© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  13/12 23. März 2012

Der Raketen-Mann
Vor hundert Jahren wurde der deutsche Weltraumpionier Wernher von Braun geboren / Karriere in den USA
Michael Manns

Es ist Montag, der 21. Juli 1969: Neil Armstrong steigt von der letzten Stufe der Leiter des Landemoduls „Eagle“ der „Apollo 11“ und setzt seinen linken Fuß auf die Mondoberfläche. Dann spricht er als erster Mensch, der einen fremden Himmelskörper betritt, den Satz für die Geschichtsbücher: „That’s one small step for man – one giant leap for mankind.“ Mit der Mondlandung war ein Menschheitstraum in Erfüllung gegangen.

Genau 42 Jahre später ging auf der Landebahn 15 des Kennedy Space Center auf Merritt Island in Florida eine der erfolgreichsten Technikepochen der Menschheitsgeschichte zu Ende. Mit der Landung der letzten US-Raumfähre „Atlantis“ verabschiedeten sich die USA vorerst aus der bemannten Raumfahrt. Ein Großteil der hochqualifizierten Spezialisten in Cape Canaveral wurde entlassen, denn im kommenden Finanzjahr wird der Etat der US-Weltraumbehörde Nasa auf 17,7 Milliarden US-Dollar zusammengestrichen. In den nächsten Jahren müssen US-Astronauten mit Hilfe des einstigen Angstgegners zur internationalen Raumstation ISS fliegen. „Erst 2017 werden wir die Möglichkeit haben, eine ISS-Besatzung ohne Rußlands Hilfe ins All zu schicken“, erklärte Nasa-Chef Charles Bolden kürzlich vor dem US-Kongreß. Bis dahin müsse man für die russische Transportleistung 450 Millionen US-Dollar jährlich zahlen.

Als der US-Neubürger Wernher von Braun 1960 zum Direktor des Marshall Space Flight Center in Alabama ernannt wurde, gab es in den USA noch keine Geldsorgen. Und für die Raumfahrtträume standen faktisch fast unbegrenzte Mittel bereit. Und wohl der entscheidendste Ingenieur, der John F. Kennedys Visionen in die Praxis umsetzte, war der am 23. März 1912 in Wirsitz/Provinz Posen geborene Wernher von Braun. Raketen und Weltall faszinierten den späteren Nasa-Vize schon als Kind. Seine Mutter schenkte ihm zur Konfirmation ein Fernrohr. Passanten schreckte er mit Märklinautos auf, die er mit Feuerwerksraketen über das Trottoir jagte.

Auf dem Schießplatz in Berlin-Reinickendorf bastelte er zusammen mit dem deutschen Raketenpionier Rudolf Nebel an mannshohen Objekten herum – obwohl er wegen schlechter Mathenoten in der Schule einmal sitzengeblieben war. Von Braun wurde Diplom-Ingenieur und promovierte über das Thema „Konstruktive, theoretische und experimentelle Beiträge zu dem Problem der Flüssigkeitsrakete“. Mittlerweile war das Militär auf ihn aufmerksam geworden. 1937 stieg er zum technischen Direktor der neuen Heeresversuchsanstalt (HVA) in Peenemünde/Usedom auf.

1942 überschritt ein Raketenprototyp erstmals eine Gipfelhöhe von mehr als 80 Kilometern, 1945 wurden sogar 200 erreicht. Das „Aggregat 4“ (auch „Vergeltungswaffe“/V2 genannt) war damit das erste von Menschenhand geschaffene Objekt im Weltraum. Im Frühjahr 1944 wurde von Braun dennoch von der Gestapo verhaftet. Obwohl seit 1938 NSDAP-Mitglied und seit 1940 auch SS-Angehöriger, wurden ihm unter anderem Wehrkraftzersetzung und kommunistische Gesinnung vorgeworfen. Wegen seiner kriegswichtigen Bedeutung kam er aber wieder frei und zur HVA zurück, um die V2-Produktion (bei der auch Zwangsarbeiter und KZ-Häftlinge eingesetzt wurden) aufrechtzuerhalten.

