© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  19/12 04. Mai 2012

„Verantwortungsloser Umgang“
Eigentum: In Leipzig verkauft die Stadt mit teilweise abenteuerlichen Begründungen angeblich herrenlose Grundstücke an den Eigentümern vorbei
Paul Leonhard

Die Stadt Leipzig hat private Immobilien leichtfertig als „herrenlos“ verkauft. Und das, obwohl in vielen Fällen sehr wohl Eigentümer existieren, in einem Fall sogar vom Besitzer Grundsteuer gezahlt wurde. „Der verantwortungslose Umgang mit fremdem Eigentum ist scheinbar seit zwei Jahrzehnten gang und gäbe“, empört sich die Kommunalpolitische Vereinigung der CDU Leipzig. Als Beispiel nennt sie die Immobilie Pfaffendorfer Straße 1, bei der die Differenz zwischen Verkaufs- und Verkehrswert bei einer halben Million Euro lag. Nach dem Skandal um die Kommunalen Wasserwerke Leipzig und der Pensionsaffäre um den Aufsichtsrat der Leipziger Verkehrsbetriebe, Wilhelm Georg Hanss, beschädige nun der nächste Skandal den Ruf der SPD-regierten Messestadt, klagen die Christdemokraten.

Dabei hat die sächsische Großstadt in den vergangenen Jahren etwas umgesetzt, vor dem andere mitteldeutsche Kommunen bisher zurückgeschreckt sind. Der Begriff „ungeklärte Eigentumsverhältnisse“ ist spätestens seit 1990 zum Schrecken aller Kommunalpolitiker geworden, die sich um die Sanierung ihrer Innenstädte bemühen. Seit Kriegsende ist bei zahlreichen Immobilien und innerstädtischen Brachen unklar, wem sie gehören. „Westbesitz“, hieß es zu DDR-Zeiten. Auf in Amerika lebende, untereinander zerstrittene jüdische Erbengemeinschaften weisen geheimnisvoll Bauverwaltungen, wenn sich Bürger und Anwohner über den Verfall preisgegebener Gründerzeithäuser beschweren.

Auch im Fall der Pfaffendorfer Straße 1 handelt es sich nach Angaben der Kommunalpolitischen Vereinigung der CDU Leipzig um „Erbteile einer jüdischen Familie“. Während der gesamten DDR-Zeit habe sich die Immobilie in staatlicher Verwaltung befunden.

Leipzig hat es gewagt, nach dem Grundsatz „Eigentum verpflichtet“, „herrenlose Häuser“ zu verkaufen, um deren weiteren Verfall beziehungsweise kostspieligen Ersatzvornahmen vorzubeugen. Eine Praxis, die schon die sächsischen Kurfürsten förderten. So konnte nach einem kurfürstlichen Dekret von 1649 „jeder sich Meldende herrenlose Häuser und Äcker unentgeltlich erhalten“.

Allerdings hat es die Stadtverwaltung offenbar in mehreren Fällen versäumt, ausreichend zu recherchieren, um eventuelle Eigentümer ausfindig zu machen. Im Sommer 2011 wurden die ersten Vorwürfe bekannt. Insgesamt geht es um 754 Vorgänge. Das Rechnungsprüfungsamt der Stadt ist inzwischen auf 667 mangelhafte Akten gestoßen. In 565 Fällen habe es keinerlei Hinweise auf eine Eigentümerrecherche vor dem Verkauf gegeben, mußte Verwaltungsbürgermeister Andreas Müller einräumen, in 227 Fällen wurden möglicherweise Rechtsanwälte überbezahlt. Drei Mitarbeiter des Rechtsamtes, einschließlich dessen Leiterin, wurden suspendiert. Offenbar wurde im Amt seit Jahrzehnten geschlampt. Hinweise auf Korruption gebe es aber keine, sagte Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD) Ende März auf einer Pressekonferenz.

Bereits seit Dezember arbeiten zwei Juristinnen an der Überprüfung der dringendsten Fälle. Inzwischen wurde eine aus zwölf Mitarbeitern bestehende Spezialabteilung gebildet. Die Vorfälle würden lückenlos aufgeklärt, sagte OB Jung. Jede Akte werde noch einmal in die Hand genommen.

Oppositionspolitiker haben daran ihre Zweifel. Erst nach massivem Druck durch die Medien und aus dem Stadtrat habe OB Jung überhaupt Stellung bezogen, erinnert René Hobusch, Vizechef der FDP-Fraktion im Stadtrat. Auch sei nur ein kleiner Teil der betroffenen Grundstücke einer Tiefenprüfung unterzogen worden: „Niemand kann heute ausschließen, daß bei dieser Einzelfallprüfung weitere Ungereimtheiten ans Licht kommen.“ Hobusch will auch nicht ausschließen, daß es „außerhalb der Verwaltung einen strukturierten Umgang mit herrenlosen Grundstücken gegeben hat“. Die Stadt sollte soviel Rückgrat zeigen und die Nachweispflicht für Eigentumsverhältnisse auf sich nehmen, um die Geschädigten zu entlasten, fordert die Kommunalpolitische Vereinigung. In drei Fällen haben Grundstückserben inzwischen Schadenersatzansprüche gestellt. Nach Angaben der Verwaltung würden diese im unteren sechsstelligen Bereich liegen.

Mittlerweile hat Oberbürgermeister Jung den früheren Präsidenten des Bundesverwaltungsgerichts, Eckart Hien, als unabhängigen Ansprechpartner für alle Fragen, die herrenlosen Häuser betreffen, berufen.

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen