© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  17/12 20. April 2012

Seitenstiche auf der Zielgeraden
Präsidentschaftswahl in Frankreich: Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Präsident Sarkozy und Herausforderer Hollande / Marine Le Pen erhofft Achtungserfolg
Norbert Breuerpyroth

In der französischen Präsidentschaftskampagne geht es rasant auf die Ziellinie zu. Parallel dazu wartete sie in letzter Zeit mit einigen Überarschungen auf.

Denn Anfang April hatte sich der vordem nahezu hoffnungslos abgeschlagene Amtsinhaber Nicolas Sarkozy an die Spitze geschoben, zumal er von den tragischen Terrorereignissen in Montauban zu profitieren vermochte. Indes lag er nur eine Nasenlänge vor dem Sozialisten François Hollande.

Anderthalb Wochen vor der Wahl zog Hollande nun wieder vorbei. Jedenfalls bei vier von sechs Instituten. Die Bandbreite liegt zwischen 27 bis 30 Prozent für Hollande (dessen ehemalige Lebensgefährtin Royal erreichte 2007 25,9 Prozent) und 26 bis 28 Prozent für Sarkozy (2007: 31,2 Prozent).

Dennoch birgt das Kopf-an-Kopf-Rennen nur wenig Spannung – beide Kontrahenten werden es bequem in die Endrunde schaffen. Erst dann werden die Karten ganz neu gemischt, die Stimmen der Unterlegenen sich auf die beiden Sieger der ersten Runde verteilen. Es gliche einer Sensation, wenn dennoch ein Kandidat am 22. April mehr als die Hälfte aller Stimmen auf sich vereinigt – bislang war in der 5. Republik noch immer eine zweite Runde unvermeidlich.

Um den dritten Platz kämpfen den Umfragen zufolge unverdrossen und mit Verve Marine Le Pen (14 bis 16 Prozent – ihr Vater Jean-Marie Le Pen erzielte 2007 10,4 Prozent) und Jean-Luc Mélenchon (13 bis 17 Prozent), beide für ihren jeweiligen „Front“, hie den nationalen, da den radikal-linken.

Außer dem bürgerlich-liberalen François Bayrou (9 bis 11 Prozent – 2007: 18,6 Prozent) liegt der Rest der insgesamt zehn Kandidaten (2007: zwölf) zwischen Null und 1,5 Prozent. Zu letzteren zählt Kandidat Jacques Cheminade, dessen kühne Ansinnen, daß Französisch wieder wie im Mittelalter gesprochen, Chorgesang zum festen Schulfach und der Mars kolonialisiert werde, auf sehr verhaltenen Beifall stößt.

Wahlplakate sind noch eher rar. Die Kandidaten stellen sich lieber in TV-Debatten dem eher desinteressierten Publikum. 32 Prozent der Franzosen möchten laut dem Institut Ifop denn auch gar nicht erst zur Wahl schreiten – so viele wie noch nie. Auf die Frage, wen er für den seriösesten der Kandidaten halte, antwortet Daniel, 54jähriger Orthopädietechniker aus Metz entsprechend: „Sarkozy ist bloß der am wenigsten schlimme – wenn ich könnte, würde ich weiter Chirac wählen.“ Suzanne, 46jährige Übersetzerin aus Nîmes, hält Bayrou für den seriösesten, doch wisse man nicht, wofür er eigentlich stehe.

Die Wahlwilligen sind indes weniger entschieden als erwartet. Wer mit links sympathisiert, hat die Qual der Wahl. Will er mit Monsieur Hollande einen exorbitanten Spitzensteuersatz von 75 Prozent einführen oder mit dem ehemaligen Bildungsminister Mélenchon gar alle Jahreseinkommen über 350.000 Euro in stalinistischer Manier enteignen? Da das Gehalt des französischen Staatspräsidenten bei 240.000 Euro liegt (plus einem rechenschaftsfreien Etat in Millionenhöhe für Repräsentatives), beträfe Mélenchon diese Regelung selbst auch nicht.

In den Sympathiewerten der Studierenden liegt Sozialist Hollande klar vorne. Von den 18- bis 24jährigen Franzosen erhält nach neuesten Umfragen hingegen Marine le Pen mit 26 Prozent unerwartet mehr Zustimmung als alle anderen. Le Pen bekräftigte, ihr Ziel sei es, am Abend des 22. April, trotz eines „Systems, das brutal gegen sie eingestellt sei“, zu obsiegen. Sie werde mehr als 20 Prozent erreichen und Mélenchon mit beachtlichem Abstand in die Schranken weisen. Gegenwärtig protestiert sie vehement dagegen, daß Strafgefangene mit bis zu fünfjährigem Freiheitsentzug auf Antrag an den Wahlen teilnehmen können: „Können Sie sich vorstellen, daß man Kriminelle und Häftlinge auf die Straßen entläßt, damit sie wählen gehen können?“

Während sich Sarkozys Berater momentan darüber heftig raufen, ob man nun weiter nach rechts oder lieber mittig steuern sollte, warnt Außenminister Juppé davor, daß Frankreich auf den Finanzmärkten in „furchterregende Turbulenzen“ geraten werde, zöge Hollande, welcher den Finanzmärkten straffe Zügel anlegen will, in den Elysée-Palast ein. Der so Gebrandmarkte warf den Konservativen vor, Unruhe zu schüren, weil die Umfragen ihn als klaren Sieger sehen. Womit er recht hat, denn in einem sind sich die Umfrageinstitute für die Stichwahl am 6. Mai 2012 einig: Mit 55 bis 56 Prozent werde Hollande über den Amtsinhaber triumphieren.

Sieht man jedoch deren Voraussagen von Anfang 2012 für die erste Runde – sie sahen Hollande mit sieben Prozent vor Sarkozy –, so lagen sie alle falsch. Geht man davon aus, daß nach der ersten Runde ein enormes Stimmpotential von etwa 25 Prozent rechts und nur etwa 15 Prozent links der Mitte brachliegen dürfte, dann spräche doch vieles dafür, daß Nicolas Sarkozy Staatspräsident von Frankreich und Kofürst von Andorra bleibt. Königsmacher könnte Bayrou werden, da Sarkozy um dessen Wähler im zweiten Wahlgang buhlen wird. Und letzterer ließ denn auch schon einmal durchblicken, wie sein Willkommenspräsent für den universitären Feingeist aussähe: das Amt des Ministerpräsidenten.

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