© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  17/12 20. April 2012

Befristet bis 2022
Empörung hier, Stillschweigen dort: Grass darf nicht nach Israel und David Irving nicht nach Deutschland
Felix Krautkrämer

Die Entscheidung Israels, Günter Grass wegen seines Gedichts zur israelischen Iran-Politik zur Persona non grata zu erklären, ist mehrheitlich auf Kritik gestoßen. Als „hysterisch“ bezeichnete beispielsweis die israelische Zeitung Haaretz das Einreiseverbot für Günter Grass. Solche Überreaktionen seien eher typisch für Regime wie in Nordkorea oder dem Iran. Auch in Deutschland überwog das Unverständnis für den Vorgang und die Auffassung, daß ein Einreiseverbot eine Maßnahme darstelle, die einem demokratischen Staat unangemessen sei.

Doch was im Fall des Literaturnobelpreisträgers für Empörung sorgte, ist bei einem anderen Autor offenbar rechtens. Der Historiker David Irving darf bereits seit 1993 nicht mehr nach Deutschland einreisen – und das, obwohl er als britischer Staatsbürger aufgrund des Freizügigkeitsgesetzes der Europäischen Union hierzulande grundsätzlich das Recht auf Einreise und Aufenthalt genießt. Irving war 1993 wegen Beleidigung und Verunglimpfung des Ansehens Verstorbener verurteilt worden, weil er bei einer Veranstaltung in München gesagt hatte, die in Auschwitz gezeigte Gaskammer sei „eine Attrappe“, die nach dem Kriegsende von den Polen gebaut wurde. Die Münchner Ausländerbehörde verhängte im November 1993 deswegen ein unbefristetes Verbot auf Wiedereinreise gegen den Historiker, das nach einem mehrjährigen Verfahren 1999 rechtskräftig wurde.

Wegen einer ähnlichen Äußerung war von einem Wiener Gericht bereits 1989 Haftbefehl gegen Irving erlassen worden. Das Wiener Straflandesgericht sah es als erwiesen an, daß er bei einem Vortrag in Österreich die Ermordung von sechs Millionen Juden durch die Nationalsozialisten und damit den Holocaust geleugnet habe. Als Irving im November 2005 für einen Vortrag zur Wiener Burschenschaft Olympia reiste, wurde der Haftbefehl vollstreckt und der damals 67jährige im darauffolgenden Februar zu einer dreijährigen Haftstrafe ohne Bewährung verurteilt (JF 9/06). Nachdem das Oberlandesgericht Wien die Haftstrafe im Dezember 2006 zur Bewährung aussetzte, wurde Irving nach England abgeschoben. Zuvor hatte ihm das österreichische Innenministerium ein unbefristetes Aufenthaltsverbot erteilt. Auch andere Länder, darunter Kanada, Australien und Neuseeland, darf der Publizist nicht mehr betreten.

Im September vergangenen Jahres beantragte Irving bei der zuständigen Ausländerbehörde Münchens, das unbefristete Einreiseverbot von 1993 gegen ihn zu befristen und nach 18 Jahren nicht länger aufrechtzuhalten. Anfang März nun erhielt er die Antwort: Die Behörde teilte seinem Anwalt mit, daß sie das Verbot auf Wiedereinreise nachträglich auf den 1. März 2022 befriste. Irving wird dann 84 Jahre alt sein.

Bereits 2007 hatte der Historiker über die Deutsche Botschaft in London eine Einreiseerlaubnis beantragt, um für sein Buch über Heinrich Himmler in deutschen Archiven recherchieren zu dürfen. Dies war von der Ausländerbehörde München trotz der im Grundgesetz garantierten Forschungsfreiheit mit der Begründung abgelehnt worden, bei einem Aufenthalt Irvings in Deutschland sei die öffentliche Sicherheit und Ordnung „schwerwiegend beeinträchtigt“.

Ähnlich argumentiert das Amt auch in seiner jüngsten Entscheidung: „Da Ihre Einstellung zum Geschichtsrevisionismus und zum Holocaust unverändert ist, muß daher davon ausgegangen werden, daß sowohl die öffentliche Ordnung als auch die innere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland im Falle eines weiteren Aufenthalts im Bundesgebiet erneut schwerwiegend beeinträchtigt würde“, heißt es in dem 13seitigen Schreiben, das Irving auf seiner Internetseite veröffentlichte.

Zwar seien seine „Aktivitäten“ nach Erlaß der Ausweisungsverfügung 1993 teilweise zurückgegangen, gestand die Ausländerbehörde Irving zu, „aber eine Änderung Ihrer Gesinnung beziehungsweise eine Distanzierung vom früheren Verhalten“ sei nicht ersichtlich, „so daß weiterhin eine Gefährdung von Ihnen ausgeht“.

