© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  14/12 30. März 2012

Grüße aus Alberta
In die Hände spucken
Oliver Seifert

Alberta – die westlichste der drei Prärieprovinzen Kanadas: Touristen denken an die Rockies, kristallklare Seen, weite Wälder, die Prärie, Elche, und Grizzlybären. Einwanderer erhoffen sich weniger Bürokratie und Vorschriften, mehr berufliche und persönliche Freiheiten und all die Vorteile einer boomenden Wirtschaft, die von den drittgrößten Ölreserven der Welt profitiert. Sie werden selten enttäuscht.

Auf der anderen Seite ist es oft ein Kulturschock, wenn viele Dinge, die in Deutschland selbstverständlich sind, wie zum Beispiel die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, plötzlich fehlen. Und die schweinekalten Winter müssen erstmal durchgehalten werden. Eishockey, Curling und Skifahren sind für viele Immigranten gewöhnungsbedürftiger Volkssport.

Viele Albertaner legen großen Wert auf Eigenständigkeit und warten nicht darauf, daß Behörden und Ämter ihnen zu Hilfe kommen – obgleich das Sozialsystem mit relativ großzügigen staatlichen Beimessungen ausgestattet ist. Mehrwertsteuer und Arbeitslosenquote liegen beide bei fünf Prozent. Die Steuersätze sind erträglich, die Menschen haben ein gesundes Arbeitsethos und verstehen Überstunden als Gelegenheit, sich finanziell zu verbessern.

70 Prozent der Wählerstimmen gehen an konservative Parteien, und die eher libertäre als konservative Wirtschafts- und Unternehmenspolitik hat das Bruttosozialprodukt der Provinz Alberta seit 1990 jährlich um mehr als drei Prozent anwachsen lassen.

Trotzdem gibt es natürlich auch in Alberta soziale Probleme, von denen die kanadischen Ureinwohner besonders betroffen sind. Und am Flughafen wird für keinen Einwanderer der rote Teppich ausgerollt: Kanadas Einwanderungsgesetze sind restriktiv. Eingelassen wird nur, wer zur allgemeinen Wohlstandsvermehrung beizutragen vermag.

In wenigen anderen Ländern der Welt jedoch können freiheitliche Grundrechte so ausgelebt werden wie hier, im Wildrose Country: „Hier bin ich Mensch, hier darf ich’s sein.“ Wer, ohne ständig auf die Stechuhr zu schielen, in die Hände spucken und arbeiten möchte, um sich eine Existenz aufzubauen, wer Gelegenheiten erkennt und am Schopfe zu packen vermag, dem werden alle Chancen geboten. Sinn für Eigenverantwortlichkeit und eine gewisse Pioniermentalität sind Voraussetzung, berechtigter Stolz auf das endlich Erreichte eine fast zwangsläufige Konsequenz.

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