© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  16/12 13. April 2012

Die Währungskrise als Systemkrise
Europas Irrfahrt
Alain de Benoist

Die Entscheidung, eine einheitliche Währung für Europa zu schaffen, wurde ursprünglich von François Mitterrand und Helmut Kohl auf dem Europa-Gipfel im Dezember 1990 in Rom gefällt. Danach vergingen acht Jahre, bis der Euro am 1. Januar 1999 offiziell in Kraft trat, und weitere drei Jahre, bis die Euro-Scheine und -Münzen am 1. Januar 2002 bestimmte Nationalwährungen ersetzten. Der Euro ist also gerade einmal zehn Jahre alt. Wie lange er noch weiterbestehen wird, scheint derzeit unklar, erlebt er doch die bislang schwerste Krise seiner kurzen Geschichte.

 Jedoch gibt es keinerlei Grund, den europäischen Einigungsprozeß mit der Entwicklung seiner derzeitigen Einheitswährung zu verwechseln. Europa ist keineswegs synonym mit dem Euro. Das zeigt sich schon daran, daß mehrere EU-Mitgliedsstaaten der Euro-Zone gar nicht erst beigetreten sind. Wie Mark Weisbrot in der britischen Tageszeitung Guardian schreibt, besteht „kein Grund, warum das europäische Projekt sich nicht ohne den Euro fortsetzen ließe und die Europäische Union nicht trotzdem gedeihen sollte“.

Die Euro-Einführung wäre eine hervorragende Idee gewesen – wenn man dabei zwei Bedingungen eingehalten hätte: Der Wert der Einheitswährung hätte nicht an die ehemalige D-Mark gekoppelt werden dürfen, und seine Einführung hätte mit einem systematischen Schutz der Handelsgrenzen einhergehen müssen. Es wurde jedoch keine der beiden Bedingungen erfüllt. Anstatt den Wirtschaftsraum der Europäischen Gemeinschaft zu schützen, setzte man uneingeschränkt auf Freihandel. Die chronische Überbewertung des Euro hat in der Folge die Ungleichheiten verschlimmert. Gleichzeitig wurde Volkswirtschaften, die sich in jeder Hinsicht stark voneinander unterscheiden, künstlich eine Einheitswährung aufgepfropft. Die Krise war somit unvermeidlich.

Das Grundproblem des Euro rührt daher, daß es erwiesenermaßen keine Einheitswährung zwischen Staaten geben kann, die sich auf verschiedenen strukturellen Entwicklungsstufen befinden. Man kann auf Volkswirtschaften mit unterschiedlichen Strukturen und Entwicklungsniveaus keine einheitliche Währungspolitik mit einheitlichen Wechselkursen und einheitlichen Zinssätzen anwenden. Tut man es doch, dann muß der betreffende Währungsraum unweigerlich zur Transferzone werden, in der die Reichsten für die Ärmsten aufkommen müssen, um deren wirtschaftliche Schwäche wettzumachen. Ebendies zeigt sich aktuell am Fall Griechenland. (...) Der Euro wurde also in Staaten eingeführt, zwischen denen in wirtschaftlicher Hinsicht starke Unterschiede klafften. Auch durch die im Maastrichter Vertrag festgelegten „Kriterien“ erfolgte hier keine Korrektur. Je mehr die wirtschaftliche Integration zwischen den EU-Mitgliedsstaaten vorangetrieben wurde, desto stärker wuchsen diese Unterschiede.

Die Konvergenz der kurzfristigen Zinssätze führte wiederum zu einer größeren Divergenz im fiskalpolitischen Bereich. Die Einführung eines einheitlichen Zinssatzes für Volkswirtschaften mit unterschiedlichen Inflationsraten zählt zu den Hauptursachen der Schuldenexplosion in Staaten wie Griechenland, Spanien und Portugal. „Der Euro hatte für die Verschuldung der europäischen Staaten die gleiche Wirkung wie der freie Verkauf von Schußwaffen für eine beträchtliche Anzahl von Morden in den USA: Er war ein Ansporn zum Verbrechen“, wie der konservative französische Politiker Nicolas Dupont-Aignan anmerkt.

