© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  14/12 30. März 2012

Putins Bauernopfer
Landwirtschaft: Mit dem Beitritt zur Welthandelsorganisation wird der russische Agrarsektor eine ähnliche Zäsur wie in Deutschland erfahren
Christian Baumann

Was setzte Wladimir Putin in den vergangenen Jahren nicht alles in Bewegung, die sehnlichst erhoffte Mitgliedschaft in der Welthandelsorganisation WTO zu erzwingen. Selbst der deutsche Agrarsektor diente als Drohinstrument, indem beispielsweise Zölle auf eingeführte Güter erhöht oder unter fragwürdigem Vorwand sogar Importstopps verhängt wurden, um willkürlich WTO-Länder abzustrafen und somit einen schnelleren Beitritt zu erreichen. Beim WTO-Gipfeltreffen in Genf im Dezember 2011 war es dann soweit: Rußland durfte nach mehr als 18 Jahren Vorlaufzeit – zusammen mit Montenegro, Samoa und Vanuatu – 154. WTO-Mitglied werden. Bis spätestens Juni dieses Jahres muß die Übernahme der WTO-Pflichten nun noch ratifiziert werden. Die USA gewähren Rußland wegen nationaler Gesetzesvorbehalte als einziges WTO-Mitglied allerdings noch keine WTO-Handelsvergünstigungen.

Die russische Föderation ist – auch dank Putins politischem Kalkül – mehr denn je ein Agrargigant. Wenn auch aus klimatischen, geographischen und strukturellen Gründen nur ein Bruchteil der gigantischen Landfläche ackerbaulich nutzbar ist, sind es immerhin noch 120 Millionen Hektar (das Zehnfache der deutschen Bewirtschaftungsfläche), die unter dem Pflug stehen. Fast einhundert Millionen Tonnen Getreide wurden im vergangenen Jahr eingefahren, was mehr als einem Drittel der EU-Ernte gleichkommt.

Aber auch in den anderen Sparten hat Rußland nicht nur in quantitativer, sondern auch in qualitativer Hinsicht ein selbstbewußtes Agrobusiness etabliert. Sowohl in der Erzeugung von Rind-, Schweine- und Geflügelfleisch als auch in der Tierzucht werden teilweise zweistellige Zuwachsraten ausgewiesen. Daher konnten beispielsweise die Einfuhren von Fleisch um knapp zwölf Prozent auf etwa 1,7 Millionen Tonnen Schlachtgewicht gedrosselt werden. Die Geflügelfleischimporte wurden sogar um 35,5 Prozent zurückgefahren.

Wie die russische Agarministerin Jelena Skrynnik nicht ohne Stolz verkündete, sind seit 2007 über 3.000 Tiermastanlagen mit einer staatlichen Finanzspritze von umgerechnet 13 Milliarden Euro errichtet oder modernisiert worden. Zudem stand der Staat mit diversen Förderprogrammen Pate, um privat wirtschaftenden Bauern oder Junglandwirten unter die Arme zu greifen.

Auf der agrarpolitischen Regierungskonferenz kurz vor der Präsidentschaftswahl verkündete Wladimir Putin, daß diese Staatshilfe von der WTO-Mitgliedschaft unberührt bleiben werde. Man wolle die Agrarwirtschaft sogar noch stärker als bislang unterstützen.

Doch das dürfte sich als platte Wahlpropaganda erweisen. Denn die WTO ist dafür bekannt, daß sie auf gewisse Grundprinzipien pocht. Daß bedeutet nicht nur, daß ein WTO-Mitglied Handelsvorteile, die es einem Land gewährt, auch allen anderen WTO-Ländern zugestehen muß. Es dürfen auch ausländische Anbieter nicht schlechter gestellt werden als inländische Unternehmen. Moskau wird sich in solchen Dingen erfahrungsgemäß sehr schwertun. Daher ist zu vermuten, daß sich die Zeiten für die subventionsverwöhnten russischen Agrarier ändern werden. Nicht zuletzt bedingt eine WTO-Mitgliedschaft in puncto Inlandsstützung strenge Maßstäbe. Der bereits im Vorfeld der WTO-Verhandlungen von Skrynnik zugesicherte sukzessive Abbau der heimischen Agrarförderung (die jährlich bis zu 6,7 Milliarden Euro verschlingt) wird von den russischen Agrariern mit Argwohn gesehen. Doch auch die bald erforderliche Marktöffnung durch Senkung der Zollsätze für die verschiedensten Agrarrohstoffe sowie Endprodukte wird die Land- und nicht zuletzt die Ernährungswirtschaft Rußlands durcheinanderwirbeln. Angesichts steigenden Wettbewerbs – mit großen Chancen für deutsche Anbieter – wird die russische Landwirtschaft einem tiefgreifenden Strukturwandel unterworfen.

Dabei wird es dem russischen Bauernstand ähnlich wie in Deutschland ergehen – auch die heimischen Bauern mußten sich zwangsläufig nach außen hin öffnen. Im gesamtwirtschaftlichen Gefüge wird der Schritt zur freien Marktwirtschaft die teilweise noch sowjetisch geprägten Agrarbetriebe zu radikalen Maßnahmen treiben, um den in den Startlöchern stehenden Westunternehmen in puncto Wettbewerbsfähigkeit die Stirn bieten zu können – Massenentlassungen inklusive. Angesichts dessen muß sich erst noch erweisen, ob dann überhaupt noch genügend breite russische Kaufkraft vorhanden sein wird, um das globalisierte Warenangebot überhaupt nutzen zu können.

Das Motiv, warum der Kreml dennoch den Zugang zum multinationalen Handelssystem mit Nachdruck anstrebt, ist bei den Lobbyisten der Schwer- und Stahlindustrie zu suchen, die durch die Aufhebung der Sanktionen zu den wahren Gewinnern zählen werden. Wie bislang mehrfach in anderen Staaten geschehen, fällt dabei der Landwirtschaft die devote Rolle des Bauernopfers zu.

Foto: Bauernmarkt in der Wolgastadt Saratow: WTO-Beitritt bietet Chancen für die deutsche Agrarwirtschaft

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