Für ihre Einschätzung hatte die Behörde mehrere Stellungnahmen eingeholt, unter anderem vom bayerischen Landesamt für Verfassungsschutz, dem bayerischen Landeskriminalamt (LKA), dem Bundesinnenministerium und dem Bundesnachrichtendienst. Laut dem Verfassungsschutz würden Irvings Bücher nach wie vor durch einschlägige Verlage der rechtsextremen Szene angeboten und zählten immer noch zu den „wichtigsten revisionistischen Ausarbeitungen“. Zudem sei zu erwarten, daß Irving im Falle der Einreise seine Vortragsveranstaltungen in Deutschland wieder aufnehme.

Das bayerische LKA bezeichnete Irving als Rechtsextremisten und „selbsternannten Historiker“, der bestrebt sei, in seinen Thesen die Gewaltherrschaft der Nationalsozialisten zu verharmlosen. Das Bundesinnenministerium wies darauf hin, daß Irving im September 2009 in einem Interview mit der spanischen Tageszeitung El Mundo unter anderem behauptet hatte, die Juden hätten den Holocaust in ein kommerzielles Produkt verwandelt, mit dem sie erfolgreich Geld verdienten. Zudem habe er die Feststellung, daß Hitler die Juden vernichten wollte, als „Propaganda-Lüge“ bezeichnet.

Zwar hätten sämtliche Sicherheitsbehörden nicht abschließend beurteilt, welche Rolle Irving derzeit in der rechtsradikalen Szene spiele, so die Ausländerbehörde, da seine Einstellung zum Geschichtsrevisionismus und zum Holocaust aber unverändert sei, müsse davon ausgegangen werden, daß er im Falle seiner Einreise erneut in Deutschland entsprechende Vorträge halten werde. Diese könnten von rechtsextremen Gruppierungen geheim und über das Internet organisiert werden, wodurch die Gefahr bestehe, daß bei solchen „konspirativen Veranstaltungen“ rechtsextremes Gedankengut geäußert oder gar verbreitet wird“.

Immerhin zeige der Fall der „Zwickauer Terrorgruppe“, „daß die rechtsextremistische Szene im Bundesgebiet weiterhin aktiv und vor allem in der Lage ist, sich konspirativ zu vernetzen“, erläuterte die Behörde ihre Entscheidung.  Irving habe in der Vergangenheit die öffentliche Sicherheit und Ordnung in Deutschland erheblich beeinträchtigt. Weder seine Ausweisung noch die strafrechtlichen Verurteilungen hätten zu einer Änderung seines Verhaltens geführt. „Ein weiteres Fernhalten Ihrer Person aus dem Bundesgebiet ist daher sowohl geeignet als auch erforderlich, um das gesellschaftliche Grundinteresse der öffentlichen Sicherheit und Ordnung zu wahren.“

Irving kündigte gegenüber der JUNGEN FREIHEIT an, gegen den Bescheid vorzugehen. Über seinen Anwalt hat er bereits Klage beim Verwaltungsgericht München eingereicht. Das Schreiben der Ausländerbehörde enthalte eine Reihe von Lügen und Unwahrheiten über seine Person. Er habe mehrfach betont, „daß der Holocaust als nicht wegzuleugnende und feststehende Tatsache angesehen und behandelt werden muß“, sagte Irving. Der Unterschied zwischen ihm „und der feigen und konformen deutschen Historikerschaft“ liege in den Details. Er sei zum Beispiel der Ansicht, daß Auschwitz nicht eine so wichtige Vernichtungsstätte gewesen sei wie andere Vernichtungslager.

 

David Irving

Zwei Jahrzehnte lang bis etwa Mitte der 1980er Jahre galt der 1938 in der englischen Grafschaft Essex als Sohn eines Marineoffiziers geborene David Irving international als seriöser und akribischer Quellenforscher. 1963 legte er ein vielbeachtetes Buch über die alliierten Luftangriffe auf Dresden vor und war Autor einer Spiegel-Serie. Es folgten ebenfalls überwiegend positiv aufgenommene Bücher über Erwin Rommel, den Nürnberger Prozeß und über Hitler. Irvings Beiträge zur Geschichte des Nationalsozialismus hielten viele insbesondere anglo-amerikanische Historiker für „unentbehrlich“. Gordon A. Craig, inzwischen verstorbener Professor für deutsche Geschichte an der Universität von Stanford, schrieb in der New York Review of Books am 16. Oktober 1996: „Wenn wir Irving mundtot machten, würden wir einen hohen Preis zahlen, bloß um uns von dem Ärger, den er uns macht, zu befreien.“ Ironie der Geschichte: Sein Recherche- und Aktenmaterial hat David Irving vor Jahren bereits unter dem Namen „Sammlung Irving“ an das Institut für Zeitgeschichte in München gegeben. (tha)

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