Traditionell hatten Staaten, die Außenhandelsdefizite aufbauten, die Möglichkeit, ihre Nationalwährung abzuwerten, wodurch sich der Preis ihrer Exportwaren für die Käufer reduzierte. Mit dem Euro sind derartige wettbewerbsstrategische Abwertungen selbstredend nicht mehr möglich. Überdies ist der Euro im Laufe der Jahre überbewertet worden. Diese Überbewertung ist eine Folge des freien Spiels der Märkte. Eine starke Währung verschafft potentiellen Kreditgebern Sicherheit bezüglich der Rückzahlungsfähigkeit derjenigen, die sie finanzieren, und diese Sicherheit wiederum ermöglicht ihnen, keine allzu hohen Zinssätze zu fordern. Eine schwache Währung hingegen spornt sie an, ihre Zinssätze zu erhöhen.

Nachdem die Deutschen von Anfang an durchsetzen konnten, daß der Wert des Euro an die ehemalige D-Mark gekoppelt wurde, waren die Deutschen (mit Österreich und den Niederlanden) die einzigen, die wirklich vom Euro profitieren konnten. 2009 verzeichnete Deutschland einen Überschuß von 140 Milliarden Euro in seiner Handelsbilanz, der im wesentlichen auf Kosten seiner Partner in der Euro-Zone sowie der EU-Staaten außerhalb der Euro-Zone ging. Der hohe Wert des Euro wiederum ist die Ursache für die Außenhandelsdefizite der südeuropäischen Staaten. Er treibt deren Exporte nach unten, während ihre Importe und damit ihre Handelsdefizite weiter zunehmen, was zu einem Rückgang der produktiven Investitionen und zur Häufung von Standortverlagerungen führt.

Im Falle Griechenlands hat man bereits begonnen, gigantische Finanztransfers aus den nordeuropäischen an die südeuropäischen Staaten vorzunehmen, die sehr schnell untragbar werden dürften. Die Deutschen zum Beispiel werden kaum eine Verdopplung oder Verdreifachung ihrer Steuerlast hinnehmen, um die in Not geratenen EU-Länder zu retten. Der Appell an die Solidarität droht Europa indes eher zu schwächen als zu stärken. „In ihrer blindwütigen Entschlossenheit, den Euro retten zu wollen“, glaubt Nicolas Dupont-Aignan, „sind die politischen Verantwortlichen dabei, Europa zu zerstören.“ (...)

Die herrschende politische Klasse hat sich entschieden, die Flucht nach vorne zu ergreifen: Sie bemüht sich nach Kräften, „den Euro zu retten“, ohne grundsätzlich am existierenden Finanzsystem zu rühren. Ist das auch nur realistisch? Der amerikanische Wirtschaftswissenschaftler Nouriel Roubini hat kürzlich das Auseinanderbrechen der Euro-Zone innerhalb der nächsten fünf Jahre vorausgesagt. Für 2013 prophezeit er den Ausbruch eines „Jahrhundertsturms“. Das Ende des Euro wird seiner Ansicht nach den südeuropäischen Ländern ermöglichen, durch eine massive Abwertung ihrer wieder eingeführten Nationalwährungen ihre Wettbewerbsfähigkeit wiederherzustellen. Zahlreiche andere Experten teilen diese Meinung, und viele von ihnen sehen gar eine Rückkehr zu den alten Nationalwährungen vorher.

Das Hauptargument, das regelmäßig gegen die Möglichkeit eines Austritts aus dem Euro vorgebracht wird, lautet, daß diejenigen Staaten, die ihn wagen, sofort erleben müßten, wie ihre Schulden in die Höhe schnellen, da diese Schulden weiterhin in Euro ausgewiesen würden. Dagegen läßt sich anführen, daß diese Staaten Maßnahmen verabschieden könnten, die geeignet wären, die Inlandsnachfrage zu steigern und auf diese Weise ihre Wettbewerbsfähigkeit wiederherzustellen. Dadurch wären sie in einer stärkeren Position, um ihre Schuldenlast zu bewältigen. Eine Rückkehr zu den Nationalwährungen im Verbund mit einer starken Abwertung würde die Kosten ihrer Erzeugnisse für ausländische Käufer senken und damit den Export stimulieren, was ihnen helfen würde, ihre Schulden zu begleichen.

Es ist auch angemerkt worden, daß jegliche Abwertung in der Folge einer Rückkehr zu den Nationalwährungen fatalerweise einen Preisanstieg bei Importen von außerhalb der Europäischen Union auslösen würde. In Wirklichkeit wäre dieser Anstieg jedoch nur schwach: Frankreich etwa importiert Güter und Dienstleistungen von außerhalb der Euro-Zone in Höhe von nur 13 Prozent seines Bruttoinlandsproduktes.

