© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  15/12 06. April 2012

Freiwillige Unterwerfung
Kühner Einzelgänger: Eine Ausstellung über den Ordensgründer Franz von Assisi im Diözesanmuseum und Franziskanerkloster Paderborn
Sebastian Hennig

Vor allem zwei gegensätzliche Gestalten waren bestimmend für das neuartige Daseinsgefühl, welches in der Zeit der Kreuzzüge und Ordensreformen erwachte. Sie symbolisieren die beiden Säulen, auf denen die geistige Wiedergeburt des Abendlandes abgestützt ist. Der eine kam im umbrischen Assisi, der andere im hundert Kilometer entfernten Jesi in den Marken zur Welt. Beide bestätigten ein Reich, das ganz von dieser Welt ist, sich aber rechtfertigt als Spiegelung einer überirdischen kosmischen Einheit.

Friedrich II. von Hohenstaufen wurde über das gleiche Taufbecken gehalten wie zehn Jahre zuvor Giovanni Battista Bernardone, der spätere Heilige Franziskus. Das ereignete sich im Dom San Rufino in Assisi. Der als Sohn eines reichen Tuchhändlers geborene Franziskus, der die imitatio christi lebte und sich einem Evangelium ohne Fußnoten und Auslegung verbunden fühlte, unterwarf sich letztlich dem neuen kirchlichen Imperialismus von Innozenz III., der kurz zuvor das Mittleramt der Priester, in Abwehr gegen die Albigenser, aufgewertet hatte. Eine franziskanische Reaktion wanderte zunächst auf dem Grat zwischen Kanonisierung und Häresie, wie später die vom Protestantismus herausgeforderten Jesuiten. Der Schwabe und Normannenenkel Friedrich starb als päpstlich zertifizierter Widerchrist.

In Paderborn, wo jetzt in Diözesanmuseum und Franziskanerkloster die Ausstellung „Franziskus – Licht aus Assisi“ gezeigt wird, siedelten sich die Minderbrüder schon sechs Jahre nach dem Tode ihres Gründers an. Infolge der Reformation wurde das Kloster dann aufgehoben und erst Mitte des siebzehnten Jahrhunderts wieder neu begründet. Die barocke Fassade wird getragen von der Beredsamkeit der italienischen Gegenreformation.

Der Ausstellungsteil „Unser Kloster ist die Welt“ zeigt im Kreuzgang des Klosters die franziskanische Wirksamkeit der jüngsten Epoche. Daß der Orden im preußischen Paderborn 1875 bis 1877 in der Zeit des Kulturkampfes noch einmal eine Sendungspause verordnet bekam, ist naheliegend. Denn seit ihrer frühesten Zeit waren die Kuttenträger die hartnäckigsten Mahner ihrer weltlichen Zeitgenossen. Davon zeugen wenige erhaltene Außenkanzeln, von denen aus über die Vorplätze der Klöster die Predigt verbreitet wurde, vorzugsweise an öffentlichen Plätzen neben Stadttoren, Häfen, Martktplätzen und dem innerstädtischen Verlauf belebter Handelsstraßen. In Görlitz sicherte sich der Orden vorausschauend einen außerstädtischen Bauplatz, der für eine Neustadterweiterung vorgesehen war. So konnte der Marktplatz als Predigtplatz von der Außenkanzel erschlossen werden.

Wie wir heute durch Dauerbeschallung unserer öffentlichen Räume einer universellen akustischen Säkularisation ausgesetzt sind, wurde damals beabsichtigt, dem weltlichen Treiben und Begehren eine ständige Gegenwart geistlicher Ansprüche beizulegen. Wer beispielsweise im pommerschen Stralsund zum Hafen hinablief, der wurde auf diesem Weg unausweichlich von den Darlegungen des Predigers des Johannisklosters begleitet. Eine kolorierte Federzeichnung von 1444 zeigt den Bruder Berthold von Regensburg, wie er vor seiner Kirche predigt. Eine Schar von Bürgern und Handwerkern drängt sich um den Kanzelfuß, wie eine Herde bei Gewitter an den schützenden Baum.

