© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  18/12 27. April 2012

Die Zeit der Roboterkriege hat begonnen
Ausblicke auf posthumane Kriege intelligenter Waffensysteme / Kämpfer ohne Sold und Rentenanspruch
Jürgen Kittel

Vor dem 11. September 2001 verfügten die US-Streitkräfte über nicht einmal 50 „unbemannte Fluggeräte“ (Unmanned Aerial Vehicle/UAV). Nach zehn Jahren „Krieg gegen den Terror“ im Irak und in Afghanistan haben sich die klobigen Vögel, von denen inzwischen über 7.000 im Einsatz sind, zur Standardwaffe gemausert. Die US Air Force bildet seit 2009 mehr Personal für den Betrieb dieser „Drohnen“ aus als Piloten für ihre Kampfjets.

Lora G. Weiss, die in Atlanta das Aerospace, Transportation and Advanced Systems Laboratory des Georgia Tech Research Institute leitet, eröffnet mit dieser kurzen Erfolgsgeschichte der „Drohne“ Einblicke in Wandlungsprozesse, die sich, von der Öffentlichkeit kaum beachtet, nicht nur in den USA vollziehen und die in ihrer Bedeutung weit über das Maß hinausgehen, die militärtechnologischen Innovationen gewöhnlich zugesprochen wird.

Weiss, die ihre Studie „Über autonome Roboter im Nebel des Krieges“ in einem Sammelband über „Kriegsmaschinen“ (herausgegeben vom Hamburger Wissenschaftsjournalist Hans-Arthur Marsiske) präsentiert, bettet ihren Hinweis auf die wundersame „Drohnen“-Vermehrung in ein Szenario ein, das die revolutionäre Veränderung der Kriegführung durch intelligente Netzwerke in Aussicht stellt. Wie die UAVs sollen andere Robotersysteme wie ferngesteuerte Kleinpanzer oder der Minenabwehr dienende, halbautonome Unterwasser-vehikel den Menschen als Kämpfer ersetzen. Im US-Militäretat sind bereits die Weichen so gestellt, daß 2015 ein Drittel der Bodenfahrzeuge im Kampfeinsatz unbemannt ist. Und im Auftrag des Pentagon, so berichtet Weiss, entwickeln US-Rüstungsfirmen und Forschungsinstitute mit Hochdruck eine „Vielzahl unbemannter Systeme, die rasch zum Einsatz kommen sollen“.

Weltweit erzielten derzeit „Tausende von Robotikforschern beeindruckende Fortschritte bei der Vernetzung von Robotern und der Erhöhung ihrer Leistungsfähigkeit und Autonomie“. Mittlerweile nutzen 65 Länder, darunter auch Deutschland, Militärroboter. Hinter den mit „enormem Vorsprung“ führenden USA und Israel, so der Konfliktforscher Niklas Schörning in seinem Beitrag „Die Verlockung des automatisierten Krieges“, holen China und Rußland bei der robotischen Bewaffnung auf. Allein in China habe die Forschung seit 2009 „deutlich an Dynamik gewonnen“.

Viel spreche dafür, so sind sich Schörning und andere Analytiker, die Marsis­kes materialreichen Band bestücken, sicher, daß man hier erst vor dem Beginn eines Einstiegs in den „posthumanen Krieg“ autonomer Waffensysteme stehe. Im Westen werde der Prozeß forciert durch den finanzpolitisch induzierten Truppenabbau und eine pazifistische Grundstimmung, der endlich ein „Krieg ohne Blutverlust“ versprochen werden kann. Roboter verlangen keinen Sold, kosten keine Invaliden- und Altersversorgung und hinterlassen keine Witwen. Überdies kommen die neuen asymmetrischen Kriege dem Umstieg auf die militärisch nutzbare Informationstechnologie entgegen.