Die optimale Lösung wäre selbstverständlich eine massive Abwertung des Euro als Vorstufe zu einer Rückkehr zu den Nationalwährungen. Auf diese Weise würde ein Austritt aus dem Euro ohne Schaden für die betroffenen Volkswirtschaften möglich. Die Schwächung der Parität des Euro mit dem Dollar würde eine Reduzierung der Außenhandelsdefizite begünstigen und die Staaten eher in die Lage versetzen, ihre Schulden zurückzuzahlen, nachdem sie zu ihrer Nationalwährung zurückgekehrt sind. Um einen Schuldenanstieg zu verhindern, könnten diese in eine Gemeinschaftswährung konvertiert werden, die dem Durchschnitt der Nationalwährungen entspricht.

In einem Beitrag für den Figaro, bei dem Jacques Sapir und Philippe Villon als Mitunterzeichner fungierten, spricht sich der Ökonom Gérard Lafay für eine Umwandlung des Euro in eine reine Gemeinschaftswährung aus. Tatsächlich wäre es durchaus möglich, den einzigen unbestreitbaren Vorteil des Euro zu bewahren – daß er auf Dauer als Reservewährung fungiert –, indem man die heutige Einheitswährung in eine Gemeinschaftswährung umwandeln würde, deren Wert auf der Grundlage des Euro und der wiedereingeführten Nationalwährungen festzulegen wäre.

Die Gemeinschaftswährung errichtet gegenüber dem Rest der Welt eine Barriere, ermöglicht aber dennoch die Anpassung der Wechselkurse zwischen den verschiedenen Mitgliedsstaaten. Selbst wenn der Euro in einigen Staaten der Euro-Zone auf seinem gegenwärtigen Niveau bliebe, wäre dennoch die Möglichkeit gegeben, eine Gemeinschaftswährung zu schaffen, an der nur bestimmte Länder beteiligt wären, im Rahmen eines Systems fester, aber revidierbarer Wechselkurse und einer strengen Regulierung der Kapitalflüsse. Eine solche Lösung würde sich stark von dem Vorschlag einer „europäischen Wirtschaftsregierung“ unterscheiden. Die dies fordern, glauben, damit für einen fiskalpolitischen Föderalismus zu plädieren. Freilich hat noch nie in der Geschichte eine Währungs- oder Finanz-union ohne politische Union überleben können. Eine Wirtschaftsregierung einsetzen zu wollen, bevor und ohne daß man eine politische Regierung geschaffen hat, wäre ein Fehler. Der Austritt aus dem Euro würde nicht ausreichen, um sich aus der Diktatur der Banken und der Märkte zu befreien. Mit der Rückkehr zu den Nationalwährungen wären noch längst nicht alle Probleme behoben. Sie würde keines der strukturellen Probleme der heutigen Gesellschaften lösen und in keiner Weise einen Bruch mit der Logik des Kapitals darstellen. (...)

Werden bestimmte Staaten letztlich gezwungen, aus der Einheitswährung auszusteigen? Kündigen die ersten Schockwellen, die durch die Euro-Zone gehen, einen allgemeinen Kollaps an? Steht uns kurzfristig eine ausweglose Krise bevor? Und langfristig der globale Bankrott? In jedem Fall erlebt der europäische Einigungsprozeß derzeit eine Belastungsprobe wie nie zuvor seit seinen Anfängen im Jahr 1957. Europa, dessen ehemalige Nationalstaaten sich mittlerweile in Marktstaaten umgewandelt haben, steht vor der geopolitischen Marginalisierung, der demographischen Überalterung, der gesellschaftlichen Destrukturierung, der Deindustrialisierung und allgemeinen Verarmung. Wenn es doch noch über Kraftreserven verfügt, ist es höchste Zeit, sie unter Beweis zu stellen.

 

Alain de Benoist, Jahrgang 1943, ist Philosoph, Publizist und Herausgeber der französischen Kulturzeitschrift Nouvelle École. Auf dem Forum schrieb er zuletzt über Masseneinwanderung nach Frankreich („Pompidous Irrtum“, JF 16/11).

Alain de Benoist: Am Rande des Abgrunds. Eine Kritik der Herrschaft des Geldes, Edition JF, Berlin 2012, gebunden, 186 Seiten, 19,90 Euro. Der französische Meisterdenker analysiert die gegenwärtige Krise als systemische Krise des Kapitalismus.

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen