© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  15/12 06. April 2012

Willkommen in der Welt von morgen
Vom Ende der Menschheit: Science-fiction-Autor Isaac Asimov und die Psychohistorik
Henning Hoffgaard

Es ist ein eindrucksvolles Bild: Den Blick undurchdringlich und geheimnisvoll in den Himmel gerichtet, sitzt Isaac Asimov auf einem, nein, seinem steinernen Thron. Lässig liegen die Hände auf zwei Planeten. Bilder von Robotern, Menschen und Sternen sind in den Stein gemeißelt. Es sind die zentralen Motive in Asimovs mehr als fünf Jahrzehnte umfassendem noch immer hell strahlendem literarischen Erbe.

Wie kaum ein anderer hat er das Science-fiction-Genre geprägt, das mit den epischen Geschichten von Star Wars, Star Trek, Perry Rhodan und vielen anderen seit Ende der fünfziger Jahre Millionen Leser fesselt und in überfüllte Kinosäle treibt. Generationen von Kindern und Jugendlichen haben dafür ihr Taschengeld geopfert. Asimov, der am 6. April vor zwanzig Jahren an den Folgen einer HIV-verseuchten Bluttransfusion starb, war von Anfang an dabei. Ein Pionier, der schnell die Seiten der ersten wichtigen Sci-fi-Magazine der dreißiger, vierziger und fünfziger Jahre füllte, darunter Astounding, Galaxy und das Magazine of Fantasy and Science Fiction.

Angefangen hatte Asimovs Begeisterung für fremde Welten und künstliche Intelligenz während seines Chemie-Studiums, das der im heutigen Weißrußland geborene, hochbegabte Sohn russisch-jüdischer Einwanderer 1939 mit nur 19 Jahren an der Columbia-Universität in New York beendete.

Die Wissenschaft ließ ihn, obwohl er seine Chemie-Professur in Boston 1958 zugunsten des Schreibens aufgab, in seinem Wirken sowenig los wie das regelmäßige Theaterspiel oder die Vorliebe für Kriminalromane. Die Anzahl seiner Kurzgeschichten, Bücher, Artikel und Romane ist ungezählt; es müssen Hunderte sein.

Ein Motiv ließ Asimov nie los: die künstliche Intelligenz der Roboter. Seine drei Gesetze der Robotik (siehe Kasten), nach denen die menschenähnlichen Maschinen funktionieren, fand ihre späte Würdigung in dem 2004 mit Will Smith verfilmten „I, Robot“. Die Idee dahinter war für Asimov stets wichtiger als die Geschichte. Während sich in der Autoren- und Fangemeinschaft von Star Wars und Star Trek, abgesehen von einigen wenigen herrlich verschrobenen Nerds, kaum jemand Gedanken macht, welchen Gesetzen ein Hyperraumsprung folgt, ob der Warp-Antrieb umgesetzt werden kann oder die Existenz von ein Meter großen beplüschten kuscheligen Ewok-Kriegern biologisch wirklich sinnvoll ist, wollte Asimov es stets ganz genau wissen.

Den Höhepunkt fand dieser wissenschaftliche Eifer im sogenannten „Foundation-Zyklus“, den Asimov zwischen 1951 und 1988 Stück für Stück ausgebaut und verfeinert hat. Darin geht es, kurz gesagt, um die Geschichte vom Aufbruch zu den Sternen bis zum „Ende“ der Menschheit, wie wir sie kennen.

Für dieses grandiose Epos entwickelte Asimov mit der „Psychohistorik“ eigens eine ganz neue Wissenschaft. Aus der „fiktiven Wissenschaft“, wie es im Online-Lexikon Wikipedia herabgewertet wird, ist dabei mit der Zeit durchaus eine ernstzunehmende Denkrichtung geworden. Der Psychohistorik geht es darum, die Entwicklung genügend großer Zivilisationen anhand mathematischer Regeln vorherzusagen. Die Geschichtswissenschaft wird so zu einer Naturwissenschaft ganz ähnlich der Biologie.

Nach Angaben des Statistikers und Autoren Michel F. Flynn, der Asimovs Ideen aufgriff, wissenschaftlich zusammenfaßte und untersuchte, basiert die Psychohistorik auf drei Grundannahmen. Erstens: Menschliche Gemeinschaften sind statische Systeme, die ähnlich wie die Biologie, Physik, Chemie oder Kultur bestimmten Systemgesetzen gehorchen. Zweitens: Menschliche Gemeinschaften sind ökologische Populationen. Sie unterliegen ökologischen Gesetzen hinsichtlich von Produktion, Reproduktion und Energie. Drittens: Kulturelle Institutionen gehen auf materielle, nicht mystische Ursachen zurück.

