© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  17/12 20. April 2012

„Handelsblatt“, neu gemacht
Gabor Steingart hat der Wirtschaftszeitung ein neues Image verpaßt – mit mitunter fragwürdigen Methoden
Andreas Ferber / Ronald Gläser

Der Sturm der Entrüstung, den das Handelsblatt erst mit dem Aufsatz von Stefan Heveling und dann mit der Artikelserie zum Urheberrecht „Mein Kopf gehört mir“ ausgelöst hat, kann sich sehen lassen. Bei Twitter tobte eine nicht enden wollende Debatte. Die Piratenpartei hat sogar eine eigene Erklärung dazu abgegeben. Wer so berichte wie das Handelsblatt, der „handelt entweder aus Unwissenheit oder verfolgt eigene Interessen“, teilte Vizechef Bernd Schlömer mit. 

Das Handelsblatt sucht Streit. In regelmäßigen Abständen übernimmt es umstrittene Positionen bei konfliktträchtigen Themen. Dahinter steckt eine Strategie, mit der Chefredakteur Gabor Steingart das Blatt in den letzten zwei Jahren von Grund auf erneuert hat.

Früher war das Handelsblatt ein verschnarchtes Blatt, das viele nur aus einem einzigen Grund gekauft haben: wegen des Kursteils. Der redaktionelle Teil hatte nur eine Alibifunktion. Wichtig war, daß Investoren im Finanzteil Kurse finden konnten, die sonst in keiner anderen Zeitung standen. Spezialwerte. Exotische Börsen wie Istanbul oder Singapur. Optionsscheine. Das alles gab es nur im Handelsblatt. Mit dem Aufkommen des Internets war dieses Alleinstellungsmerkmal futsch. Heute ziehen sich Investoren solche Informationen aus dem Netz. Niemand kauft eine Zeitung, um Börsenkurse von gestern zu erfahren. Ein radikaler Wechsel war nötig.

Dafür steht Gabor Steingart. Der 49jährige kommt vom Spiegel, gehörte dort zu den – vergleichsweise – liberalen Journalisten, die unter Stefan Aust Karriere machten und nach dessen Rauswurf keine Zukunft mehr bei dem wieder strikt nach ganz links gedrehten Nachrichtemagazin sahen. Mit Titelgeschichten wie „Abstieg eines Superstars“ hatte sich der Wirtschaftsjournalist mit taz-Vergangenheit für Arbeitgeber wie das Düsseldorfer Handelsblatt empfohlen. Seit dem 1. April 2010 leitet er die Zeitung im Tabloid-Format.

Was er vom Spiegel mitbrachte, das war die Fähigkeit zur Zuspitzung und zur Provokation. Kurz vor seinem Wechsel hatte Steingart 2009 mit einem Buch auf sich aufmerksam gemacht, in dem er sich dazu bekannte, Nichtwähler zu sein.

Beim Handelsblatt angekommen, setzte Steingart diese Strategie fort: Die Möglichkeit dazu fand er in einem Aufruf zum Kauf griechischer Staatsanleihen von 24 Prominenten am 3. Mai 2010, um das Land vor dem Ruin zu retten. „Das Handelsblatt will eine Stimme der Vernunft sein“, schrieb Steingart damals. Gefragt sei ein Vertrauensvorschuß, den Europas Bürger den Griechen entgegenbringen müßten. Dies wollten die Prominenten mit dem Kauf der Anleihen tun. Es war eine „Wir haben abgetrieben“-Titelgeschichte für linksliberale Wirtschaftsmagnaten.

Der Artikel löste eine heftige Debatte aus. Es war die Zeit, als Bild damit begann, die Griechen für den bevorstehenden Zusammenbruch des Euro-Währungssystem zu tadeln. Das Handelsblatt setzte damals gekonnt einen Kontrapunkt und schlug sich auf die Seite der Griechen, mit denen Deutschland solidarisch sein müsse.

Nun, zwei Jahre später, zeigt sich, daß die Kampagne ein Flop war. Zumindest ökonomisch gesehen. Müßte nicht ein Wirtschaftsmagazin, das den Kauf von Anleihen empfiehlt, die dann abgewertet werden, einen Irrtum einräumen?

Wer beispielsweise am 10. Mai 2010 die zwanzigjährige Anleihe mit der Wertpapierkennummer 292899 gekauft hat, der hat damals 83,48 Euro bezahlt. Heute notiert dieses Papier, das noch bis 2019 läuft, bei 20,50 Euro. Der Markt rechnet damit, daß der Anleger fast leer ausgeht.

Für das Handelsblatt ging es aber eher um den PR-Erfolg. Der war wichtiger als die Treffsicherheit der eigenen Prognose. Das könnte auch daran liegen, daß die Aktion gar nicht ernst gemeint war. Inzwischen ist herausgekommen, daß einige der Prominenten von damals entweder gar keine Anleihen gekauft haben (zum Beispiel Hans Eichel) oder sie beizeiten wieder veräußert haben (zum Beispiel Steingart selbst).

Nachfragen der JUNGEN FREIHEIT bei den 25 Griechenland-Freunden legen den Verdacht nahe, daß es sich bei dem Aufruf um eine Spaßaktion gehandelt hat. Von denjenigen, die noch griechische Staatsanliehen halten, äußerten sich nur zwei: Wolfgang Kirsch, der Chef der DZ Bank, erklärte, er habe Anleihen bereits vor dem Aufruf besessen, was für den reinen PR-Charakter der Aktion spricht. Fritz Horst Melsheimer, der Chef der Hanse Merkur Versicherung, ließ gegenüber der JF mitteilen: „Unser Unternehmen hält derzeit keine weiteren Staatsanleihen aus den PIGGS-Staaten im Anlage-Portefeuille.“ Die Solidarität hat also  nicht lange gewährt.

Alle anderen haben ihre Anleihen entweder verkauft wie Steingart und sein damaliger Onlinechef Sven Scheffler. Dieser teilte mit: „Ich habe damals griechische Staatsanleihen erworben, die mittlerweile zurückgezahlt worden sind, Verlust habe ich dabei nicht erlitten.“ Einzig Melsheimers Hanse Merkur und der RWE-Chef Jürgen Großmann scheinen Geld bei der Aktion verbrannt zu haben. Die meisten Unterstützer der Aktion haben sich jedoch gar nicht geäußert.

Foto: „Handelsblatt“-Chefredakteur Gabor Steingart: Der ehemalige „Spiegel“-Journalist hat das „Handelsblatt“ vollständig umgekrempelt

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