© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  18/12 27. April 2012

Anonyme Bewerbungen und vermeintliche Diskriminierung
Ehrlich währt am längsten
Markus Brandstetter

Da lebt irgendwo in Deutschland diese 46jährige Mutter, die bei Adidas, Microsoft und Siemens gearbeitet hat. Nun sucht sie eine neue Stelle, schreibt 30 Bewerbungen, wird fünfmal eingeladen – aber nicht genommen. Und warum? Weil sie Frau und Mutter ist, weshalb sie andauernd gefragt wird, wie sie die Betreuung ihrer Kinder organisiere. „Einem Mann“, sagt die Bewerberin, „wäre das nicht passiert.“

So weit, so ungerecht. Doch da fällt ein Lichtstrahl in dieses frauenfeindliche Dunkel: Die Frau entdeckt die Stellenausschreibung einer IT-Firma. Hier wird eine anonyme Bewerbung verlangt. Sie füllt das Internetformular aus, ohne zu erwähnen, daß sie Frau und Mutter ist. Wieder wird sie eingeladen, dieses Mal aber wird sie nicht mehr nach der Kinderbetreuung gefragt, sondern gleich eingestellt. Anscheinend hat kein Mensch gemerkt, daß sie Frau und Mutter ist.

So also soll die schöne neue Welt der anonymisierten Bewerbungen in Zukunft aussehen, wenn man der Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS) glauben darf. Die Behörde hat nämlich in einem Pilotprojekt herausgefunden, daß Menschen, die bei Bewerbungen auf so unerhebliche Details wie Geschlecht, Familienstand, Kinderzahl und Volkszugehörigkeit verzichten, viel öfter einen Job bekommen als Bewerber, die das alles brav angeben. Funktioniert hat das Pilotprojekt so: Ein Jahr lang haben Post, Telekom, L’Oréal, das Familienministerium und die Bundesagentur für Arbeit 8.500 anonymisierte Bewerbungen geprüft und dann lächerliche 246 Stellen besetzt. Fast alle Zeitungen haben daraufhin treuherzig nachgeschrieben, daß von an nun mit der Diskriminierung von Frauen und Migranten endlich Schluß sei.

Wer solche Ergebnisse einer nicht repräsentativen und damit unwissenschaftlichen Studie (das räumt auch die ADS ein) für bare Münze nimmt, der muß ein Gehirn voller Vorurteile haben. Er oder sie muß nämlich annehmen, daß Frauen und Migranten bei der Jobsuche flächendeckend und andauernd diskriminiert werden. Das ist aber weder der Fall noch gar bewiesen.

Werden Frauen und Migranten von Arbeitgebern abgelehnt, dann kann der Grund genauso in mangelnden Qualifikationen oder Eigenschaften der Bewerber liegen wie in ihrem Geschlecht oder ihrer Ethnie. Aber selbst wenn es diese Diskriminierung gäbe – was in Einzelfällen durchaus sein kann –, dann würde das Problem durch eine anonymisierte Bewerbung doch nie und nimmer gelöst. Denn irgendwann müssen Bewerberin und Bewerber in Natura vor dem neuen Arbeitgeber sitzen, und dann kommt das, was vorher verschwiegen wurde, ans Tageslicht.

Dann sind wir wieder genau da, wo wir mit einer vollständigen „alten“ Bewerbung ebenso gewesen wären. Auch hier gilt also die alte Weisheit: Ehrlich – und es ist zu ergänzen: vollständig – währt am längsten!

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