Klingt bizarrer als es ist. Es bedeutet, daß sich zwar die Handlungen eines Individuums nicht vorhersagen lassen, einer Gruppe von genügend vielen Individuen dagegen sehr wohl. In der Praxis werden derartige Überlegungen bei der Untersuchung von Massenpaniken bereits berücksichtigt. Was sollte also dagegen sprechen, daß auch die Entwicklung von Völkern, Staaten und Imperien bestimmten, uns vielleicht noch nicht bekannten Gesetzen folgt? So weisen etwa die Geschichten Chinas und Griechenlands einige interessante Parallelen auf. Wachstumsphasen, Kriege und Eroberungen folgten in nahezu identischen zeitlichen Abständen aufeinander. Und das, obwohl Griechenland und China historisch nicht den gleichen äußeren Einflüssen unterlagen. Sie unterschieden sich in Staatsform, Religion und militärischer Organisation und kämpften mit anderen Großmächten um die Vorherrschaft.

Doch nicht nur Zivilisationen und Staaten gehorchen offenbar bestimmten Gesetzmäßigkeiten. Auch profane Dinge wie die Produktion von Pferdekutschen läßt sich mit mathematischen Formeln ausdrücken. Dies gilt selbst dann noch, wenn völlig unvorhersehbare Ereignisse eintreten. Bestes Beispiel dafür ist die Alkoholproduktion in den Vereinigten Staaten vor und nach der Prohibition. So folgte die Wachstumskurve der Bierherstellung nach dem Ende der Prohibition sofort wieder dem Weg, den sie vor dem Alkoholverbot eingeschlagen hatte. Es ist zudem zu vermuten, daß die Prohibition, würde man den illegal hergestellten Alkohol dazurechnen, sich kaum oder gar nicht auf die Alkoholproduktion ausgewirkt hätte. Ein Triumph der Mathematik über eine Entscheidung, die von der betroffenen Bevölkerung in großem Maße sowieso abgelehnt wurde.

Wenn man also selbst kleinste Abläufe menschlicher Gesellschaften mit diesen Methoden berechnen und nachverfolgen kann, warum, fragt Asimov, sollte es solche Regeln nicht auch für ganze Zivilisationen geben? Dabei gilt immer: Je größer die Masse der Personen ist, die betrachtet werden, desto geringer sind die Abweichungen von den Gesetzen. Die Besonderheiten der einzeln handelnden Individuen, selbst wenn sie führende Positionen im Staat einnehmen, können sich letzlich den Gesetzen der Masse nicht entziehen.

Vieles klingt noch nach Fantasy und Hirngespinsten. Selbst Vorreiter der Psychohistorik, wie etwa der russisch-amerikanische Biomathematiker Nicolas Rashevsky (1899–1972), haben nicht bestritten, daß die Wissenslücken groß sind. Rashevsky selbst hatte untersucht, ob sich die Bildung und Ausbreitung von Dörfern mit mathematischen Techniken erklären ließe.

Asimovs Ideen von der Berechenbarkeit der Menschheit waren in vielerlei Hinsicht ihrer Zeit also weit voraus. Zwar wird es keinen detallierten Fahrplan für die Menschheit geben, wie er ihn in seinen Büchern skizziert. Dennoch können wir uns sicher sein, daß die Zukunft in nicht geringem Maße auf Bahnen verlaufen wird, die sich mit der Psychohistorik vorhersagen lassen könnten. Vielleicht ist es aber auch gar nicht schlecht, wenn wir diese Entwicklung nicht kennen. Sicher würden wir sie nur zu unserem Nachteil verändern. Psychohistorik kann paradoxerweise nur wirken, wenn wir ihre Abläufe nicht verstehen und sie so beeinflussen. Und dennoch ist es wichtig, sich mit ihr zu beschäftigen. Nur wer die Prozesse der Geschichte versteht, schreibt Flynn, kann die Lenkung seines Lebens in die eigene Hand nehmen: „Die Zeit ist dahin, wo wir den Göttern, dem Unglück oder den Rosenkreuzlern die Schuld für alles gaben, was geschieht. Sich auf Ideologien zu verlassen, ist kein Ersatz für das sorgfältige Studium dessen, was ist.“

Wahrscheinlich wird es der Wissenschaft mit Asimovs Psychohistorik irgendwann genauso gehen, wie den Lesern seiner Bücher. Im letzten Kapitel auf der letzten Seite im letzten Satz ergibt plötzlich alles einen Sinn. Über die Einleitung sind wir dabei freilich noch nicht hinausgekommen.

 

Gesetze der Robotik

Die „Grundregeln des Roboterdienstes“ läßt der russisch-amerikanische Biochemiker und Autor Isaac Asimov (1920–1992) erstmals in seiner 1942 in dem Science-fiction-Magazin Astounding veröffentlichten Kurzgeschichte „Runaround“ postulieren. Danach lauten die drei Gesetze der Robotik:

1– Ein Roboter darf kein menschliches Wesen verletzen oder durch Untätigkeit gestatten, daß einem menschlichen Wesen Schaden zugefügt wird.

2 – Ein Roboter muß den ihm von einem Menschen gegebenen Befehlen gehorchen – es sei denn, ein solcher Befehl würde mit der Regel eins kollidieren.

3 – Ein Roboter muß seine Existenz beschützen, solange dieser Schutz nicht mit den Regeln eins oder zwei kollidiert.

Zuletzt auf deutsch erschienen ist die Erzählung zusammen mit anderen von Asimov in dem Taschenbuch „Alle Roboter-Geschichten“ (Bastei Lübbe, 2007).

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