Einen Besuch in Assisi, mit dem Anblick der beredten Bildererzählungen in San Francesco, mit den zeitnahen Fresken von Cimabue, Giotto, Lorenzetti, kann die Ausstellung in Paderborn nicht ersetzen. Eine bunte Kollektion von fingernagelgroßen Partikelchen der Evangelisten-Darstellungen vom Gewölbe der Oberkirche, die beim Erdbeben 1997 niedergingen, bildet eine kunsthistorische Reliquie, die in dieser denkmalpflegerischen Ausbreitung nur als visuelle Kuriosität wahrgenommen werden kann. Die Halbfigur des Heiligen von Palmerino di Guido aus der Städtischen Bildersammlung von Assisi von vor 1339 gibt etwas von den listigen, feinen Zügen des Heiligen wieder, wie sie in seiner Kirche vielfach von den Wänden blicken, bevor ikonographische Idealisierung die menschlichen Züge verwischte. Das Guido Reni zugeschriebene Prozessionsbanner der Bruderschaft der heiligen Stigmata ist ein Paradebeispiel der heroischen Glättung.

Die einfache irdene Schale aus der Kölner Domschatzkammer, die dem Besitz des Heiligen entstammen soll, spricht eine andere Sprache. Die Scherben wurden im 18. Jahrhundert silbern gefaßt. Auf dem Boden findet sich eine schmucklos schlichte kalligraphische Aufzählung der Marterwerkzeuge. Jede Erquickung mahnte den Durstigen an das verbindende Opfer.

Eine Fülle von Büchern, Urkunden und Monstranzen wird gezeigt. Modelle und Planzeichnungen veranschaulichen die Stadtumbauung der Klosteranlagen, die Ausbreitung des Ordens. Erfolg ist eine Heimsuchung. Auch der Orden entartete zuweilen. Den Anteil und die Teilnahme kluger Franziskaner an der Reformation wird aus drei Perspektiven vertreten. Johann Eberlin von Günzburg kritisiert den Orden von innen heraus für sein unfranziskanisches Bettelwesen und findet sich bald bei den Lutheranern wieder. Der treue wie kluge Ordensbruder Thomas Murner verteidigt verlorenes Terrain mit seiner Schrift „Von dem grossen lutherischen Narren“. Aber der Glaubenskampf hatte sich auf Vereinfachungen zugespitzt und politisch radikalisiert, so daß kein geistreiches Wort mehr Gehör fand. Die Klarissin Jeanne de Jussie aus Genf überlieferte in ihrer „Petite Chronique“ aufs genaueste die Petitessen im Umgang der reformierten Genfer Regierung mit den altgläubigen Nonnen.

In einem Raum der Ausstellung berichten auf fünf in rote Stelen eingelassenen Monitoren heutige Ordensmitglieder von ihrem Selbstverständnis als gemeinschaftlich Lebende in der gewollten Nachfolge eines großen kühnen Einzelgängers, der sich im Bewußtsein der grundsätzlichen Unterworfenheit des Menschen unter die irdische Disziplin beugte.

Die Ausstellung „Franziskus – Licht aus Assisi“ ist bis zum 6. Mai im Diözesanmuseum und Franziskanerkloster Paderborn, Markt 17, täglich außer montags von 10 bis 18 Uhr zu sehen. Über Ostern bleibt das Museum geöffnet, das Kloster ist geschlossen. Der Eintritt kostet 7 Euro (ermäßigt 5 Euro). Telefon: 0 52 51 / 125-14 00

Zur Ausstellung ist ein reich bebilderter Katalog (Hirmer-Verlag, München) mit 447 Seiten erschienen. Er kostet im Museum 29,50 Euro.

www.dioezesanmuseum-paderborn.de

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