© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  18/12 27. April 2012

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Kampfansage an „Friedensrichter“
Marcus Schmidt

Jahrelang hat der Journalist Joachim Wagner unter anderem in der ARD-Sendung „Bericht aus Berlin“ über die Politik in der Hauptstadt berichtet. Am Montag nun fand er sich in einer anderen Rolle wieder. Nicht mehr als Beobachter, sondern als Akteur, dem es darum geht, die Politik in seinem Sinne zu beeinflussen.

Auf Einladung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion war Wagner in den Reichstag gekommen, um über sein Buch „Richter ohne Gesetz – Islamische Paralleljustiz gefährdet unseren Rechtsstaat“ (JF 14/12) zu berichten. Denn die Recherchen des promovierten Juristen über das Treiben türkischer und arabischer „Friedensrichter“, die versuchen, in den Einwanderervierteln deutscher Städte Gesetzesverstöße und Streitfälle an Polizei und Justiz vorbei zu regeln, haben bei maßgeblichen Rechts- und Innenpolitikern der Union offenbar einen nachhaltigen Eindruck hinterlassen. Der Kongreß der Fraktion am Montag zum Thema „Islamische Paralleljustiz in Deutschland? – Eine Herausforderung für den Rechtsstaat?“ war dabei nur die sichtbarste Reaktion auf die um sich greifende Beunruhigung.

Längst schon hat eine Gruppe von Parlamentariern um den Rechtspolitiker Patrick Sensburg und den stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden Günter Krings (beide CDU) das Problem zum Thema im Parlament gemacht. Sie haben erreicht, daß im Bundesjustizministerium nun eine Planstelle eingerichtet wird, die einen Überblick verschaffen soll. Denn bislang weiß niemand, welches Ausmaß das Phänomen in Deutschland bereits angenommen hat. Belastbare Zahlen fehlen. Für die Publizistin Seyran Ates ein Grund, warum das Thema lange ignoriert worden sei. „Die Politik reagiert leider erst, wenn es Zahlen gibt“, sagte sie. Trotz dieses Dunkelfeldes waren sich die eingeladenen Experten fast ausnahmslos einig, daß das von Wagner beschriebene Phänomen einer auf der Scharia gründenden Paralleljustiz in Hinterzimmern und Privatwohnungen existiert und den Rechtsstaat bedroht. Einig war man sich auch, daß nicht nur der Islam, sondern auch ältere Stammesstrukturen die Grundlage bilden.

Die Experten sahen denn auch kaum eine Möglichkeit, die Friedensrichter direkt zu bekämpfen. Stattdessen müsse versucht werden, unter den Einwanderern Vertrauen in den Rechtsstaat zu wecken und die Schattengerichtsbarkeit so auszutrocknen. Hierfür sei es wichtig, daß die deutsche Justiz konsequent handele. „Was ist das für ein System, in dem ein Mensch angegriffen wird und dem Täter am nächsten Tag wieder auf der Straße begegnet?“ fragte der Berliner Integrationsexperte Nader Khalil, und Wagner forderte einen „Ruck“, der durch die Justiz gehen müsse. Daß ausgerechnet ein Mann aus der juristischen Praxis, der Vizepräsident des Amtsgerichts Berlin Tiergarten, Peter Scholz, zudem auch noch Islamwissenschaftler, versuchte, das Problem kleinzureden, läßt für die Zukunft allerdings wenig Gutes erwarten.

Letztlich zeigte die Veranstaltung, daß die Politik das Problem der Paralleljustiz zwar erkannt hat, von einer Lösung aber noch weit entfernt ist.

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