© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  17/12 20. April 2012

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Die Schlacht um das Rederecht
Paul Rosen

Auf einmal will es keiner gewesen sein. „Die Entscheidung in dieser Angelegenheit ist bislang nicht gefallen und wird kurzfristig nicht erfolgen“, beschieden die beiden Parlamentarischen Geschäftsführer von Union und FDP, Peter Altmaier und Jörg van Essen. „Diese Vorschläge sind nicht ausgereift und werden so nicht kommen“, erklärte der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion, Thomas Oppermann. Es geht um einen Vorschlag des Geschäftsordnungsausschusses des Bundestages, Rednern mit von ihrer Fraktion abweichender Meinung das Rederecht im Plenum einzuschränken. Union, SPD und FDP hatten sich damit auf Konsequenzen aus den Rettungsschirm-Debatten verständigt. Dort hatten die als „Euro-Rebellen“ bezeichneten Abgeordneten Klaus-Peter Willsch (CDU) (Kommentar Seite 2)und Frank Schäffler (FDP) ihre Kritik in kurzen Reden vortragen dürfen. Die Redezeit war ihnen von Präsident Norbert Lammert (CDU) zugestanden worden. Die Fraktionsführungen von Union und FDP waren dagegen gewesen. Aber der Präsident hat eine starke Stellung.

Diese starke Stellung wollte eine Große Koalition zusammen mit dem Appendix FDP schwächen. Der Präsident sollte danach Abweichlern Redezeit nur im Benehmen mit den jeweiligen Fraktionen erteilen. Und die Redezeit sollte auf drei Minuten begrenzt werden. Auch wenn Altmaier, van Essen und Opperman eifrig versichern, die Sache sei nicht in trockenen Tüchern gewesen, so muß doch die Frage gestellt werden, wieso das Thema bereits für den 26. April auf der Tagesordnung des Bundestages steht.

Der Vorgang ist bei näherem Hinsehen ungeheuerlich und spricht dem Grundgesetz hohn, nach dem der Abgeordnete „an Aufträge und Weisungen nicht gebunden” und nur seinem Gewissen verpflichtet ist. Was hier in einem kleinen, aber sehr wichtigen Gremium vorbereitet worden war, war ein Schlag gegen Demokratie und Parlamentarismus. „Die Volkskammer läßt grüßen“, empörte sich Bild und warnte vor „Blockparteien im Bundestag“. Drastisch formulierte Willsch, er habe sich gefragt, ob als nächstes „das Publizierungsverbot oder Hausarrest kommen soll“.

Unabhängige Abgeordnete mundtot machen zu wollen, wäre einer Machtübernahme durch die kleine Kaste der Parlamentarischen Geschäftsführer gleichgekommen. Die Altmaiers und Oppermänner der Fraktionen haben in den vergangenen Jahrzehnten eine Günstlingswirtschaft ohnegleichen etabliert und, wie das Rederecht zeigt, bis ins Groteske getrieben. Die Parlamentarischen Geschäftsführer sind die heimlichen Herrscher im Bundestag und zugleich die Vögte der Regierungs- und Parteichefs. Wer mit ihnen gut kann, wer brav die offizielle Litanei nacherzählt, kommt in gute Ausschüsse, in Büros mit Ausblick, erhält hochqualifizierte Mitarbeiter und darf auf Auslandsreisen in die schönsten Länder.

Wer sich aber der Sache verpflichtet fühlt und seine Meinung selbst zu bilden pflegt, muß sehen, was übrigbleibt. Und den Mund sollte er zudem halten, so der erst einmal gestoppte Plan.

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