© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  18/12 27. April 2012

Optimismus des Willens
Kulturelle Hegemonie: Die Rechte konnte auch mit dem Marxisten Antonio Gramsci kein Terrain erobern
Karlheinz Weissmann

Am 29. November 1981 hielt der GRECE – die zentrale Organisation der französischen Neuen Rechten – in Versailles einen Kongreß ab zum Thema „Pour un ‘Gramscisme de droite’“ – „Für einen Gramscismus von rechts“. Der Begriff war ungewohnt, noch ungewohnter nur der Rekurs einer rechten Denkfabrik auf einen italienischen Kommunisten, dessen Hauptwerk im faschistischen Kerker entstanden war und der sich eines gewissen Anhangs in der unorthodoxen Linken erfreute.

Wie kam die Nouvelle Droite dazu, sich dieses Theoretikers zu bedienen? Alain de Benoist hat das in dem Hauptvortrag, den er während der Veranstaltung hielt, deutlich gemacht: Zum einen war da der aktuelle Anlaß, nämlich der überwältigende Sieg der Linken in der Wahl vom 10. Mai 1981, zum anderen eine Strategiedebatte, die er schon seit Jahren voranzutreiben suchte.

Was den ersten Punkt betraf, ging es um die Einsicht, daß der Triumph Mitterrands und der Eintritt der Kommunisten in die Regierung jeden Zweifel daran ausgelöscht hatte, daß die Linke an der Macht war, daß sich das nicht als Folge einer Verschwörung oder einer vorübergehenden Parteienkonstellation erklären ließ, sondern nur aus dem Tatbestand, daß die Mehrheitsverhältnisse gewechselt hatten: Die „politische“, die „ideologische“ und die „soziologische“ Majorität in Frankreich waren links. Und die „Exmajorität“ stand diesem Phänomen hilflos gegenüber, hielt den Zustand für einen momentanen, obwohl er strukturell bedingt war, und glaubte, ihn bei Gelegenheit der nächsten Abstimmung umkehren zu können.

Benoist bezweifelte, daß das gelingen werde und hatte gute Gründe dafür, denn die Bürgerlichen lebten von der Illusion, nach wie vor die schweigende Masse zu repräsentieren, und glaubten, ohne eindeutige weltanschauliche Orientierung auszukommen. Gegenüber der Linken signalisierten sie etwas wie historische Schuldgefühle, wiegten sich aber gleichzeitig in der Illusion, das Gewicht der Tatsachen werde eher über kurz als über lang zu einem backlash führen. Die harte Rechte glaubte währenddessen unbeeindruckt an den Wert ihrer Nostalgien und versuchte Bestände zu mobilisieren, für die es längst keinen Rückhalt mehr in den sozialen Milieus gab. Angesichts dessen, so Benoist, bleibe nichts als die Einsicht, daß der Kampf gegen die Linke auf lange Frist angelegt werden müsse und daß man die Auffassung Antonio Gramscis (1891–1937) zu beherzigen habe, daß nur der die politische Macht erobern könne, der vorher die kulturelle erobert habe.

Das war für einen Marxisten und historischen Materialisten eine ungewöhnliche Auffassung, während die Rechte – darauf wies Benoist hin – dem Faktor Kultur seit je einen erheblichen Stellenwert beimaß. Nur hatte sie in der Vergangenheit gemeint, souverän über die kulturellen Ressourcen zu verfügen, keine neuen Gedanken formulieren, keine neuen Begriffe prägen, keine neuen Geschichten erzählen zu müssen, denn auf die Tradition war selbstverständlich Verlaß. Damit sei es nun vorbei. Die Wirklichkeit habe sich qualitativ verändert, die Geschichte des „Abendlands“ sei an ihr Ende gekommen. Es beginne eine Epoche des „ideologischen und kulturellen Kriegs“, in dem auch die Fronten neu gegliedert würden; und deshalb stehe die Neue Rechte vor allem gegen den Liberalismus, die immer breiter werdende egalitäre Mitte, weniger gegen die konsequente Linke, aber unbedingt gegen die Alte Rechte, wegen ihrer Tendenz zur Anpassung oder zum Festhalten an ihren „Fetischen“, deren Machtlosigkeit längst erwiesen sei.

Wenn Benoist damals darauf hinwies, daß es rechts seit je eine Sensibilität für Fragen der „kulturellen Hegemonie“ gegeben hatte – um den Begriff Gramscis zu verwenden –, so war doch vor dem Auftreten der Nouvelle Droite niemals ein rechtes Projekt so konsequent metapolitisch ausgerichtet gewesen. Das erklärte sich vor allem aus dem durch Benoist kritisierten Optimismus von Liberalen wie Konservativen, daß es die „Wirklichkeit“ selbst richte, daß die Aufklärung über den linken Mißbrauch der Begriffe bei allen Menschen guten Willens ihre Wirkung habe.

