© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  17/12 20. April 2012

Mit den Kobolden in die Ferne
Dig, Dag, Digedag: Eine Ausstellung widmet sich dem DDR-Comic „Mosaik“
Paul Leonhard

Haben Sie das Mosaik?“ Jeden Monat die gleiche bange Frage. Und groß die Freude, wenn der Kioskbetreiber unter den Ladentisch griff und das bunte Heft hervorzauberte. Die 60 Pfennige hielt ich abgezählt bereit. Oft war es aber schon ausverkauft und es galt, den nächsten oder übernächsten Zeitungsverkäufer aufzusuchen. Manchmal brachte auch Vater zufällig von irgendwo das Heft mit.

Hunderttausende Kinder sind in der DDR mit den Comic-Figuren Dig, Dag und Digedag aufgewachsen. Im grauen Sozialismus öffnete sich ihnen in den abenteuerlichen Bildgeschichten eine sonst verschlossene Welt. Sie reisten mit Piraten in die Südsee, erlebten die Römerzeit, noch bevor in Frankreich der erste Asterix-Comic erschien und eroberten den Weltraum. Sie begegneten berühmten Erfindern und begleiteten den Ritter Runkel auf seiner Schatzsuche von Venedig bis nach Konstantinopel. Und die Mosaiks vermittelten – weitgehend ideologiefrei – historisches, geographisches sowie naturwissenschaftlich-technisches Wissen. Das war vor allem Hannes Hegen zu verdanken, der das auch wirtschaftlich erfolgreiche Mosaik erfunden hatte und bis 1975 für Inhalt und Gestaltung verantwortlich war.

Zwanzig Jahre lang, von 1955 bis 1975, erschien die Comic-Zeitschrift. 223 Hefte, die die Sammler heute in fünf Serien unterteilen: Südsee-, Römer-, Weltraum- und Erfinder-Serie (Heft 1 bis 89), Runkel-Serie (90 bis 151), Amerika-Serie (152 bis 211), Orient-Serie (212 bis 223) und Wiederholungshefte (224 – 229). Die Auflage lag bei bis zu 660.000 Exemplaren. Neben den DDR-Ausgaben wurden die Hefte auch – auf besseres Papier gedruckt – in Westdeutschland und Österreich vertrieben.

Als ich das Mosaik Ende der 1960er Jahre entdeckte, waren schon mehr als hundert Hefte von Hegen und seinem Künstlerkollektiv erschienen. Die Kobolde erlebten ihre Abenteuer gerade zu zweit. Digedag war verschwunden. Ich sollte ihn erst viel später kennenlernen. Dafür war ich im Mittelalter unterwegs und fieberte mit Ritter Runkel von Rübenstein, der sich, um die Gunst des schönen Fräuleins von Möhrenfeld zu gewinnen, auf viele spannende Abenteuer einließ. Und natürlich mußten ihm immer wieder seine beiden Knappen Dig und Dag aus der Patsche helfen.

Aber auch die Amerika-Serie las sich spannend. 60 Hefte sollten es werden. Dann ging es in den Orient. Und als Heft 224 drückte mir der Kioskbesitzer plötzlich wieder ein Ritter-Runkel-Heft in die Hand. Ich war sprachlos. Denn das hatte ich schon. Mühselig erkaupelt von einer Schulfreundin, die es ihrem großen Bruder heimlich weggenommen hatte. Das plötzliche Wiederauftauchen Runkels beschäftigte mich. War Hegen unerwartet verstorben oder in den Westen ausgereist? Und warum druckte man dann nicht einfach die ersten Nummern des Heftes nach, die ja den meisten Sammlern fehlten? Fragen, auf die es damals keine Antwort gab. Sechs Nachdrucke erschienen. Dann waren die Digedags Geschichte, und im Januar 1976 erschienen drei neue Helden im Mosaik: die Abfrafaxe. Ebenfalls drei Kobolde, aber mein Herz konnten sie nicht mehr gewinnen.

Dafür lacht das Herz jetzt angesichts einer Ausstellung im Zeitgeschichtlichen Forum Leipzig. „Dig, Dag, Digedag. DDR-Comic Mosaik“ heißt die große Schau, die nicht nur die Entstehung und Geschichte des legendären Hefts beleuchtet, das wir zu DDR-Zeiten nie als Comic bezeichneten. Rund 700 Objekte, darunter mehr als 250 bisher unveröffentlichte Originalzeichnungen, Entwürfe, Vorlagen und Modelle aus dem Archiv des Digedag-Schöpfers Hannes Hegen sind zu sehen. Da begegnen wir ihnen wieder: dem Löwen Nero und dem Ritter Runkel, auch den Helden der Amerika-Serie. Zugleich öffnen sich neue Perspektiven: Der kreative und künstlerische Entstehungsprozeß der Zeitschrift Mosaik wird anhand ausgewählter Beispiele anschaulich dargestellt.

Bereits im Juli 2009 hatte der Berliner Comiczeichner, Karikaturist und Grafiker Johannes Eduard Hegenbarth, der sich hinter dem Pseudonym Hannes Hegen verbarg, seine umfangreiche Sammlung der Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik übergeben. Wie groß dieser Schatz ist, davon bekommt man jetzt beim Besuch der Mosaik-Schau eine ungefähre Vorstellung. Denn die 900 Ausstellungsstücke sind eben nur eine Auswahl aus knapp 50.000 Zeichnungen und Entwürfen, die Leipzig jetzt besitzt und die sorgfältig katalogisiert, auch konserviert werden. Und das Mosaik gibt es noch immer am Kiosk. Es darf sich als das älteste und auflagenstärkste – weit über 200 Millionen Hefte – noch erscheinende Comic deutscher Produktion bezeichnen.

Die Ausstellung ist bis zum 13. Mai im Zeitgeschichtlichen Forum Leipzig, Grimmaische Str. 6, täglich außer montags von 9 bis 18 Uhr; Sa,/So. ab 10 bis 18 Uhr, zu sehen. Der Eintritt ist frei. Telefon: 03 41 / 22 20-0

 www.hdg.de

Foto: Entwurfszeichnung von Johannes Hegenbarth für die drei kleinen Helden des „Mosaik“, 1955

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