© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  15/12 06. April 2012

Gender, nein danke!
Wie ticken Frauen und Männer? Eine Neurowissenschaftlerin will Geschlechterlügen entlarven
Ellen Kositza

Was meinen wir, wenn wir von einem Zickenkrieg reden? Wohl einen Streit unter Frauen, der emotional geführt wird und Sachargumente zugunsten von Gift-und-Galle-Austausch oder subtilen Anpieksereien vernachlässigt.

Hahnenkämpfe und Platzhirschverhalten dagegen zeichnen sich nicht nur durch abweichende Modalitäten aus. Männer streiten normalerweise auch über andere Fragen, sowohl im Privaten als auch auf großer Bühne. Der klassische Zickenkrieg hat klassische Frauenthemen zum Objekt. Interessieren sich Männer ernsthaft und in großer Zahl für Geschlechterrollen, für Vereinbarkeitsproblematiken, Quotenregelungen und für den programmatischen Alltag der Kindererziehung? Eher nicht. Frauen schon.

Die britische, heute in Australien lehrende Neurowissenschaftlerin Cordelia Fine hat sich mit ihrem Buch über „Die Geschlechterlüge“ ins Zickenkriegsgebiet begeben, in heiß umkämpftes Terrain: Sind Frauen qua Biologie anders? Denken sie anders als Männer, sind sie von Natur aus anders befähigt? Ist es ein „Neurosexismus“, der sowohl Entscheider als auch das breite Volk denken läßt, daß Frauen- und Männerhirne „anders ticken“?

Die Antworten lauten: nein, nein und ja. Alles in allem lesen sich Fines Einlassungen als Konterschlag gegen die Thesen der amerikanischen Neurowissenschaftlerin Louann Brizendine, die mit ihren hervorragend verkauften Büchern über „Das weibliche Gehirn“ (2008) und „Das männliche Gehirn“ (2010) für Furore sorgte. Kurz gesagt: Brizendine, Jahrgang 1952, stellte heraus, daß Männer und Frauen völlig unterschiedlich denken, planen, kombinieren und also handeln. Diese Unterschiede seien – freilich mit beträchtlichen individuellen Abweichungen – naturgegeben und auch durch massive Gleichstellungsversuche unhintergehbar. Cordelia Fine, Jahrgang 1975, will nun das Gegenteil beweisen. Ihr deutscher Verlag bewirbt seinen Toptitel damit, „der erste Frontalangriff auf populäre Geschlechtermärchen“ zu sein.

Frauen streiten über ein Geschlechterthema – und doch sehen wir hier keinen Kampf der Zicken, sondern einen unerbittlichen Stellungskrieg. Die harten Bandagen, die sich die klugen Kontrahentinnen angelegt haben, bestehen aus Fachliteratur. Mit 723 Fußnoten – inklusive bibliographischer Angaben einhundert Seiten – wartet Fine auf. Brizendine hatte kaum weniger zu bieten.

Ähnlich verhielt es sich mit den dickleibigen, ebenfalls zwischen Fach- und Populärliteratur changierenden Büchern von Susan Pinker (Das Geschlechterparadox, 2008, den Unterschied herausstellend) und Lise Elliot (Wie verschieden sind sie?, 2010, biologische Geschlechtsdifferenzen negierend). All diesen Autorinnen ist dabei gemein, daß sie sich als Feministinnen verstehen und etwa einen höheren Frauenanteil in
Chefetagen für begrüßenswert, ja notwendig halten.

Während die Differentialistinnen weibliche Eigenschaften (Kommunikationstalent, Multi-Tasking-Fähigkeit, besseres Gespür für Schwächen der Konkurrenz) als Bereicherung im Arbeitsleben ansehen, leugnen die Gleichheitsfreundinnen den Unterschied.

Oder besser: Sie halten ihn für gemacht – für erworben und nicht für angeboren. Würde nicht die Gesellschaft Frauen erst zum sozialen Geschlecht „Frau“ geradezu verdonnern (und damit zu schlechter honorierten Tätigkeiten), würden wir nicht bereits Säuglingsmädchen rosa kleiden, ihnen später statt Puppen Gabelstapler zum Spielen geben und ihnen nicht Bücher vorlesen, in denen Ingenieure Männer und Kindergärtner Frauen sind, Mütter das Baby wiegen und Väter für Abenteuererlebnisse zuständig sind: Einzig der Blick auf das Genital würde den Sprößlingen ihre völlig nachrangige Identität als Männlein oder Weiblein verraten. Alle Lebenswege und Karrieren stünden offen!

