© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  14/12 30. März 2012

Der Flaneur
Schmutzige Witze
Josef Gottfried

Vom Münchner Odeonsplatz geht es einige Meter runter zu den U-Bahnlinien 3 und 6, von dort weiter runter zu den Linien 4 und 5. Die Rolltreppe vom ersten zum zweiten Untergeschoß ist sehr lang, so daß man bestimmt eine Minute ins ausgebaute Erdreich fährt. Ich stehe auf der rechten Seite, wie es sich gehört, während links die Leute gehen, die dann 30 Sekunden länger auf die Bahn warten.

Hinter mir sind ein paar Altherren von woanders, jedenfalls nicht aus Bayern. Einer von ihnen zeigt sich von der langen Rolltreppe beeindruckt, er sagt: „Die geht ja richtig weit rein!“ – „Richtig! Weit! Rein!“ echot einer seiner Freunde, er spricht die Vokale von „richtig“ wie „ö“ aus und betont die Zwielaute von „weit“ und „rein“, so daß es ein schmutziger Witz wird. Die anderen feixen.

Unwillkürlich muß ich mitlachen und drehe mich kurz um, immer noch auf der Rolltreppe ins Erdreich fahrend. Nette Leute, so kommt’s mir jedenfalls vor, vom Äußerlichen könnten sie zum Stammtisch von Jürgen von der Lippe gehören: Lesen viel, machen gerne Witze und haben was erreicht im Leben. Heute waren sie mal einen trinken. Gediegen ins Hofbräuhaus, schön gepflegt.

Natürlich bemerken sie meine Zustimmung, solche Leute, die in der Öffentlichkeit solche Witze machen, die merken das immer. Und das freut sie. Darum testen sie weitere Varianten ihres Gags und unterhalten, wir sind mittlerweile eingestiegen, die ganze U-Bahn. Ich schaue aus dem Fenster und ignoriere sie.

Nicht etwa, weil sie mich grundsätzlich stören würden, gar nicht eigentlich, sondern nur, weil ich nichts mit ihnen zu tun haben möchte. Doch die U-Bahn ist beleuchtet, der Tunnel dunkel, also schaue ich ihnen durch das spiegelnde Glas weiter zu. Sie haben mich schon vergessen und sind jetzt mit jemand anderem ins Gespräch gekommen.

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen