© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  17/12 20. April 2012

Grüße aus Jerusalem
Schrille Debatten
Philipp Gracht

Mit Tomaten wie in den 1970er Jahren kann Grass in Israel nicht mehr beworfen werden. Da ist Eli Yishais Einreiseverbot vor. Der israelische Innenminister von der ultra-orthodoxen Schas-Partei – bekannt dafür, rhetorisch keine Gefangenen zu machen – hat mit der verhängten konsularischen Höchststrafe allerdings auch die öffentliche Meinung seines Landes gespalten. Tatsächlich gab es zuvor niemanden, der Grassens „Gedicht“ „Was gesagt werden muß“ wirklich gerechtfertigt hätte. Je nachdem, wie weit man nach links oder rechts ging, wurde entweder wachsende Verwunderung über die intellektuelle Entgleisung des Nobelpreisträgers laut, oder – nach rechts – schriller werdende Antisemitismus-Vorwürfe.

Gleich nach der Veröffentlichung des Textes  hatte die linksliberale Zeitung Haaretz den bekannten Publizisten Tom Segev entgegnen lassen, der „Was gesagt werden muß“ mit verbindlichen Worten für eher erbärmlich denn antisemitisch hielt. Der Liberale Segev, der Grass anläßlich der hebräischen Übersetzung seines Buches „Beim Häuten der Zwiebel“ vergangenen Sommer interviewt hatte, widersprach Grassens Selbsteinschätzung, ein Schweigetabu über die Richtigkeit eines israelischen Präventivschlags gegen den Iran gebrochen zu haben. Gerade in Israel werde diese Frage höchst kontrovers diskutiert.

 Wesentlich schärfer im Ton war da schon Efraim Zuroff, der Direktor des Simon-Wiesenthal-Centers in Jerusalem. Die konservative Zeitung Jerusalem Post ließ ihn sagen, daß Grass’ Meinung Ausdruck der Wandlung des deutschen Antisemitismus der letzten Jahre sei. Der Dichter habe sich mit dem Bekenntnis seiner SS-Mitgliedschaft selbst disqualifiziert, was seine Position als moralisches Gewissen der Deutschen nach 1945 grundlos erscheinen lasse. So mäanderte die Debatte – die anders als in Deutschland nie die alles andere verdrängende Wucht erreichte – hin und her, bis Yishai in Aktion trat.

Wenigstens der liberale Teil der israelischen Öffentlichkeit begann, das Einreiseverbot zu diskutieren. Haaretz hielt es für hysterisch und undemokratisch. Yishai ließ sich davon nicht beeindrucken. Und nachdem Grass ihn mit Stasi-Chef Mielke verglichen hatte, setzte er seinem Angebot, mit der Persona non grata in einem neutralen Land diskutieren zu wollen, noch eines drauf: Es reue ihn, über den SS-Mann Grass nicht schon bei Amtsantritt vor drei Jahren den Einreisebann verhängt zu haben.

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