© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  18/12 27. April 2012

Bürgermut statt ziviler Ungehorsam
Brandenburg: Sitzblockaden unter Rechtfertigungsdruck
Andreas Ferber

Im September vergangenen Jahres versuchte ein Aktionsbündnis „Neuruppin bleibt bunt“ in der brandenburgischen Kleinstadt mit einer Sitzblockade eine Demonstration von Rechtsextremisten zu verhindern. Der daraus resultierende Polizeieinsatz, den der Sprecher des Aktionsbündnisses, Martin Osinski, als schädlich für die Zivilgesellschaft bezeichnete, sorgte in Brandenburg bis hin in den Landtag für eine breite Diskussion über die Rechtmäßigkeit der „Verhinderungsblockade“. Heute sind noch 300 Ermittlungsverfahren gegen Demonstranten in der Schwebe. Kern der Diskussion bleibt die Frage, mit welchen Mitteln gegen eine rechtlich einwandfrei angemeldete Demonstration protestiert werden darf.

Die Veranstaltung „Verfassungsrechte für Verfassungsfeinde?“ des Landespräventionsrats „Sicherheitsoffensive Brandenburg“ in Zusammenarbeit mit dem Justizministerium und der Koordinierungsstelle „Tolerantes Brandenburg“ sollte in der vergangenen Woche in Potsdam Antworten liefern. Die Referenten ließen keinen Zweifel daran aufkommen, wie wichtig ihnen „Zivilcourage gegen Rechts“ ist. Gleichzeitig machten sie aber auch deutlich, daß die Verhinderungsblockade als Aktionsmittel gegen geltendes Recht verstößt. „Ich habe große Hochachtung vor denen, die trotzdem den Rechtsbruch begehen“, verdeutlichte Justizminister Volkmar Schöneburg (Linkspartei)seine Position und wies zugleich auf die Möglichkeit hin, Versammlungen von Rechtsextremisten zu verbieten oder zumindest einzuschränken. Auffällig war, daß in der Diskussion Begriffe wie Linksextremismus ausgeblendet wurden. Eine Debatte über militante Gegendemonstranten, die teilweise als „erlebnisorientierte Demonstranten“ verharmlost wurden, fand gar nicht erst statt.

Über die Grundlagen herrschte Einigkeit: Artikel 8 des Grundgesetzes gewährt Deutschen das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln. Unter freiem Himmel aber kann dieses Recht durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes beschränkt werden. Gegendemonstranten rechtfertigen Verhinderungsblockaden, mit denen ein Aufzug von tatsächlichen oder vermeintlichen Rechtsextremen aufgehalten oder zumindest umgeleitet werden soll, oft als zivilen Ungehorsam. Wer diesen für sich in Anspruch nimmt, ist dem Ruch des gewöhnlich Kriminellen enthoben und kann zumeist mit einer positiven öffentlichen und strafrechtlichen Bewertung rechnen.

Der Politikwissenschaftler Michael Kohlstruck vom Zentrum für Antisemitismusforschung der Technischen Universität Berlin sieht in der Form der Sitzblockade jedoch gar keine Form des zivilen Ungehorsams. Zwar handle es sich bei der Bewertung eher um eine moralische als um eine rechtliche Argumentation, es fehle aber ein wichtiges Element. Rechtsphilosophen, die den zivilen Ungehorsam befürworten, sähen neben der Illegalität, der Öffentlichkeit und der Gewaltlosigkeit der Aktion auch eine politisch moralische Motivation als Charakteristika. „Dabei kann die individuelle Berufung aus Gewissensgründen keine wirklich gültige Begründung darstellen, da solche Bezüge auf das eigene Gewissen natürlich nicht transparent sind und keine generalisierbaren Gründe aufweist“, stellt Kohlstruck klar.

„Teilweise läuft das Denken, das den Verhinderungsblockaden zugrunde liegt, auch darauf hinaus, daß Personen ausgegrenzt werden, die als Träger bestimmter Meinungen identifiziert werden. Denken Sie an den Slogan: Brandenburg: nazifrei“, sagt Kohlstruck. Er forderte, man müsse sich mit Inhalten und Positionen auseinandersetzen und nicht Personen stigmatisieren und in ihrer bürgerlichen Existenz angreifen. Andernfalls folge man einer Logik des Ausschlusses.

„Die politisch-moralischen Prinzipien, mit denen der zivile Ungehorsam begründet werden muß, sind damit kein höheres oder tieferes moralisches Recht gegenüber dem positiven Recht, sondern in gewissermaßen sogar ein Rückschritt gegenüber diesen“, gab Kohlstruck zu bedenken. „Rechtsextremismus ist nur ein Problem unserer Gesellschaft. Es ist nicht das einzige, es ist nicht das größte und es ist nicht das schlimmste. Und wenn wir es als ein relatives Thema, das es dann auch ist, beibehalten, und wir auch wissen, daß wir nicht mit jedem Mittel dagegen vorgehen können, dann sind wir als Demokraten gefragt“, sagte der Politikwissenschaftler.

Auch der Innenminister Brandenburgs Dietmar Woidke (SPD) rät dazu, den Begriff des zivilen Ungehorsams nicht zu überdehnen. Es stünde ein vielfältiges Spektrum an öffentlichkeitswirksamen Protestformen zur Verfügung, welche von einem breiten gesellschaftlichen Konsens getragen würden. „Sich auf zivilen Ungehorsam zu berufen, kann keine akzeptable Rechtfertigung für Blockadeaktionen sein, wenn damit Grundrechte Dritter eingeschränkt werden oder sogar in Abrede gestellt werden sollen“, bekräftigt er. „Was wir brauchen, ist Engagement und Zivilcourage, also Bürgermut.“ Mit Blick auf die häufigen Auseinandersetzungen zwischen Gegendemonstranten und der Polizei und den Vorwürfen gegen die Beamten, sie würden Verfassungsfeinde schützen, stellte er klar: „Nein, deutsche Polizisten schützen nicht die Faschisten. Die Polizei schützt die Ausübung demokratischer Grundrechte und sie hat es daher nicht verdient, in polemischer Weise attackiert oder angegriffen zu werden.“ Verfassungsrechte gelten auch für Verfassungsfeinde.

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