© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  16/12 13. April 2012

Visa am Fließband
Illegale Einwanderung: Daß sicherere Außengrenzen nichts nützen, wenn die Bürokratie versagt, zeigt ein Schleuserprozeß in Dresden
Ronald Gläser

Der Mann, nennen wir ihn Huo, staunte nicht schlecht. Für 7.000 Euro organisierten die Gewährsleute seiner Eltern einfach alles in Deutschland. Im Juli 2003 erhielt der  Vietnamese die Unterlagen mit der Post, wenig später wurde ihm in Dresden seine zukünftige Frau vorgestellt. Im November wurde geheiratet. Eine Scheinehe, damit Huo endlich einen deutschen Aufenthaltstitel bekommt. „Es gibt viele Dienstleistungen, aber so eine habe ich noch nie erlebt“, so Huo vor Gericht. Sogar vom Flughafen sei er abgeholt worden.

Huo ist Zeuge im großen Dresdner Schleuserprozeß, der dieser Tage zu Ende geht. Seit 2010 hat das Landgericht gegen drei Angeklagte verhandelt, die gewerbsmäßig Vietnamesen bei der Einreise nach Deutschland geholfen haben. Es ist das  bislang wohl größte Verfahren dieser Art.

Der Fall ist auch deswegen so wichtig, weil er die derzeitige Diskussion um illegale Einwanderung wie eine absurde Spiegelfechterei aussehen läßt. Politiker reden über sicherere Grenzen (Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU)) oder gar über den Austritt aus dem Schengen-Abkommen (Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy). Und die EU drängt auf eine verstärkte Überwachung an der griechisch-türkischen Grenze. Doch das wahre Problem sind nur selten Einwanderer, die über die grüne Grenze kommen – es sind vielmehr jene, die mit Visum regulär einreisen. Möglich war dies im vorliegenden Fall, weil das örtliche Ausländeramt Visa am Fließband erteilt hat. Wie konnte es dazu kommen?

Die Angeklagten: Die Vietnamesin Thi T. ist 1987 als Dolmetscherin in die DDR gekommen. Nach der Wende mußte sie sich umorientieren: mit einem Imbiß, als Gemüse- und Textilhändlerin, schließlich als Inhaberin eines Nagelstudios. T. hat wahrlich jede Chance ergriffen, die sich ihr geboten hat. Weil sie oft mit dem Dresdner Ausländeramt zu tun hatte, verfügte sie bald über unbezahlbare Kenntnisse: Sie wußte, wie an eine Aufenthaltsgenehmigung heranzukommen ist. Und sie ahnte, daß viele ihrer Landsleute gut dafür bezahlen würden. Die Verlockung war zu groß. Sie machte das, was sie nach 1990 immer gemacht hatte. T. ergriff eine Chance.

Die Voraussetzung war auch deshalb so günstig, weil es Petra W. und Michael L. gab. Beide Deutsche, beide Angestellte des Ausländeramts der Stadt Dresden. L. ist Werkzeugmacher und Industriemeister, in der DDR war er nicht wohlgelitten. 1984 verließ er die SED. Die Partei bedankte sich, indem sie ihn zum einfachen Arbeiter degradierte. Nach der Wende fand er die Stelle bei der Stadtverwaltung. Frau W., verheiratet, drei Kinder, hingegen war schon zu DDR-Zeiten im Staatsdienst.

Diese drei Personen, die unterschiedlicher kaum sein könnten, entwickelten ein Geschäft aus der Visumvergabe. „Man kennt sich, man bringt sich kleine Geschenke mit“, schildert Staatsanwalt Andreas Günthel die Geschäftsanbahnung. Mit Schmuck aus Vietnam habe es angefangen. Kleine Aufmerksamkeiten von T. für die Sachbearbeiter hätten dazu geführt, daß Anträge auch mal schneller bearbeitet wurden. W. hat im Prozeß eingeräumt, daß sie zweimal im Jahr neue Kleidung von ihrer Komplizin erhalten habe.

