© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  14/12 30. März 2012

CD: Thomas Adès
Musik zum Text
Jens Knorr

Wir sind bei uns nicht angekommen, solange Shakespeare unsre Stücke schreibt“, geht Heiner Müllers bekannte Notiz von 1988. Unsere Libretti schreibt Shakespeare von jeher und immer noch. Das Libretto zu der zweiten Oper von Thomas Adès richtete dem Komponisten seine Mitarbeiterin Meredith Oakes nach der Romanze „The Tempest“ ein, die als Shakespeares letztes Theaterstück gilt. Die Oper, ein Auftragswerk des Londoner Royal Opera House, Covent Garden, wurde 2004 ebendort unter Leitung des Komponisten uraufgeführt; vorliegende Aufnahme ist ein Zusammenschnitt zweier Vorstellungen vom März 2007.

Die Geschichte der Shakespeare-Adaptionen für die Opernbühne ist auch die Geschichte einer Einbürgerung der elisabethanischen Theatertradition, für die der Name Shakespeare steht. Bedienten sich Librettisten und Komponisten durch die Jahrhunderte bei Shakespeare zu je eigenen Zwecken, so hängen sie sich insbesondere seit dem 19. Jahrhundert, da die Theatertexte des Schauspielers und Unternehmers zu Literaturtexten erhoben wurden, ihnen an. Sie schillern mit Shakespeare, anstatt mit Shakespeare zu shakespearisieren. Oakes und Adès machen da keine Ausnahme, ihr Sturm macht keine Sturmmaschine.

„The Tempest“ ist Literatur-oper im besten wie im schlechten Sinne, alles Geschehen auf Prosperos Zauberinsel musikalisch-dramaturgisch vorhersehbar behandelt. Der 1971 in London geborene Komponist, Dirigent und Pianist hat seine Musik dem Text zugesetzt, ohne ihm zuzusetzen. Seine Komposition überfordert den Hörer nicht und fordert ihn maßvoll: gemäßigte Moderne, die bruchlos in mäßiger Postmoderne aufgegangen ist.

Dabei beginnt und verklingt sie durchaus mit dem Versprechen und ist – very british – mit ihm fein durchsetzt, zu fassen nämlich, was Musik eigentlich ist und sein könnte und warum wir mannigfaltige Schallereignisse als Musik hören, verstehen, deuten. Denn wie anders soll ein Luftgeist schweben als auf den Flügeln des Gesanges. In Ariels halsbrecherischen Koloraturen, die Cyndia Sieden mit geisterhafter Perfektion ausführt, ruft Adès die große Tradition des Ziergesangs auf und führt sie ad absurdum, Hier oder in dem Liebesduett Miranda-Ferdinand, Kate Royal-Toby Spence, legt er Schönheiten als Köder für jene aus, die zwar keine moderne Musik mögen, denen diese aber gefallen dürfte. Die falscheste Schönheit hat er der Partie des Caliban eingeschrieben, Shakespeares Monstrum, für Ian Bostridges ambivalente Tenorstimme gemacht. Simon Keenlyside, angestrengt forcierend und offensichtlich mit Problemen in tiefer Lage, vermag den Prospero nicht als Hauptfigur zu behaupten, hat für seine Darstellung allerdings den Laurence Olivier Award erhalten.

Vielleicht müssen wir ja gar nicht bei uns ankommen, sondern von uns fort, wenngleich auf andere Weise als Ariel von Prospero, da sich der Geist zu den Vokalen seines Namens und dann gänzlich zu Luft verflüchtigt, aus der er gemacht. Müllers Notiz von 1988 beginnt übrigens so: „Shakespeare ist ein Spiegel durch die Zeiten, unsre Hoffnung eine Welt, die er nicht mehr reflektiert.“ Ob das auch die Hoffnung des Thomas Adès ist, und die Welt so, wie seine Musik sie reflektiert?

Thomas Adès, The Tempest, EMI Classics 6952342; www.emiclassics.de

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