Das hiesige Modewort Gender übrigens ist für diese progressiven Autorinnen aus dem angelsächischen Raum keineswegs ein Zielmotto, sondern ein verachtenswerter Begriff: Das soziale Geschlecht (das „gender“ ja bezeichnet), ist das falsche, beengende. Und das biologische? Sagt jenseits des reproduktiven Potentials wenig aus. In atemlosen Stakkato legt Cordelia Fine Studie um Studie auf den Tisch: Warum wohl halten unter einhundert Universitätspsychologen 75 Prozent den fiktiven Bewerber Brian Miller für geeignet, weniger als die Hälfte aber Dr. Karen Miller? Die Bewerbungsunterlagen waren bis auf den Vornamen identisch. Warum nimmt die Leistung einer einzelnen weiblichen Probandin im Mathetest in dem Maße ab, in dem sich die Zahl der mitgeprüften Männer erhöht?

Mit Hilfe dutzender Untersuchungen will Fine beweisen, daß es allein der Druck des geschlechtlichen Rollenbildes sei, der sowohl Selbsteinschätzung als auch tatsächliche Fähigkeiten der Frauen untergräbt – vom frühesten Säuglingsalter an. Fines akademische Kontrahentinnen, die freilich quer zu den politischen Bemühungen um Quotenregelungen liegen, haben ähnlich handfeste Studien auf Lager, die das Gegenteil erweisen: Frauen glänzen, unter anderem hirnanatomisch bedingt, in anderen Bereichen und streben überdies in der Masse keine Toppositionen an.

Die Kernfrage lautet: Sind (womöglich unbewußte) Unterschiede in der frühkindlichen Erziehung und Sozialisation die Ursache geschlechtstypischen Verhaltens, oder ist es umgekehrt: Reagieren Eltern aufgrund vorhandener Vorlieben?

Sogar der Volkskundler Andreas Vonderach, definitiv kein feministisch motivierter Wissenschaftler, sondern ein Verfechter des großen Unterschieds, hat das Dilemma in seinem druckfrischen Buch „Sozialbiologie“ historisiert: „Wo es keine Aufgaben gibt, die Aggressivität und Körperkraft erfordern, stricken sogar Männer Socken oder sitzen am Webstuhl wie früher in der Lüneburger Heide oder im schlesischen Gebirge.“ Wenn wir heute von Chefsesseln sprechen, meinen wir keine Stellen, zu deren Ausfüllung Aggressivität und Körperkraft nötig sind. Könnten, sollten also nicht längst Frauen „da oben“ sitzen?

Selbst Quoten-Skeptiker, die solch planwirtschaftliche Maßnahme im Grunde geißeln, wie jüngst Birgit Kelle (JF 12/12) und Adam Soboczinsky in der Zeit, halten Frauen in den Chef-etagen für dringend wünschenswert. Aber wozu? Es kann kaum darum gehen, einem Promille-Anteil an Frauen einen wirklich lukrativen Verdienst zu ermöglichen. Soboczinsky faßt sein Unbehagen über die gendergerechte Chefquotierung in gültige Worte: „Wer von Frauen spricht, spricht in Wahrheit von keinem Geschlecht, sondern vom neuen Menschen. Der aber ist ein Angestellter, der von einer Bürokarriere träumt, nicht von Emanzipation.“

Wo die Rede von „Geschlechtergerechtigkeit“ ist und von Quoten, reden wir nicht von Lebensglück und Erfüllung, ach: nicht einmal von wirklichem Einfluß. Zwangsbefreit agieren wir dort, wo wir kraft unseres Willens und unserer ganz eigenen Vorlieben, seien sie antrainiert oder angeboren, handeln. Wir sind so frei! Und daran wird uns weder ein Sozialingenieur noch ein Neurosexist hindern.

Cordelia Fine: Die Geschlechterlüge.Die Macht der Vorurteile über Frau und Mann. Klett-Cotta, Stuttgart 2012, gebunden, 476 Seiten,21,95 Euro

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