© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  17/12 20. April 2012

Pankraz,
die Piraten und der Geist der Bürokratie

Ziemlich blümerant zumute wurde Pankraz bei Lektüre des neuen Merkur, der monatlich erscheinenden „Deutschen Zeitschrift für europäisches Denken“. Es wird da im Hauptaufsatz ausdrücklich das „Lob der Bürokratie“ gesungen, und in einem weiteren Beitrag wird kalten Blutes die „Kolonisierung“ der hiesigen Politik durch die „Verwaltung“, also eben diese Bürokratie, beschrieben. Ist da etwas dran? Wird das „demokraische Zeitalter“ demnächst von einem Zeitalter der Bürokratie abgelöst?

Auf EU-Ebene ist es ja bereits soweit. „Brüssel“ ist, wie jeder fast tagtäglich erfährt, keine Demokratie, sondern eine Bürokratie, eine Superbürokratie, die krakengleich ihre Fangarme in alle Lebensbereiche ausstreckt und das Straßburger EU-Parlament zum ohnmächtigen Anhängsel degradiert. Großintellektuelle wie Hans Magnus Enzensberger wettern dagegen; die Verfügungen der Brüsseler etwa über die erlaubten Krümmungen von EU-Bananen oder über die erlaubten Duftgrade von EU-Misthaufen liefern schon seit Jahren willkommenen Stoff für Satire-Zeitschriften und Kabarett-Auftritte.

Merkwürdig aber: Während man Brüssel geradezu routinemäßig mit Hohn übergießt, bleiben die eigenen nationalen Bürokratien völlig außen vor, speziell in Deutschland. Alle Welt stöhnt über korrupte Bürokratien, über bestechliche Beamte und ineffiziente bis chaotische Verwaltungsstrukturen, doch hierzulande gibt es lediglich seltene „Einzelfälle“, die schnell aufgedeckt, beseitigt und gesetzlich geahndet werden. Die deutsche Verwaltung insgesamt wird nirgends als Skandal oder auch nur als Belastung empfunden, sie ist kein Problem für Soziologen, man nimmt sie als Selbstverständlichkeit und ist mit ihr zufrieden.

Die Kritik der Wutbürger und Piraten richtet sich kaum gegen Bürokraten, fast ausschließlich gegen Politiker. Das utopisch-unausgegorene, streckenweise irre „Programm“ der Piratenpartei zur Einführung einer „internetgestützten Basisdemokratie“ will die politischen Parteien abschaffen bzw. ihre Macht scharf begrenzen, die Verwaltung hingegen soll offenbar voll erhalten bleiben, rückt jedenfalls nicht in den kritischen Blick. Auf Politiker, so mittlerweile die weitverbreitete Meinung, können (und sollten) wir verzichten, auf  Verwaltungsbeamte können wir nicht verzichten. Das Leben muß ja in geordneten Bahnen weitergehen.

Insofern unterscheiden sich die heutigen Wutbürger und Piraten recht scharf von den historischen Anarchisten à la Proudhon oder Kropotkin. Träumten diese von staatsfreien „Assoziationen“, wo sich die Dinge faktisch von allein regeln würden, so kennen die Piraten immerhin die Kompliziertheit des modernen, von Technik und Digitalität bestimmten Lebens und versuchen, sich darauf einzustellen. „Das Internet macht frei“, so posaunen sie unermüdlich zum Fenster hinaus, aber sie wissen natürlich, daß dieses Internet nichts weiter als ein Instrument ist, das bedient, gewartet, weiterentwickelt, kurz: verwaltet werden muß.

Wer aber verwaltet? Es kann nur die Bürokratie sein, ein streng rechtsstaatliches, im Rahmen  festgelegter Kompetenzen („Durchführungsbestimmungen“) operierendes Gremium, dessen Angehörige ihre Karriere nicht politischen Kungeleien und Grabenkriegen verdanken, sondern einzig ihrer Loyalität gegenüber dem Ganzen, ihrer Akuratesse, ihrem Fleiß und ihrer Korruptionsfreiheit. „Wenn sich die Politiker sowieso alle einig sind“, so hört man an faktisch sämtlichen Stammtischen, „wenn sie sich nur teure Schaukämpfe und Machtspielchen liefern, dann weg mit ihnen! Eine korruptionsfreie Bürokratie ist auf jeden Fall besser.“

Freilich hat die Sache einen Pferdefuß, und der ist, wenn man genau hinsieht, überdimensional. Denn just das Streben nach Akuratesse und Perfektion birgt den Keim der Perversion. Aus Regelungsmut wird allzu leicht Regelungswut, bald läuft ohne Berechtigungsschein überhaupt nichts mehr, und am Ende ist alles nur noch stickig, schrotthaltig und absurd. Es droht, deutschlandweit, eine  Superbürokratie à la Brüssel, mit gigantischen Regelungs- und Aufsichtsbehörden, die sich letztlich nur noch lächerlich machen.

Gerade im Zeichen des Internet und der „Transparenz“, also blitzschneller, sich tausendfach kreuzender Informationsströme, wo es faktisch kein herrschaftliches Arkanwissen wie in alten, absolutistischen Zeiten mehr gibt, droht diese Gefahr. Die Verwaltungsbehörden steigen – ohne es eigentlich zu wollen – selber zum informationellen Souverän auf, und das bedeutet: Die Bürokratie schlägt um in schlimmsten Bürokratismus, in Lebensfeindlichkeit und entfesselte Vorschriftenhuberei. Aus dem freien Menschen wird der „betreute“ Mensch, ein völlig zum transparenten Objekt gewordenes Etwas, dem man alles vorschreibt.

Es ist deprimierend, daß sich nichts von all diesen Gefahren in den Reden der jungen Piratenpolitiker niederschlägt. Sie fordern großmäulig die „totale“ Transparenz – und haben keine Ahnung davon, daß das gute Leben auf allen Ebenen über weite Strecken aus Maskierung und Abschottung privater Sphären gegen Zumutungen von außen besteht. Sie bejubeln das Internet – und tun so, als wüßten sie nicht, daß sich dort neben vielen schönen Möglichkeiten auch die Gemeinheit und die Zudringlichkeit, die Räuberei und das Piratentum zahlreiche Startbasen geschaffen haben.

Die Politik wird dadurch glücklicherweise nicht abgeschafft, denn das Ringen um personelle Macht und regionale Dominanz wird es immer geben, solange es Menschen gibt. Man kann es sogar so formulieren: Das Auftreten der Piraten ist selber Ausdruck von (angstbeflügelter) Herrschaftspolitik. Die aktuell Herrschenden wollen damit ablenken von der überall heranreifenden Einsicht, daß wir eine wirklich neue Politik brauchen, eine Politik, die sich nicht zuletzt gegen Superbürokratien und totalitäre Durchleuchtungspraktiken richtet und die dem einzelnen und den Völkern wieder Luft zum Atmen verschafft.

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