Brauns „Saturn V“ brachte 140 Tonnen Nutzlast ins All

Im April 1945 näherte sich die Rote Armee Peenemünde, doch von Braun konnte sich mit seinen Mitarbeitern nach Oberbayern absetzen. Dort nahm er Kontakt zu US-Truppen auf und wurde im Frühjahr 1946 in die USA gebracht. Die Amerikaner wußten, welche Perle sie geschnappt hatten. Doch die Karriere im Land der unbegrenzten Möglichkeiten kam langsam in Fahrt. Zunächst wurde er technischer Berater des US-Raketenprogramms. Ab 1950 arbeitete er in Huntsville als Leiter der Redstone-Entwicklung, einer atomaren Kurzstreckenrakete der U.S. Army.

Doch es waren zwei Raumfahrt-Traumata die von Braun, den großen Techniker, Pionier und Visionär zum Weltstar machten: Es war der 4. Oktober 1957, als die Sowjets den „Sputnik 1“ in den Weltraum geschossen hatten. Die Amerikaner waren wie gelähmt. Sie fühlten sich besiegt. Sie konterten mit einem Experiment der US-Marine, praktisch die starke Konkurrenz zu Brauns Team. Doch acht der elf „Vanguard“-Starts (1957 bis 1959) scheiterten. Dann kam die Stunde Wernher von Brauns. Am 31. Januar 1958 wurde „Explorer 1“, der erste US-Satellit, ins All geschossen. Von Braun wurde zu einem Helden – und es begann das große Wettrennen zwischen den USA und der Sowjetunion.

Dann der nächste Schlag für die USA: Am 12. April 1961 schickte die UdSSR den ersten Menschen ins All. Mit „Wostok I“ kreiste der Russe Juri Gagarin 108 Minuten lang um den Erdball. Für die USA wieder ein Trauma wie Pearl Harbor. Es wurde das Apollo-Projekt geboren. Kennedy hielt seine berühmte Rede: „Nun, der Weltraum ist da. Wir wollen ihn bezwingen. Und auch der Mond und die Sterne sind da.“ Zu Apollo gehört eine neue, leistungsfähige Rakete: die Saturn V, Brauns Baby. Sie wird zum Schluß 140 Tonnen Nutzlast befördern – und drei Männer zum Mond.

Von 1970 bis 1972 war von Braun sogar Nasa-Vizechef und setzte sich für eine Fortführung der Projekte ein, darunter auch für eine bemannte Mars-Mission – sie wurde erst kürzlich wohl endgültig gestoppt (JF 7/12). Enttäuscht von den damals vietnamkriegsbedingten starken Budgetkürzungen verließ von Braun 1972 die Nasa und wurde Vizepräsident des Luft- und Raumfahrtkonzerns Fairchild. Nur fünf Jahre später, am 16. Juni 1977, starb er an Nierenkrebs. Auf dem Grabstein stehen der Name, das Geburts- und das Todesjahr sowie aus der Bibel (Psalm 19) die Worte: „Die Himmel erzählen von der Herrlichkeit Gottes; und die Ausdehnung verkündet seiner Hände Werk“.

 

Kontroverse um von Brauns NS-Zeit

Tausende von deutschen Experten wurden 1945/46 von den Siegermächten verhaftet und in die USA oder die Sowjetunion gebracht. Ihr Fachwissen war unverzichtbar, ihre häufige NS-Verstrickung war detailliert bekannt. Um im Kalten Krieg nicht ins Hintertreffen zu geraten, wurden belastende Dokumente von den Geheimdiensten beiseite geschafft – auch solche über Wernher von Braun („Operation Paperclip“), wie ein Bericht des Office of Special Investigations (OSI) des US-Justizministeriums dokumentiert. Von Braun wurde gebraucht – für die militärische wie die zivile Raumfahrt. Von Deutschen und Amerikanern wurde der Technikpionier dafür jahrzehntelang verehrt. Seit den neunziger Jahren kam von Brauns NS-Zeit dann stärker in die Debatte, sogar die zwei nach ihm benannten Schulen (in Neuhof/Hessen und Friedberg/Bayern) sollten umbenannt werden. In der Ausstellung im Kennedy Space Center/Florida werden von Brauns Leistungen inzwischen fast verschwiegen. Anders im Space & Rocket Center/Alabama: Dort läuft derzeit die Ausstellung „100 Years of Von Braun – His American Journey“.

Historisch-Technisches Museum Peenemünde: www.peenemuende.de

Bis Mai läuft im U.S. Space & Rocket Center in Huntsville/Alabama noch die Ausstellung „100 Years of Von Braun – His American Journey“: www.ussrc.com/mu/travexh

Foto: Wernher von Braun (2.v.r.) bei Nasa-Raketenstart 1964: „Wir können von jetzt an hingehen, wohin wir wollen“

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