© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  17/12 20. April 2012

„Marine ist einfach trendy“
Vor über hundert Journalisten gab Marine Le Pen mit ihrem Berater für auswärtige Fragen Ludovic de Danne ihre Abschlußpressekonferenz für den französischen Präsidentschaftswahlkampf. Die JF war dabei.
Moritz Schwarz

Herr de Danne, vorab hatten Sie angegeben, etwa fünfzig Journalisten zu Ihrer finalen Wahlkampf-Pressekonferenz zu erwarten, die Sie soeben zusammen mit Marine Le Pen gegeben haben (Bild unten).

De Danne: Ja, nun waren es zu unserer Überraschung über Hundert: Mehr als das Doppelte – ein Riesenerfolg!

Zwischenzeitlich war Marine Le Pen in den Umfragen hinter den Kommunisten Jean-Luc Mélenchon auf Platz vier zurückgefallen. Warum dennoch dieses enorme Interesse der Medien?

De Danne: Das zeigt eben, daß die Umfragen nicht unbedingt die eigentlichen Verhältnisse widerspiegeln.

Was meinen Sie?

De Danne: Wir glauben nicht, daß die offiziellen Umfragewerte der tatsächlichen Zustimmung zu Marine im Volk entsprechen. Gerade die vielen ausländischen Medien die heute hier sind – Sie haben sie ja gesehen: deutsches Fernsehen, russisches Fernsehen, die BBC, CNBC aus den USA, Italiener, Spanier, etc. – das zeigt, daß man sich im Ausland durchaus bewußt ist, daß Marine tatsächlich ein Faktor ist, mit dem man rechnen muß. Auch wenn das viele französische Umfrageinstitute nicht wahrhaben wollen. Allerdings, inzwischen räumen ja auch die offiziellen französischen Umfragen wieder ein, daß sie tatsächlich auf Platz drei liegt.

Was wollen Sie sagen: Daß die Umfragen gefälscht sind?

De Danne: Die Umfragen in Frankreich – das müssen Sie wissen – sind wirklich eine Unverschämtheit! Die Umfragewerte für die Kandidaten des Front National werden von den meist linksorientierten Umfrageinstituten heruntergerechnet.

Mit Verlaub, das klingt etwas nach Verschwörungstheorie.

De Danne: Das ist es nicht. Wir liegen regelmäßig am Wahltag mehrere Prozentpunkte über den Prognosen. Das war so 2007, das war so 2002 und ebenso davor. Jean-Marie Le Pen ist es 2002 sogar gelungen, den Sozialisten Lionel Jospin aus dem Rennen zu werfen und in die Stichwahl einzuziehen!

Was ist der Grund dafür?

De Danne: Die patriotische Wählerschaft ist eine Wählerschaft die „leise“ ist. Die Mehrheit unserer Wähler geht nicht damit hausieren, daß sie für uns stimmen. Und das wissen die Umfrage-institute auch, aber sie stellen es nicht in Rechnung.

Laut Umfragen liegt Marine Le Pen derzeit zwischen 14 und 16 Prozent. Wie lautet Ihre Prognose für den Sonntag?

De Danne: Eine Prognose ist immer gewagt, aber ich gehe von mindestens zwanzig Prozent aus. 

Dennoch wird es für eine Wiederholung des Überraschungserfolgs ihres Vaters von 2002 – sprich für die Stichwahl am 6. Mai – auf keinen Fall reichen.

De Danne: Ich schlage vor, den Wahlabend abzuwarten.

Vor genau einem Jahr lag Marine Le Pen in den Umfragen sogar vor Sarkozy und den Sozialisten. Warum konnte sie Platz Eins in der Wählergunst nicht halten?

De Danne: Sie hatte damals gerade den Vorsitz des Front National von ihrem Vater übernommen und war sozusagen „brandneu“. Dieser Effekt hat sich nach einem Jahr etwas neutralisiert, das ist normal. Und es begann zudem dann auch die Kampagne gegen sie. Allerdings, bei der Jugend ist sie immer noch Platz Eins: 26 Prozent der 18 bis 24jährigen Franzosen sind für sie – Marine ist „in“, sie ist einfach trendy!

Auf die Frage des belgischen Fernsehens eben, wie sie sich diesen Erfolg erkläre, äußerte Frau Le Pen: „Ich habe das Gefühl, die Jugend ist zutiefst schockiert vom Zynismus der politischen Klasse.“

De Danne: So ist es, Marine ist die Kandidatin der Jugend, weil sie für diese die „Anti-System“-Kandidatin ist. Marine hat ja eben betont, daß die Jungen offenbar begriffen haben, daß sich das politische und ökonomische Modell, das man Frankreich seit dreißig Jahren übergestülpt hat, im Niedergang befindet. Und daß sich die Jugend daher nach Wahrhaftigkeit, Klarheit und nach Werten sehne. Daß Marine die Kandidatin der Jugend ist, ist für uns eine immense Hoffnung, weil sie damit die Kandidatin der Zukunft ist.

Am kommenden Sonntag bringt sie das aber wohl dennoch nicht in die zweite Runde. Für wen sollen ihre Wähler dann in der Stichwahl zwei Wochen später stimmen? Gibt es eine Wahlempfehlung?

De Danne: Nein.

Was wäre denn aus Sicht des Front National das günstigere Ergebnis: Nicolas Sarkozy oder François Hollande?

De Danne: Wir haben da keine Sympathien. Wir rechnen uns nicht eher der einen oder der anderen Seite zu, denn sie alle sind das System – und wir die Alternative.

