© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  19/12 04. Mai 2012

Der Bundestag rüstet zum Verfassungsbruch
Euro-Krise: Der dauerhafte Rettungsfonds ESM verursacht eine Neuverschuldung von 190 Milliarden Euro
Wolfgang Philipp

Dem Bundestag liegen zwei den Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) betreffende Gesetzentwürfe vor. Der erste betrifft das Ratifizierungsgesetz, mit welchem der Bundestag den Beitritt Deutschlands zum ESM-Gründungsvertrag beschließen soll. Dieser tritt in Kraft, wenn 90 Prozent der vorgesehenen Zeichnungen durch die Euro-Länder hinterlegt worden sind. Sobald dies der Fall ist steht fest, daß der Bundestag folgendes beschlossen hat: Deutschland ist verpflichtet, von dem 700 Milliarden Euro betragenden Stammkapital des ESM einen Teilbetrag des deutschen Anteils von 190 Milliarden Euro einzuzahlen.

Es verschuldet sich gegenüber dem ESM. In Artikel 8 des Vertrages wird das Kapital als „genehmigtes Stammkapital“ bezeichnet, das für Deutschland in eingezahlte Anteile in Höhe von 21,72 Milliarden Euro sowie „abrufbare Anteile“ in Höhe von 168,3 Milliarden Euro unterteilt wird. Der Begriff „genehmigtes Stammkapital“ ist irreführend. Im Aktienrecht versteht man darunter die Ermächtigung des Vorstandes, das Kapital durch Ausgabe junger Aktien zu erhöhen. Eine Kapitalerhöhung liegt darin noch nicht, es gibt noch gar keine Zeichner. Dieses „genehmigte Kapital“ darf nicht verwechselt werden mit bereits gezeichnetem Grundkapital, das zunächst nur teilweise eingezahlt ist, aber jederzeit auf Anforderung eingezahlt werden muß – so ist es beim ESM.

Die „abrufbaren Anteile“ sind nicht eine rechtlich offene Position, sondern beruhen auf einer unabdingbaren Verpflichtung der Mitglieder, welche der ESM als zu seinem Vermögen gehörende Forderung einbucht. Das Stimmrecht richtet sich nicht nach der effektiven Einzahlung, sondern nach den im Vertrag zugeteilten Anteilen. Offen ist nicht die Zahlungsverpflichtung als solche, sondern das Datum der Fälligkeit derselben, über welche allein der Gouverneursrat des ESM entscheidet.

Der Verschuldungsvorgang ist mit dem Beitritt vollendet. Die Zwei-Billionen-Staatsverschuldung Deutschlands erhöht sich automatisch um weitere rund 190 Milliarden Euro, für welche im Bundeshaushalt aber (von einem kleinen Teil abgesehen) keine Refinanzierung vorgesehen ist. In dem vorgelegten Entwurf Nr. 2 eines ESM-Finanzierungsgesetzes wird diese Rechtslage verkannt. Dort heißt es, das Bundesministerium der Finanzen werde „ermächtigt“, für das abrufbare Kapital in Höhe von 168,30768 Milliarden Euro „Gewährleistungen zu übernehmen“. Anders als im Fall der EFSF, in welchem das Bundesverfassungsgericht in der Tat über „Gewährleistungen“ (Bürgschaften) zu entscheiden hatte, ist hier nichts zu „gewährleisten“, vielmehr wird sofort eine Zahlungsverbindlichkeit begründet.

Die 190 Milliarden Euro bedürfen in vollem Umfange der Fremdfinanzierung, die aber nur eine Umschuldung darstellt, weil eine entsprechende Verbindlichkeit schon durch den Beitritt begründet worden ist. Die Verabschiedung des Ratifizierungsgesetzes enthält aber stillschweigend auch einen Beschluß dahin, je nach Abrufen der Gouverneure des ESM für den Bundeshaushalt zur Refinanzierung Kredite aufzunehmen und diese zu verzinsen. Bei einem Drei-Prozent-Zinsniveau etwa bedeutet dies auf ewige Zeiten für Deutschland alljährlich einen zusätzlichen Zinsaufwand im Haushalt von rund sechs Milliarden Euro: Ein Rücktrittsrecht gibt es nicht.

