“ über einen künftigen Fachkräftemangel als „überzogen“ bezeichnet. „Diese Befürchtung kann ich nicht nachvollziehen“, erklärte DIW-Arbeitsmarktexperte Karl Brenke unter Hinweis auf Warnungen des Vereins Deutscher Ingenieure (VDI). Ergebnisse einer aktuellen DIW-Studie, so Brenke weiter, wichen stark von den Angaben des VDI, die einen Mangel an Ingenieuren prophezeien, ab. Entsprechend plädiert der Arbeitsmarktexperte für eine „realistischere“ Betrachtung des Ingenieurbedarfs im laufenden Jahrzehnt: „Der gegenwärtige Run auf ingenieurwissenschaftliche Studienplätze“ lasse „eher ein Überangebot an solchen Fachkräften erwarten“.

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