© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  15/12 06. April 2012

Fachkräftezuzug aus dem Nicht-EU-Ausland
Billigschlachthaus Europas
Marco Meng

Das Lamento über den Fachkräftemangel gehört zur Meterware in den Pressestellen deutscher Arbeitgeberverbände und halbstaatlicher Kammern. Im Takt ihrer vollautomatisierten Fertigungsstrecken beklagen Deutschlands Industriekapitäne – wie der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages Hans Heinrich Driftmann – einen Mangel an gut ausgebildeten Facharbeitern, Ingenieuren, Naturwissenschaftlern und Technikern. Die Bundesregierung, die gerne Lobbypolitik mit Ordnungspolitik verwechselt, zieht daraus regelmäßig falsche Schlüsse.

Wenn es nicht genügend gut ausgebildete Arbeitskräfte im Inland gibt, so muß die Rettung aus dem Ausland kommen, lautet der industriepolitische Kurzschluß in den Politikergehirnen. Die Folge: Die Hürden für den Zuzug von qualifizierten Arbeitnehmern aus dem Ausland werden laufend abgesenkt. Der nun im schwarz-gelben Bundeskabinett gebilligte Gesetzesentwurf soll die Einkommensschwelle für die begehrten Berufsgruppen von derzeit 66.000 Euro Jahresverdienst um ein Drittel reduzieren (siehe Seite 11). Er vollstreckt eine EU-Richtlinie, die die Einführung einer Blue Card nach Vorbild der US-amerikanischen Green Card vorsieht und einmal mehr Fakten für die kommenden Vereinigten Staaten von Europa schafft.

Der Druck auf heimische Fachkräfte dürfte steigen, weil mit dem steigenden Angebot an Arbeitskräften nach der Marktlogik die Nachfrage – und damit der Lohn – sinkt. Nunmehr droht auch den höheren Gehaltsklassen Billigkonkurrenz, nachdem die Freizügigkeit für Arbeitnehmer aus Osteuropa bereits im Niedriglohnsektor dafür gesorgt hat, daß Deutschland zum Billigschlachthaus Europas wurde. Das Märchen vom Fachkräftemangel bleibt indessen ein Märchen: Die Löhne in den technischen Berufen lagen 2008 laut einer Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung allenfalls im Mittelfeld, was nicht auf einen Mangel an Spezialisten hindeutet.

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