© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  13/12 23. März 2012

Es muß sich rechnen
Reizwort Kulturinfarkt: Kulturfunktionäre fordern die Halbierung aller Kultursubventionen
Heino Bosselmann

Einer reizüberflutet-nervösen Medienöffentlichkeit, der für differenzierte Urteile Zeit und Nachdenklichkeit fehlen, ist am gefälligsten mit provokanten Thesen gedient, die schnell gehört werden und echauffierte Polarisierung herausfordern. Nur was sich Allgemeingeschmack und Pauschalkenntnis andient und für kurzweilige Aufregung sorgt, kann Bestseller und Talkshowthema werden.

Man ist markige Titel aus Marketinggründen gewohnt. Die bei Knaus ebenfalls erschienenen Bücher „Vergeßt Ausschwitz“ und „Die deutsche Seele“ zielen ähnlich auf Wirkung. Nur wird damit sogleich eine suggestive Zuschreibung verbunden. Ein ganzes Quartett von Autoren läßt jetzt zudem starke Positionen vermuten: „Deutschlands Kulturpolitik steht vor dem Infarkt. Von allem gibt es zuviel und nahezu überall das Gleiche.“ Das verstehen alle! Aus dem Stegreif hat jeder eine Meinung dazu. Deshalb greift gleich vorabdruckend der Spiegel zu. Es wird flott vorgerechnet, wofür die öffentliche Hand Milliarden ausgibt, für all die Museen, Bibliotheken, Theater, Orchester und Volkshochschulen. Statistik beeindruckt immer, denn heutzutage muß ja jeder rechnen, gerade jene, die eher den Mega-Flachbildschirm für ihren intellektuellen Stoffwechsel nutzen als die Hochkultur. Prompt fällt das Signalwort, das seit Lehman Brothers bedrohlich über allem wölkt: „Das System steht vor dem finanziellen Zusammenbruch.“ Aha, die Kultur also auch! Klar, geht ihr nicht anders als der Bundeswehr, den Rentenkassen und dem Gesundheitswesen. Also wird folgerichtig wie allüberall gefordert: „Drastische Einschnitte!“ Gleich fünfzig Prozent „vom Paradox des subventionierten Kulturbetriebes“ streichen, alles zurückschneiden, damit besser das wächst, was sich wirklich lohnt!

Sogleich beginnen rhetorische Materialschlachten anläßlich eines Buches, dessen Autoren jetzt lässig reagieren: Aber das war doch nur ein Gedankenexperiment, um endlich eine überfällige Diskussion anzufeuern! Man hört die gängigste deutsche Floskel durchklingen: Das wird man ja wohl noch sagen dürfen!

Sicher, man wird sagen dürfen, daß das System der Kulturförderung – wie allerdings alle öffentlichen Investitionen! – einer strengen Revision bedarf. Jeder aufmerksame Kulturbürger kann Einrichtungen herzählen, die katastrophal wirtschaften; und weshalb sollten drei Berliner Opern, zweifellos elitäre Institutionen, pauschal Millionen überwiesen bekommen, wenn für Studierende dreistellige Gebühren anstehen. Nur ist das ein ziemlich alter Hut, nämlich die Strichcode-Logik der Betriebswirtschaftslehre, alles wäre Markt, alles Ware; und was noch nicht in kommerziellen Verwertungskreisläufen steckt, müßte schleunigst hinein. Krankenhäuser, Post und Bahn – mittlerweile profitträchtige Firmen, ökonomisch so beschleunigt wie alltagskulturell verarmt. Kein Totschlagargument darf auf solche Zustimmung hoffen wie die von den Yuppies aufpolierte Buchhalterweisheit: Es muß sich aber bitte rechnen! Die ostdeutsche Kulturlandschaft ist mit Abbau und Fusionen von Orchestern und Spielstätten bereits verschlankt und wird, Beispiel Schweriner Staatstheater, weiter heruntergehungert. Die Grunderfahrung dabei: Obwohl die Etats auch dadurch nicht zu retten sind, bleibt einmal zu ihren Gunsten Abgeschafftes unwiederbringlich verloren, während andere, größere Haushaltsposten als sakrosankt gelten.

Seinen besonderen kulturellen Reichtum verdankt Deutschland der Vormoderne. Die Vielzahl der Residenzen bedingte nicht nur die Vielfalt der Schlösser und Parks, sondern damit der Theater, Orchester und Bibliotheken, gegründet von einer standesbewußten Aristokratie, später gepflegt vom Selbstbewußtsein des aufstrebenden Bürgertums mit seinen hohen Bildungsansprüchen, die mittlerweile ebenso verschwunden scheinen wie Barock und Rokoko. Vielfalt, Eigenwilligkeit und Regionalität, vor allem aber ästhetisches Anspruchsdenken widerstreben dem Normierungsbedürfnis des Marktes. Geist und Kunst sind dem Geldwert nicht immer proportional und mit der Excel-Rechnerei schwer kompatibel. Die deutschen Universitäten haben bereits Reformkampagnen hinter sich, die man der Kultur nicht wünscht. Das moderne Wissenschaftsmarketing ließe keinen Kant mehr zu. Statt laufend zu publizieren, dachte der nach; Drittmittel hätte er nicht erhalten. Wo sollte es zu Hause sein, das Bewußtsein der Nation?

Wenn grandiose Lexika wie die legendäre „Encyclopaedia Britannica“ aussterben, weil man alles im Internet anklicken kann, wenn Bücher „downgeloadet“ werden können und Mozart mit steril reinem Klang von der CD läuft, dann wirken altehrwürdige Institutionen wie Theater, Konzertsäle und Bibliotheken antiquiert und sollten bitte nicht noch Finanzmittel für ihre Erhaltung beanspruchen. „Lichtspieltheater“ sind doch auch längst Multiplex-Kinos gewichen. Wenn Adorno bereits gegenüber der Schallplatte den Vorwurf des Auraverlusts erhob, so wäre der Begriff der Aura heute den Controllern gänzlich unbekannt.

Die Autoren, drei hochbesoldete und beamtete Kulturmanager und ein Stiftungsdirektor, Leute, denen das Feuilleton bisher keine Zeile von Belang verdankt, wollen dem „Fetisch Kulturstaat“ den Garaus machen. Nach ihrer Rebellion der Durchrechnerei folgt aber die argumentative Öde: Man möchte die „Laienkultur“ fördern, man will „eine global ausgerichtete Kulturindustrie anschieben“, selbstverständlich „interkulturell“. Hier ist genau das Gedöns versammelt, das den Unterschied macht zwischen Künstler und Funktionär und zwischen Kunst und Kultur.

Oswald Spengler fällt einem ein, sein bitterer Satz gegenüber der Moderne: „Man könnte heute alle Kunstanstalten schließen, ohne daß die Kunst davon berührt würde. (…) Modernität hält Abwechslung für Entwicklung.“ Das ist ebenfalls radikal formuliert und des Nachdenkens wert, aber der Ansatz ist ein prinzipiell anderer als im künftigen Spiegel-Bestseller. Spengler argumentiert qualitativ, während die Pamphletisten quantifizieren und rechnen, etwas, was Zeiten hoher Inspiration von jenen bloßer Verwaltung unterscheidet.

Dieter Haselbach, Pius Knüsel, Armin Klein, Stephan Opitz: Der Kulturinfarkt. Von allem zu viel und überall das Gleiche, Knaus, München 2012, gebunden, 287 Seiten, 19,99 Euro

Foto: Zuschauerraum der Komischen Oper Berlin: Weshalb sollten zweifellos elitäre Institutionen pauschal Millionen überwiesen bekommen?

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