© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  18/12 27. April 2012

Oma Erna muß zur Prüfung
Wer keine Probleme hat, macht sich welche: In Berlin wird über einen Hundeführerschein diskutiert
Ronald Berthold

Die deutsche Hauptstadt drückt eine Schuldenlast von rund 60 Milliarden Euro, die Arbeitslosenquote liegt bei 13 Prozent, die Kriminalität hat 2011 um 4,1 Prozent gegenüber dem Vorjahr zugenommen, Schulgebäude gammeln vor sich hin, die Rekord-Wasserpreise steigen erneut – eigentlich sollte man meinen, daß Berlin genug ernste Probleme hat. Landespolitiker jedoch haben jetzt ein viel wichtigeres Thema gefunden: den Hundeführerschein. Ihnen liegt ein 16seitiger Gesetzentwurf vor, 16 prallgefüllte Seiten, es ist tatsächlich an alles gedacht.

Motto der Berliner Politiker, die so gern Hauptstadt spielen, in Wirklichkeit aber ihr provinzielles Denken nicht verhehlen können: Endlich haben wir eine Diskussionsgrundlage und können dieser hochkomplizierten Problematik gerecht werden. Und vielleicht merkt auch keiner, daß wir auf diese Weise von jenen Themen ablenken, die den Bürgern wirklich auf den Nägeln brennen. Drei verschiedene Führerscheinklassen – je nach Schulterhöhe und Rasse des Vierbeiners – soll es geben. Und die Lizenz muß natürlich jederzeit mitgeführt und auf Verlangen vorgezeigt werden.

Es scheint klar, daß vor allem Rentner dieser Kontrollwut ausgesetzt sein werden. Denn schon jetzt traut sich kaum ein Mitarbeiter des Ordnungsamtes, einem jungen Migrationsvordergründler zu erklären, daß sein Pitbullterrier an die Leine gehört und der hinterlassene Haufen zu beseitigen ist. Nach der Eignungsprüfung, die bei solchen Kötern bereits Pflicht ist, fragt seit Ewigkeiten niemand mehr.

Während rabiate Fahrradfahrer seit Jahren Fußgänger und Autofahrer terrorisieren, soll es nun also Menschen mit Haustieren schwergemacht werden. Die einen dürfen ungestraft über rote Ampeln, auf Bürgersteigen und entgegen der Fahrtrichtung radeln. Während hier eine Führerscheindebatte als „Gängelei“ abgetan wird, macht man die anderen, die ihren Pfiffi korrekt an der Leine führen und von denen weit weniger Gefahr ausgeht, zu Sündenböcken.

Jetzt muß Oma Erna, die sich einen Rauhhaardackel hält, zur Führerscheinprüfung. Es spielt keine Rolle, ob der Hund schon einmal aufgefallen ist oder nicht. Hauptsache, Berlin hat ein wichtiges Problem gelöst.

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