Während die Freundschaft zwischen den beiden Frauen T. und W. den Charakter einer Geschäftsbeziehung hatte, wurde es zwischen T. und L. mehr. Die fesche Vietnamesin und der verheiratete Deutsche waren jahrelang ein Liebespaar.

Die Vorgehensweise: In dieser Konstellation konnten jahrelang T.s Geschäfte abgewickelt werden. Vietnamesen erhielten gegen Geld – insgesamt sollen mindestens 400.000 Euro geflossen sein – eine Aufenthaltserlaubnis.  Dafür gab es in der Regel vier Möglichkeiten (siehe Grafik unten). In seinem Plädoyer schilderte Staatsanwalt Günthel Fälle wie diesen: Im Jahr 2000 war eine Vietnamesin mit einem Touristenvisum eingereist. Doch sie wollte bleiben und beantragte eine Aufenthaltsgenehmigung. L. erteilte diese mit Hinweis auf angebliche gesundheitliche Probleme, die die Frau bei der Einreise noch nicht gekannt habe.

Das Amt erteilte immer wieder neue befristete Aufenthaltsgenehmigungen und legte sogar noch Widerspruch ein, als eine andere Stelle sie abschieben lassen wollte. Selbst medizinische Gutachten ließ das Amt anfertigen. Bis 2007 konnte so die Abschiebung herausgezögert werden. Damals wären die Behörden dem Trio schon einmal fast auf die Schliche gekommen. L. zog es damals nach Ärger mit der Bundespolizei vor, die Behörde zu verlassen und zu seiner Frau nach Bayern zu ziehen.

Nun änderte sich auch die Arbeitsweise des Trios. Bis zu diesem Zeitpunkt war L. für T. immer erreichbar und hatte zu allem Zugang. Jetzt wurde er zu einer Art Unternehmensberater. L. setzte für T. die Briefe auf und erstellte andere Schriftstücke, fiktive Gehaltsabrechnungen oder Bescheinigungen für nichtexistierende Arbeitsverhältnisse. Noch weitere drei Jahre ging alles gut. Doch dann  klickten nach aufwendigen Ermittlungen und Telefonüberwachungen die Handschellen.

Der Prozeß: W. ist auf freiem Fuß. T. und L. sind bereits seit über zwei Jahren in Haft. Wenn das Urteil im Rahmen dessen bleibt, was die Staatsanwaltschaft gefordert hat (zwischen fünf und sieben Jahren Gefängnis), dann dürften sie bei guter Führung noch weitere zwei Jahre absitzen. Keine schönen Aussichten. So hatten sich die drei das Geschäft nicht vorgestellt.

 

Die beliebtesten Tricks der Dresdner Schleuserbande

Studentenvisum: Die Vietnamesen reisen zunächst als Studenten ein. Dafür mußten Einreisewillige einen Deutschkurs besucht haben, mehr nicht. Später wird allerdings nie überprüft, was die Betreffenden eigentlich machen.

Au-Pair: Vietnamesische „Kindermädchen“ erhielten eine Aufenthaltserlaubnis. Die deutschen Familien, die sie angeblich angeheuert haben, bekamen das Mädchen nie zu Gesicht, dafür aber eine Belohnung von den Angeklagten.

Familienzusammenführung: Um einen Aufenthaltstitel zu bekommen, werden Scheinehen geschlossen. Die Hochzeit mit einem Deutschen kostete bei T. zwischen 3.000 und 6.000 Euro. Geheiratet wurde in Vietnam oder in Dänemark.

Vaterschaft: Die Anerkennung einer Vaterschaft bringt das Aufenthaltsrecht mit sich. Schwangere, deutsche Hartz-IV-Bezieherinnen oder mittellose und bereitwillige deutsche Männer gab es genug. Sie erhielten von den Angeklagten eine Belohnung.

Foto: Angeklagte Petra W., Michael L. und Thi T. (v.l.n.r.) im Dresdner Landgericht: Ihnen drohen Freiheitsstrafen von fünf bis sieben Jahren

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