© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  19/12 04. Mai 2012

„Ich werde machen, was die Basis beschließt“
Parteitag: Vor dem Hintergrund steigender Umfrageergebnisse beschäftigen sich die Piraten mit sich selbst und wählen einen neuen Vorstand
Henning Hoffgaard

Der konservative und rechte Dreck muß endlich weg.“ Horst Bartels ist sichtlich aufgebracht. Der 62jährige hält mitten auf dem bis dahin unspektakulär dahinplätschernden Parteitag der Piraten in Neumünster ein Plakat der Linken hoch. „Keine Stimme den Nazis. Egal unter welcher Flagge“, steht drauf. Sofort sammelt sich die Presse um das ehemalige Mitglied der Linkspartei. Damit er sich in seiner neuen politischen Heimat wohlfühlen kann, müßten die „rechten Umtriebe“ endlich gestoppt werden. Schließlich wird er von der Versammlungsleitung aus dem Saal geführt und muß sich mit einem Vorraum begnügen. Die überwältigende Mehrheit der Anwesenden – viele tragen stolz ihre am Eingang gekauften Antifa-Hemden – sympathisiert jedoch mit Bartels.

Obwohl eigentlich Vorstandswahlen auf dem Programm stehen, hatte es im Vorfeld nur ein Thema gegeben: Wie sollen die Piraten mit angeblich „rechten“ Mitgliedern umgehen? Auf der Tagesordnung war davon erst einmal nichts zu finden. Zumindest bis Carsten Schulz, ein Pirat aus der dritten Reihe, ein folgenschweres Interview gibt. Die Leugnung des Holocaust, meint Schulz, falle eigentlich unter die Meinungsfreiheit und dürfe nicht bestraft werden. Nachdem das bekannt wird, ist die Hölle los. Der Versammlungsleiter brüllt von der Bühne, Schulz müsse sein Interview sofort beenden. Vor 1.500 anwesenden Mitgliedern, erwartet wurden 2.500, wird er in rüdem Ton zur Bühne zitiert. Der Parteitag wird unterbrochen. Ratlosigkeit macht sich breit. Hinter den Kulissen kommen führende Parteivertreter zusammen und basteln hektisch an einer Resolution.

Als diese schließlich im Saal verlesen wird, brandet lauter Applaus auf: „Der Holocaust ist unbestreitbarer Teil der Geschichte. Ihn unter dem Deckmantel der Meinungsfreiheit zu leugnen oder zu relativieren, widerspricht den Grundsätzen der Partei.“ Damit droht Schulz der Parteiausschluß, sollte er sich noch einmal in dieser Weise zu dem Thema äußern.

Die Freude währt allerdings nicht lange. Kurz darauf sorgt der nächste „Problempirat“ für Aufregung. Dietmar Moews, grauer Anzug, Brille, Ende 40. Jemand, dessen Anwesenheit im Normalfall gar nicht auffällt. Da er in einem wirren Videobeitrag zur Debatte um Günter Grass jedoch vom „Weltjudentum“ schwadroniert hatte, richten sich alle Augen auf ihn. Noch bevor er seinen ersten Satz beendet, bricht ein Tumult aus. Pfiffe hallen durch den Saal. Unter lautstarkem Protest verlassen Hunderte Piraten die Halle. Auch die Technik versucht alles, um die Rede zu sabotieren. Auf der Videoleinwand wird statt des Rednerpultes plötzlich ein Zettel eingeblendet, auf dem „kein Fußbreit“ steht. Gemeint ist „Kein Fußbreit den Nazis“.

Nachdem die inhaltlich belanglose Rede vorbei ist, strömen die Piraten zurück in den Saal und lauschen Sebastian Nerz. Der führt die Partei seit Mai 2011 und kämpft um seine Wiederwahl. Auch er hat nur drei Minuten, gesteht Fehler ein, wirkt fahrig und schlecht vorbereitet. „Das war nix“, konstatiert ein Zuhörer und setzt seine Hoffnung ganz auf Bernd Schlömer. Der ist stellvertretender Parteivorsitzender und kandidiert für den Chefsessel. Er agiert unaufgeregt und setzt voll auf Ausgleich. Nach seiner gut vorbereiteten Rede, in der er sich klar gegen angebliche „rassistische Tendenzen“ in der Partei ausspricht, ist ihm der Sieg kaum noch zu nehmen. Mit 66 zu 56 Prozent – die Piraten konnten mehrere Stimmen an einen Kandidaten vergeben – setzt er sich schließlich durch. Nerz wird er dabei allerdings nicht los. Der wird prompt zu seinem Stellvertreter gewählt. Inhaltliche Debatten finden dabei kaum statt. Auch Schlömer, der als Regierungsdirektor im Verteidigungsministerium für die Verwaltung der Bundeswehrhochschulen verantwortlich ist und damit prompt einige Fragen zu seiner Haltung zum Afghanistaneinsatz provoziert, kann und will nichts anstoßen. „Ich werde das machen, was die Basis beschließt“, heißt es von den meisten Kandidaten.

Da bildet auch Johannes Ponader keine Ausnahme. Die Wahl des affektierten 35jährigen, der nach eigenen Angaben als „Spieltherapeut“ und „Dozent für Selbsterfahrung“ arbeitet und polygam lebt, zum neuen politischen Geschäftsführer ist keine Überraschung. Ponader gilt als gut vernetzt und verspricht nach seiner Wahl, im Gegensatz zu seiner Vorgängerin Marina Weisband eher intern arbeiten zu wollen.

Vor der verbreiteten Gratiskultur unter den Piraten ist er dabei nicht gefeit. Der Vorstand arbeitet weitgehend ohne finanzielle Vergütung und das bis zu 70 Stunden in der Woche. Den meisten Piraten ist das egal. „Nur Verwalten“ soll die Parteiführung, heißt es immer wieder. Und das am besten transparent und in Vollzeit. Neben „Transparenz“ werben die Piraten am Wochenende vor allem mit ihrem Kernthema „Freiheit“. Freiheit im Internet, Freiheit für die Menschen, Freiheit in der Gesellschaft.

 

Behinderung

Die Berichterstattung der JUNGEN FREIHEIT über den Parteitag wurde von der Piratenpartei massiv behindert. So wurde unserem Redakteur wenige Tage vor der Veranstaltung die Akkreditierung mit dem Hinweis entzogen, die Partei wolle sich von den durch die JF „vertretenen politischen Inhalten“ distanzieren. Schließlich wurde eine „einfache Presseakkreditierung“ „ohne gesonderte Privilegien“ gewährt. Während des Parteitages kam es dennoch zu Behinderungen unseres Redakteurs, für die sich die Pressesprecherin der Partei mittlerweile entschuldigt hat. (JF)

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