© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  18/12 27. April 2012

Gezähmte Freibeuter
Piratenpartei: Obwohl ihr Programm radikal links ist, trifft sie die Faschismus-Keule
Michael Paulwitz

In der bundesrepublikanischen Politanstalt, in der die faktenfrei geschwungene Fascho-Keule als effektivste Totschlagwaffe zur Erledigung politischer Gegner gilt, kann jeder jederzeit jedermanns Nazi werden. Aktuell muß das gerade die Piratenpartei lernen: Wahlerfolge und Umfragerekorde haben sie über Nacht vom allseits wohlwollend gehätschelten autonomen politischen Kinderladen zum mißtrauisch beäugten Konkurrenten im Spiel um Macht und Mandate gemacht.

Bereits in Berlin haben die Piraten der Grünen-Spitzenkandidatin den Triumphzug auf den Bürgermeistersessel vermasselt. In Nordrhein-Westfalen gefährden sie die schon sicher geglaubte neue rot-grüne Mehrheit und drohen das Neuwahlmanöver der bisherigen Minderheitsregierung ad absurdum zu führen – mit bundespolitischer Signalwirkung. Kein Wunder also, daß die Berliner und Bundesspitzen von Grünen und SPD beim „Shitstorm“ der Altparteien gegen die Frischlinge ganz vorne mit dabei sind, daß Figuren wie Künast oder der unvermeidliche Wolfgang Thierse sie ein ums andere Mal mit der rituellen Forderung piesacken, sie sollten doch „endlich“, in den Worten der grünen „Expertin“ Monika Lazar, eine „klare Absage an Rechtsextremismus und Geschichtsrevisionismus hinbekommen“.

Sachlich ist das natürlich, wie immer, wenn im tagespolitischen Gefecht mit braunem Dreck geworfen wird, blanker Unsinn. Die Piraten sind eine weitere linke Partei, die vierte oder fünfte im parlamentarischen Spektrum, daran ändern auch ein paar ehemalige NPD-Mitglieder oder irgendwo rausgerotzte schräge Vergleiche nichts: Vom quengeligen „Ich-will-immer-alles-sofort-und-umsonst-aus-dem-Internet-und-kein-Staat-soll-mich-beim-Daddeln-und-virtuellen-Dauerschwätzen-stören“ mal abgesehen, lesen sich die vorhandenen Programm-Bruchstücke, als hätte sie ein ganzer Schwarm kleiner Guttenbergs wahllos aus den grünrotlinken Propaganda-Versatzstücklagern zusammenkopiert, von Gender-Unfug und Homo-Adoption über Grundeinkommen und Einheitsschule bis zu Multikulti, Einwanderungs- und Drogenfreigabe.

Daß die CDU das achselzuckend übergeht und sich zum Verdruß der anderen auch beim rituellen Piratenverdreschen mit dem Extremismusknüppel so auffallend zurückhält, hat folglich wiederum in erster Linie taktische Motive: Bei allen bisherigen Wahlerfolgen haben die Piraten vor allem die Rotgrünlinken Stimmen gekostet, die Union dagegen kaum; manch schwarzer Schlaumeier spekuliert schon, die Netz-Chaoten könnten, wenn sie das linke Spektrum weiter spalten, Frau Merkel die nächste Kanzlerschaft ermöglichen. Sind sie erst mal etabliert und koalitionsfähig, kann man sie ja immer noch umarmen.

Auf der parteitaktischen Ebene ist das plötzliche Auspacken des Nazi-Hammers gegen die ach so jugendlichen und erfrischenden Piraten zunächst einmal ein panischer Beiß- und Abwehrreflex. Vor allem die Grünen sind angefressen: Die saturierten und ergrauten Technikfeinde von einst sehen sich mit einer neuen Generationenpartei junger IT-Gläubiger konfrontiert, die sich in ihren Anfängen zwar ähnlich chaotisch präsentieren wie die Grünen einst selbst, ohne aber ihren Selbstverwirklichungstrieb mit Weltrettungs- und Gesellschaftsveränderungsphantasien zu verbrämen. Derweil dämmert es allmählich auch den Intellektuellen und „Kreativen“ aus der grünroten Klientel, daß die sympathischen Radikaldemokraten unterm Piratensegel vor allem geistige Enteignung meinen, wenn sie ihre alten Parolen wie „mehr Demokratie wagen“ wiederaufwärmen.

Daß man die Piratenpartei mit Rechtsextremismus-Bannflüchen nicht loswird, wissen natürlich auch Leute wie Volker Beck oder SPD-Chef Gabriel, die inzwischen zurückrudern. Auf einer zweiten, systemstabilisierenden Ebene erfüllt die künstlich hochgezogene Nazi-Kampagne dennoch ihren Zweck. Denn es gibt bei den Piraten zwar keinen inhaltlich abgrenzbaren rechten oder konservativen Flügel, wohl aber Leute, die unbekümmert um politisch korrekte Sprachregeln drauflosreden und das selbstauferlegte basisdemokratische Prinzip des Alle-mitreden-Lassens immerhin so ernst nehmen, daß sie sich wie der Berliner Landesvorsitzende Hartmut Semken gegen „Abgrenzungswahn“ und die totale persönliche Diffamierung und Ächtung der Vertreter anderer Meinungen aussprechen.

Wenn man sie also schon nicht von Pfründen und Mandaten fernhalten kann, muß den Piraten wenigstens von Anfang an eingebleut werden: Wer an den Trog will, muß sich den Geboten des „antifaschistischen“ Staatskults unterwerfen. Michel Friedman exerzierte das an der Noch-Geschäftsführerin Marina Weisband trotz – oder gerade wegen – ihrer jüdischen Abstammung bis zum Kreislaufzusammenbruch. Danach legte sie ein lupenreines „Kampf gegen Rechts“-Thesenpapier vor, der Berliner Landesverband plant Antifa-Konferenz und Gesinnungs-TÜV, und Vorstands-Aspirantin Julia Schramm verfaßte einen Diskussionsverbots-Katalog der unbedingt zu beachtenden radikal-egalitären Geglaubtheiten: Kein Volk, kein Geschlecht, keine Norm, keine natürliche Ordnung: Die Piraten sind keine Opposition zur linken Diskurshegemonie, sie haben sie mit der Muttermilch aufgesogen und treiben sie auf die absurde Spitze.

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