© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  16/12 13. April 2012

GegenAufklärung
Kolumne
Karlheinz Weissmann

Es ist erstaunlich, daß Goethes Bemerkungen über Sizilien in der „Italienischen Reise“ nie Bezug auf das normannische oder staufische Erbe nehmen. Für ihn blieb nur maßgebend, was „klassisch“, also antik, war oder in den entsprechenden Zusammenhang eingeordnet werden konnte, oder er interessierte sich für das Volkstümliche und Pittoreske. Allerdings ist zuzugeben, daß weder die Normannen noch die Staufer prägend auf die Insel wirkten. Trotz der wunderbaren Kunstschätze und zahlreichen Bauten, die sie hinterließen, blieb ihre Macht eine Episode, auf längere Frist einflußlos, verglichen mit der Bedeutung der immer neuen Einwanderungswellen aus Süden und Osten, die das Gesicht und die Mentalität der Bevölkerung bis heute prägen. In der Geschichte gibt oft genug nicht der Formwille den Ausschlag, sondern das Nur-leben-Wollen.

Die Empörung über die Äußerungen Margot Honeckers zu DDR, Mauerbau und Zukunft des Sozialismus in der jüngst ausgestrahlten Fernsehdokumentation ist nicht plausibel. Was hat man erwartet? Umgekehrt gibt es keinen Grund, sie für ihre „Konsequenz“ oder „Charakterstärke“ zu bewundern. In vielem – bis zum Habituellen – erinnerte ihr Auftritt an den der Witwe des niederländischen NS-Führers Meinoud Marinus van Tonningen, die Hannes Heer vor ein paar Jahren interviewt hat. Allerdings hatte van Tonningen, anders als Erich Honecker, den Anstand, sich das Leben zu nehmen, als seine Sache verloren war.

Bildungsbericht in loser Folge XXI: „Nachsitzen lernen und Muße dazu haben ist das Element aller Bildung, Kindergärtnerinnen und Grundschullehrerinnen, die erst einmal mit viel Geduld und Ruhe gemeinsame Rhythmen und Rituale einüben, in deren Bahnen die gemeinsame Zeit mit den ihnen anvertrauten Kindern verlaufen soll; die sich weigern, durch ständigen Methodenwechsel den Unterricht den Unterhaltungsstandards des Fernsehens anzupassen, die den Gebrauch des Computers aufs Allernötigste reduzieren; die mit den Kindern kleine Theateraufführungen einstudieren, ihnen ein Repertoire von Versen, Reimen, Sprichwörtern, Gedichten beibringen, das auswendig, aber mit Bedacht und Verstand aufgesagt wird; die ihnen nicht dauernd Arbeitsblätter servieren, sondern sie das Wesentliche hübsch ins Heft eintragen lassen: sie gehören zu den Widerstandskämpfern von heute.“ (Christoph Türcke)

Das historische Selbstverständnis, das der Reisende auf Sizilien vermittelt bekommt, verblüfft durch seine Naivität. Jeder bedeutende Überrest ist irgendwie „sizilianisch“. Also beruft sich das Regionalparlament ganz selbstverständlich auf den Hoftag von Ariano von 1140 als Gründungsdatum, den Roger II. – letztlich germanischem Brauch folgend – als Versammlung seiner Adeligen zusammentreten ließ, und man ehrt Friedrich II. als Idealherrscher, obwohl keine Gegend Europas weiter von der Härte und Konsequenz seines Musterstaates entfernt ist als diese.

Es gibt keinen Grund, Serviceversprechen zu trauen: die Hotelfachfrau, die den Weg zum Zimmer nicht kennt, der Taxifahrer, der die Straße nicht findet, der Parkhausbedienstete, der der Verkehrssprache nicht mächtig ist, der junge Mann im Callcenter der Bank, der nicht Kopfrechnen kann, der Techniker, der das Produkt seiner Firma nicht kennt. Das sind keine Stichproben, nur konkrete Begegnungen im Lauf einer Woche, die der Wohlberatene längst mit stoischer Ruhe erträgt.

Das Mittelalter Siziliens war ohne Zweifel multikulturell. Wenn man im Kreuzgang von Monreale in der Provinz Palermo steht, kann man sich schwer dem Eindruck entziehen, daß der gotische Baustil an den arabischen erinnert, mancher Abschnitt könnte auch Teil der Alhambra sein, und das Innere der Kathedrale wirkt ganz byzantinisch, der Goldglanz der Mosaiken, das finstere Stereotyp des Pantokrators in der Kuppel, aber auch die Darstellung der Krönung des Königs durch Christus selbst, nicht durch einen Kleriker. Daneben war der Machtwille der Oberschicht zweifellos geprägt von dem, was sie an kriegerischem Geist aus der Heimat im Norden mitgebracht hatte. Keinesfalls darf man sich das Miteinander spannungsfrei vorstellen, die große Zahl von Festungsanlagen im Inneren der Insel diente vor allem der Kontrolle, den sarazenischen Bogenschützen in der Leibgarde Friedrichs II. entsprach auf der anderen Seite die Ansiedlung von Lombarden in der Stadt und Burg Enna, um die Muslime in Schach zu halten. Zu den Symbolen, die die Normannen wie die Staufer verwendeten, gehörte der imperiale Adler, der einen geschlagenen Hasen oder ein geschlagenes Lamm in seinen Fängen hielt. Er war der einzige Schmuck an der Fassade des großen Kastells, das Friedrich in Catania errichten ließ, offenbar eine Mahnung an die Untertanen, welches Schicksal er dem Schwachen bereiten konnte.

Die nächste „Gegenaufklärung“ des Historikers Karlheinz Weißmann erscheint am 27. April in der JF-Ausgabe 18/12.

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