Der Bundestag und seine Nachfolger sind nicht nur an die Höhe dieser Einzahlungsverpflichtung als solche gebunden. Sie haben auch keine Möglichkeit, darüber zu entscheiden, in welchem Haushaltsjahr und in welchen Teilbeträgen diese Summe zu refinanzieren ist. Dies entscheidet „von oben“ im Sinne einer Art Vormundschaft der Gouverneursrat. Das Parlament verliert dadurch sein Budgetrecht in seinem eigentlichen Kern. Daran ändert das ESM-Finanzierungsgesetz nichts. Dieses ermächtigt nur den Bundesfinanzminister, Zahlungen zu leisten, die in dem ESM-Vertrag ohnehin vorgesehen sind. Im Paragraph 3 gibt es zwar eine Überschrift „Beteiligungsrechte“. Dieser Paragraph ist aber von der Bundesregierung und den einbringenden Fraktionen ohne Text gelassen: Nicht einmal diese haben eine Vorstellung darüber, ob und wie der Bundestag hier noch beteiligt werden soll. Selbst wenn dieser Paragraph mit Beteiligungsrechten des Bundestages ausgefüllt werden sollte, ist fraglich, ob das etwas nützt, wenn solche Beteiligungsrechte des Bundestages nicht in das Ratifizierungsgesetz übernommen und dann in Brüssel hinterlegt werden.

Dieser Befund entspricht genau derjenigen Entwicklung, die das Bundesverfassungsgericht nach seinem Urteil vom 7. September 2011 in der Sache des Euro-Rettungsfonds EFSF (JF 38/11) nicht dulden will. Dort sind die folgenden Grundsätze niedergelegt: Die Abgeordneten müssen auch in einem System intergouvernementalen Regierens die Kontrolle über grundlegende haushaltspolitische Entscheidungen behalten. Der Bundestag darf seine Budgetverantwortung nicht durch unbestimmte haushaltspolitische Ermächtigungen auf andere Akteure übertragen.

Es dürfen keine dauerhaften völkervertragsrechtlichen Mechanismen begründet werden, die auf eine Haftungsübernahme für Willensentscheidungen anderer Staaten hinauslaufen. Auch muß gesichert sein, daß hinreichender parlamentarischer Einfluß auf die Art und Weise des Umgangs mit den zur Verfügung gestellten Mitteln besteht.

Es springt buchstäblich in die Augen, daß der Beitritt zum ESM gegen alle diese Grundsätze des Bundesverfassungsgerichts verstößt, außerdem auch unmittelbar gegen Artikel 115 Absatz 2 des Grundgesetzes, der eine scharfe Begrenzung der Kreditaufnahme des Bundes vorsieht. Berlin ist im Begriff, Grundlagen des demokratischen Rechtsstaats zu zerstören.

Anti-ESM-Kampagne der „Zivilen Koalition“: www.zivilekoalition.de

 

Dauerhafter Euro-Rettungsfonds ESM

Am 25. Mai will der Bundestag unter anderem den Gesetzentwurf (17/9045) zum Vertrag zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) und den Gesetzentwurf (17/9048) zum ESM-Finanzierungsgesetz verabschieden. „Der ESM soll ab Juli 2012 den Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebiets Stabilitätshilfen zur Verfügung stellen können, wenn es zur Wahrung der Finanzstabilität des Euro-Währungsgebiets insgesamt und seine Mitgliedstaaten unabdingbar sei“, argumentieren die Regierungsfraktionen. Der ESM wird mit einem Stammkapital von 700 Milliarden Euro ausgestattet, davon sollen zunächst 80 Milliarden Euro bar eingezahlt werden. Der deutsche Anteil beträgt 21,72 Milliarden Euro an Bareinlagen und 168,3 Milliarden Euro an abrufbarem Kapital. Die in diesem Jahr anfallende Bareinzahlung soll durch einen Nachtragshaushalt in Höhe von rund 8,4 Milliarden Euro bereitgestellt werden.

Gesetzentwurf von CDU/CSU und FDP zum Vertrag zur Einrichtung des ESM: http://dip.bundestag.de

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