Das erklärt außerdem, welche Wirkung sein „Gramscismus“ auf eine jüngere Generation rechter Intellektueller hatte, die nach ’68 erwachsen geworden und einer Umwelt ausgesetzt war, in der es zwar noch Überlieferungsbestände gab und deren mehr oder weniger halbherzige Verteidigung, aber die Dominanz linker Vorstellungen und linker Sprachregelungen immer den Ausschlag gab.

Die Rezeption von Benoists Ansatz erfolgte deshalb in Deutschland, aber auch in anderen europäischen Ländern, kaum als Versuch, die Gedanken der Nouvelle Droite insgesamt zu übernehmen, sondern als partieller Rückgriff auf dieses Modell einer „Kulturrevolution von rechts“ (so der Titel eines Bandes mit übersetzten Essays Benoists, der 1985 erschien), das den herrschenden Attentismus genauso überwinden helfen sollte wie die Frustrationen nach dem Scheitern der „geistig-moralischen Wende“ in der Bundesrepublik der achtziger Jahre.

Bezeichnenderweise kam es in dem Zusammenhang nie zu einer vertieften Beschäftigung mit Gramsci oder dem Versuch einer weiteren theoretischen Erfassung. Vielmehr konzentrierten sich die Bemühungen im Kampf um die „kulturelle Hegemonie“ auf die Praxis, wovon vor allem die Menge an publizistischen Neugründungen Zeugnis ablegte, zu denen auch die JUNGE FREIHEIT gehört.

Man muß diesen Kontext beachten, wenn man die Heftigkeit der Reaktion verstehen will, die auf entsprechende Vorstöße folgte. Schon 1984 fabulierte der SPD-Generalsekretär Peter Glotz, daß es notwendig sei, die verlorene „kulturelle Hegemonie“ für die Linke zurückzugewinnen, die sich die Rechte – aus seiner Sicht ein breites Bündnis, das, von der kleinbürgerlichen Masse getragen, alle wesentlichen Institutionen erfaßte und in der schwarz-gelben Koalition seinen politischen Arm besaß – durch eine geschickte Art intellektueller Subversion angeeignet habe.

Kaum eine Analyse verfehlte die Wirklichkeit so deutlich wie diese. Aber es ist doch zuzugestehen, daß Glotz ein Schreckbild entwarf, dessen rationaler Kern darin bestand, daß allein auf dem Weg eines Kulturkampfs die Dominanz der Linken tatsächlich in Frage zu stellen war, und daß es für einen solchen Kulturkampf so viele Ansätze gab, daß man sich wundern mußte, wie wenig sie genutzt wurden.

Tatsächlich erklärt dieses Versäumnis viel davon, warum auch nach dem Zusammenbruch des Kommunismus – dieser Niederlage der „Gesamtlinken“ (Jan-Philipp Reemtsma) – die politische Rechte in der Defensive verharrte. Es fehlten nicht nur die Organisationen und das Personal, sondern auch die notwendige intellektuelle Vorbereitung. Stattdessen gelang es dem Antifaschismus als letztem Aufgebot der Linken, im Windschatten des Neoliberalismus noch einmal die „kulturelle Hegemonie“ dieses Lagers zu zementieren.

Dazu gehört auch, jede Entwicklung mit Argusaugen zu beobachten und im Keim zu ersticken, die einen Ansatz für Positionsgewinne des Gegners im vorpolitischen Raum zu bieten scheint. Das gilt für die Ausweitung des publizistischen Einzugsbereichs, den Zugriff auf Medien, Organisationsversuche oder das Auftreten von Einzelgängern, die konservative beziehungsweise „neurechte“ Positionen im universitären Bereich verfechten. Die Methoden der Bekämpfung sind ausgefeilt und reichen von persönlicher Denunziation bis zur Fixierung des Kriteriums „Kampf um die kulturelle Hegemonie“ als Merkmal rechtsextremer Haltung in Verfassungsschutzberichten.

Selbstverständlich steht hinter jeder Diskreditierung des rechten Kampfs um metapolitischen Einfluß ein linker Kampf um metapolitischen Einfluß. Und es zeigt sich dabei weiter, daß solche Auseinandersetzungen nicht mit einem „Wettstreit der Ideen“ oder Schattenboxen im „Pluralismus“ verwechselt werden dürfen, sondern Teil einer bitterernsten Auseinandersetzung sind, in der es eben nicht nur um die besseren Einfälle, die sorgfältigeren Überlegungen, die konsistenteren Theoriegebäude geht, sondern auch um die rhetorische Geschicklichkeit, die Hemmungslosigkeit des Agitators, die Fähigkeit zu verkürzen und zuzuspitzen und sich im öffentlichen „Diskurs“ jedes Mittels zu bedienen, um die anderen an der Beteiligung zu hindern oder sie von solcher Beteiligung auszuschließen.

Strategie-Schriften aus den achtziger Jahren: Heute nur noch antiquarisch erhältlich

Foto: Leerer Platz vor dem Kanzleramt in Berlin: „Man muß nüchterne, geduldige Menschen schaffen, die nicht verzweifeln angesichts der schlimmsten Schrecken und sich nicht an jeder Dummheit begeistern.“ (Gramsci)

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