© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  18/12 27. April 2012

Pankraz,
S. Lenz und die Reform der Umlaute

Kaum jemand erinnert sich noch an den ersten (und bisher einzigen) kollektiven Aufstand der deutschen Dichter und Denker gegen die Obrigkeit. Und dabei ist er gerade einmal reichlich zehn Jahre her! 1996 verfügte die Deutsche Kultusministerkonferenz (Kumiko), parallel zur bevorstehenden Einführung des Euro, die „seit Dudens Tagen erste Rechtschreibreform in Deutschland“, und die gesamte „schreibende Klasse“ (Erwin K. Scheuch) erhob sich wie ein Mann über alle weltanschaulichen und stilistischen Grenzen hinweg, um dagegen anzugehen und mit Verweigerung und Sabotage zu drohen, jahrelang.

Es war ein erhebender historischer Augenblick. Kai Diekmann (Bild) stand in einer Front mit Stefan Aust (Spiegel) und Hans Magnus Enzensberger (Die Andere Bibliothek). Walter Kempowski stritt Seite an Seite mit Reiner Kunze und Friedrich Christian Delius. Und der sonst so bedächtige Siegfried Lenz wetterte aus seinem dänischen Reethaus heraus: „Ich halte diese ganze sogenannte Reform für einen kostspieligen Unsinn. Ich vermute, es handelt sich um das Bedürfnis von Politikern und Kulturbürokraten, uns die Mühen differenzierten Sprachgebrauchs zu ersparen.“

Heute nun droht der Reform zweiter Teil; neuere Berichte darüber waren kein reiner Aprilscherz, wie Pankraz zunächst vermutete, sondern entsprechende behördliche Pläne kursieren tatsächlich. Lenz und die anderen Sprachakrobaten sollten höllisch aufpassen, denn die ins Auge gefaßten Maßnahmen würden das Schriftbild unserer Sprache weiter tiefgreifend verändern, und zwar keineswegs zum Besseren. Vor allem soll es den Umlauten Ä, Ö und Ü an den Kragen gehen. Alles, was jetzt zum Beispiel noch mit Ä geschrieben wird, soll künftig mit E geschrieben werden, statt Käse also Kese.

Das Ü wird durch das Y ersetzt, aus Müller wird Myller. Das Ö, für das es keinen gleichwertigen „Normalbuchstaben“ gibt, soll durch ein H hinter dem O markiert werden. Weitere Änderungsvorschläge gelten etwa dem dreibuchstabigen Zischlaut SCH, der allzu typisch deutsch sei und in keiner anderen Sprache eine Parallele finde. Deshalb also nach angelsächsischem Vorbild SH statt SCH. Das aktuelle Wort „schön“ müßte demnach „shohn“ geschrieben werden; dergleichen Änderungen, sagen die Bürokraten, seien das mindeste.

Die erste Reform von 1996 verdankte sich bekanntlich dem kulturrevolutionären Zeigeist, der damals herrschte. Ursprünglich geplant gewesen war ein radikaler, totaler Umsturz der überkommenen Rechtschreibung, die nach Meinung der an die Schaltstellen der Macht gelangten Alt-Achtundsechziger ein „elaborierter Code“ war, ein „Instrument des kapitalistischen Bürgertums“, mit dessen Hilfe die Unterschichten angeblich am sozialen Aufstieg gehindert und künstlich dumm gehalten werden sollten.

Vereinfachung um jeden Preis, hieß die Parole. Und das meinte konsequente Kleinschreibung, konsequente phonetische Schreibweise, radikale „Eindeutschung“ aller Fremd- und Lehnwörter, „Liberalisierung“ der Zeichensetzung, insbesondere bei Kommata, die letztlich völlig ins Belieben des Schreibenden gestellt und so faktisch abgeschafft werden sollten. Übrig blieb von alledem wenig, und es wäre noch weniger gewesen, wenn den Kulturrevolutionären nicht die gewissermaßen von Natur aus regelungswütige Kulturbürokratie aus der „Kumiko“ beigesprungen wäre,

Was am Ende herauskam, war ein Wechselbalg, der die Probleme, die mit der Reform aus der Welt geschafft werden sollten, erst schuf. Eines der angeblichen Hauptanliegen der Reformer war die Erleichterung des Deutschlernens für Ausländer. Doch gerade die Ausländer wurden durch die neuen Regeln am heftigsten irritiert. Sie mußten nun gleichsam zwei Sprachen in einer lernen: einmal die nach den neuen Regeln abgefaßten aktuellen Verlautbarungen bei Behörden und Zeitungen, zum anderen die großen Werke des literarischen Kanons, ohne deren Kenntnisnahme das Deutschlernen ja gar nicht möglich ist und die selbstverständlich nicht einfach umgeschrieben werden dürfen.

Auch das Anliegen der ins Haus stehenden zweiten Reform soll ganz der Anpassung des Deutschen an globale Gegebenheiten gewidmet sein. Jährlich gingen, so heißt es, mehrere hunderttausend Arbeitsstunden verloren, weil IT-Systeme Adressen oder Paßwörter zurückweisen, die deutsche Umlaute enthalten. Das deutsche Keyboard- oder Smartphone-Schema müsse endlich den international üblichen Tastaturen angepaßt werden. Die deutsche Schriftsprache müsse „kompatibel“ sein – oder sie werde nicht sein.

Hier kämen nun wieder die deutschen Schriftsteller ins Spiel. Sie müssen sich wehren gegen die Zumutung, daß ihnen Bürokraten im Namen von Globalität und Kompatibilität das Schriftbild ihrer Werke vorschreiben. Schreibregeln sind wichtig und kulturstiftend, aber sie sind nicht um ihrer selbst willen da. Es gibt kein „perfekt logisches“, kein „normatives“ Schriftbild, das an irgendwelchen Schreibtischen ausgedacht und dann der lebendigen Schriftsprache übergestülpt werden kann.

Auch die Art, wie man Fremdwörter im deutschen Kontext schreibt, wie man überhaupt Wörter erfindet und in Zeichen setzt, ist von Tradition und Geschichte geprägt und darf eigene, spezifische Würde beanspruchen. Dichter und Essayisten leben nicht nur von der gesprochenen, sondern auch von der geschriebenen Sprache, arbeiten mit ihr, färben sie ein, freunden sich zum Beispiel mit dieser oder jener Regelung an und verleihen ihr besonderen Charme; man denke an Lessing und seine von ihm so heiß geliebten und stets interessant eingesetzten Semikolons!

Mit anderen Worten: Auch das Schriftbild gehört zur Literatur. Man darf es nicht einfach den Bürokraten überlassen. Lenz & Co. sollten sich erneut energisch zu Wort melden, wenn es um ihr Eigenstes geht. Ob es was hilft, steht freilich auf einem anderen Blatt. Nach 1996 hat’s leider nicht geholfen.

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