Konkurrieren Sie denn eher mit Sarkozy um die konservativen Bürger, oder eher mit Jean-Luc Mélenchon von der Front de gauche – der Linksfront –, um die Protestwähler?

De Danne: Ach wissen Sie, Mélenchon ist doch eigentlich ein Bourgeois – er hat lediglich seine Nische gefunden: nämlich den Linksradikalismus. Dort mobilisiert er die Militanten recht erfolgreich. Aber eigentlich will er doch nur Minister werden.

Sie meinen Präsident?

De Danne: Nein, Minister. Die Strategie Mélenchons ist nicht Präsident zu werden, sondern die radikale Linke zu mobilisieren – und sie nach seinem Ausscheiden im ersten Wahlgang am Sonntag dann für die Stichwahl dem Sozialisten Hollande zuzuführen. Im Gegenzug hofft er dafür später von Hollande mit einem Ministerposten belohnt zu werden. Daß Mélenchon es eigentlich nicht ernst meint, zeigt doch etwa, daß er für den Euro ist. Wo gibt es denn einen echten Linksradikalen, der für den Euro ist? Den betrachten diese Leute doch zur Recht als Gefahr für den Wohlstand des kleinen Mannes und als etwas, wovon vor allem die Banken profitieren. Warum gibt es denn etwa bei den französischen Sozialisten auch Souveränisten – also Leute, die gegen einen Ausverkauf der nationalen Souveränität im Zuge der Euro-Krise sind? Weil eben auch einige unter den Sozialisten verstehen, daß nationale Souveränität das beste Mittel gegen die weltweite Globalisierung ist.

In deutschen Augen in der Tat erstaunlich: Selbst auf Wahlkampfveranstaltungen von Hollandes Sozialisten wird die französische Nationalflagge geschwungen.

De Danne: Das liegt allerdings vor allem an einigen Leuten in den Führungsetagen der Sozialisten, die sich sagen: Wir dürfen die französischen Farben nicht dem Front National überlassen, wenigstens ein bißchen Blau-Weiß-Rot müssen wir zeigen.

Marines Vater – Jean-Marie Le Pen, Gründer und jahrzehntelange Vorsitzender des Front National – war eben auch im Publikum anwesend und gibt nun, nachdem seine Tochter gerade den Saal verlassen hat, so etwas wie eine spontane Ko-Pressekonferenz (Bild unten rechts). Ist er tatsächlich noch die graue Eminenz des Front National?

De Danne: Nein, aber Jean-Marie Le Pen hat den Front groß und in der ganzen Welt bekannt gemacht. Ohne diesen Mann und seine Freiheit, allem zu trotzen und sich nicht dem anzupassen, was die etablierte Politik von ihm verlangt hat, gäbe es die Partei so gar nicht. Jean-Marie Le Pen ist wie einer der Patriarchen in diesen alten Schwarz-Weiß-Filmen, der zu den jungen Leuten sagt: „Überlegt was ihr tut ...“ und ihnen einen guten Rat gibt. Sie mögen ihn beherzigen oder nicht, aber immer ist es ein bedenkenswerter Gedanke, da gespeist aus der Erfahrung eines sehr langen politischen Lebens. Man könnte sagen, Jean-Marie ist so etwas wie das Gedächtnis unserer Partei, und tatsächlich ist er ja der älteste Politiker Frankreichs.

Seine Tochter versucht, die Partei zu modernisieren. Wie viel vom „alten Le Pen“ steckt noch im neuen Front National?

De Danne: Das stimmt zwar, aber dennoch steht Marine für Kontinuität, auch wenn sich Vater und Tochter nicht in allem einig sind.

Aber wer verändern will, muß mit manchem brechen.

De Danne: Es gibt Unterschiede, das sagte ich ja. Aber das ist kein Bruch. Manche sagen, Marine würde auf Distanz gehen etwa zum „Rassismus“ des „alten“ Front National. Aber wofür galt der Front damals als „rassistisch“? Etwa weil er schon vor zwanzig Jahren sagte, daß der Multikulturalismus ein Irrweg ist. Heute sagt das selbst Frau Merkel! Nein, Marine Le Pen sieht einfach nur gewisse Dinge anders als ihr Vater, was wohl auch eine Generationenfrage ist: Der Zweite Weltkrieg etwa spielt für sie keine entscheidende Rolle mehr oder die Frage nach dem ehemaligen französischen Kolonialreich in Übersee – das sind politisch geschlossene Kapitel. Marine Le Pen geht es um das Hier und Jetzt und um die Zukunft!

 

Ludovic de Danne, gab am 10. April zusammen mit Marine Le Pen die abschließende Wahlkampf-Pressekonferenz in der Parteizentrale des Front National in Nanterre, einem Vorort von Paris. De Danne (36), Jurist und Politologe, gehört zum „Cabinet de Marine Le Pen“, zum „Kabinett“, dem engsten Beraterstab um Marine Le Pen. Dort ist er zuständig für „Europäische Angelegenheiten und internationale Beziehungen“. Marine Le Pen (43) ist seit 2011 Vorsitzende des Front National und Kandidatin im französischen Präsidentschaftswahlkampf (siehe Interview links). Ebenfalls anwesend – wenn auch nicht auf dem Podium – war ihr Vater Jean-Marie Le Pen, Gründer und lange Vorsitzender der Partei, der sich anschließend spontan den Fragen der Journalisten stellte.

 www.frontnational.com

Foto: Marine Le Pen im Wahlkampf: „Marine ist die Kandidatin der Jugend, weil sie die Anti-System-Kandidatin ist. Das ist für uns eine immense Hoffnung, weil sie damit die Kandidatin der Zukunft ist.“

 

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