Geht es doch bei den Interventionen im globalen Süden auch zukünftig nicht um „klassische“ Auseinandersetzungen zwischen konventionellen Streitkräften, sondern um die Ausschaltung „irregulärer Kämpfer“. Und denen sei mit „hochtechnisierten Helfern“ am besten beizukommen. Darum werde rüstungstechnologisch verstärkt in Aufklärung, Präzision, Tarnung investiert, um – nach dem Muster der UAV-Angriffe auf Al-Qaida-Funktionäre – Ziele präzise zu erfassen und zu eliminieren.

Noch dominiert der Westen technologisch auf diesem Rüstungssektor, obwohl Florian Rötzers Beitrag klarstellt, daß mit der vertrauten Dialektik von Schlag und Gegenschlag zu rechnen ist. Es sei gewiß, daß „Terroristen, Aufständische und Kriminelle“ Zugang zur Robotertechnik gewinnen. Die US Army, die 2010 das kalifornische Unternehmen AeroVironment mit der Konstruktion der Mikrodrohne „Switchblade“ beauftragte, macht vor, worauf sich technisch versierte Guerillas zunächst konzentrieren sollten: auf die Beschaffung ferngesteuerter Kleinkampfmittel.

Und so primitiv wie einst bei den bundesdeutschen RAF-Terroristen, die 1977 mit einem Modellflugzeug einen Sprengstoffanschlag auf den damaligen CSU-Vorsitzenden Franz Josef Strauß planten, dürfte es dann kaum zugehen. Jedenfalls habe die irakische Terrortruppe Ansar al-Islam im letzten Herbst stolz erste Erfolge „beim Aufholen der Entwicklung fernsteuerbarer Waffensysteme“ verkündet und die Mudschaheddin hier als „wirkliche Wettbewerber“ ausgerufen.

Damit treten Gegenkräfte auf den Plan, die Zweifel an den ganz großen Visionen von US-Militärforschern und Strategen vom „cyborganisierten Krieg“ nähren. Wie diese zur Machtsicherung des „aggressiven militärischen Hegemons“ USA zu führenden Kriege ab 2025 aussehen könnten, skizziert Stephen Graham (University Newcastle). Fast unbemerkt, nur Lesern des Air Force Magazine oder des Journal for Strategic Studies bekannt, habe sich ein „Schattenreich“ militärischer Forschung etabliert, das eifrig Planspiele für Operationen im „urbanen Gelände“ ausarbeite.

Vornehmlich arabische Megastädte sind in diesen technomilitärischen Konzeptionen die Hauptkriegsschauplätze des 21. Jahrhunderts. Sie gelte es mit Millionen vernetzter Sensoren so durchsichtig zu machen, daß Roboterwaffen in der Luft und am Boden jede feindliche Aktion im Keim ersticken. Für 2025 kalkulieren die Planer mit automatischen Waffensystemen, die den Ursprung von Schüssen in städtischer Umgebung auf einen Meter genau erkennen und das Feuer im Bruchteil einer Sekunde erwidern. Wer feuert, soll sich sicher sein, daß er stirbt.

Die technologischen Allmachtsphantasien versteigen sich sogar bis zu der Zusage, innere Haltungen gegenüber US-Invasoren mittels Gehirnabtastung liefern zu können. Zwar stoßen solche kühnen Entwürfe vor allem bei den Militärs der Army und der Marines auf Ablehnung. Was aber langfristig wirkungslos bleibe, so fürchtet Graham, denn zu gewaltig seien die Ressourcen, die für Forschung und Entwicklung des Städtekrieges bereitstünden, zu nahe der Zeitpunkt, an dem erste Roboterwaffen ihre Einsatzreife erreichen.

Hans-Arthur Marsiske (Hrsg.): Kriegsmaschinen. Roboter im Militäreinsatz, Heise Zeitschriften Verlag, Hannover 2012, 245 Seiten, 18,90 Euro

Foto: Roboter der US Navy zur Verwundetenbergung: Lasten von bis zu 225 Kilogramm kann der „Battlefield Extraction-Assist Robot“ tragen – das schafft selbst der sportlichste Sanitätssoldat nicht

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