© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  19/12 04. Mai 2012

Der lange Atem hat sich ausgezahlt
Nach mehr als zwanzig Jahren Diskussion nimmt der Wiederaufbau des Berliner Schlosses Gestalt an
Marcus Schmidt

Deutschland ist im Schlösserrausch. Noch nie seit dem Ende der Monarchie wurden hierzulande so viele Schlösser gebaut wie heute. Das bereits 2007 vollendete Braunschweiger Schloß ist aus der Stadt nicht mehr wegzudenken; das Potsdamer Stadtschloß, das künftig den Landtag von Brandenburg beherbergen wird, steht im Rohbau und dominiert wieder die vom SED-Regime geschundene preußische Residenzstadt. Und von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt wächst mitten in den weltberühmten Barockgärten in Hannover Herrenhausen das namensgebende und gleichfalls nach dem Zweiten Weltkrieg abgeräumte Schloß empor.

„Reaktionärer wurde in Deutschland noch nie gebaut!“ empören sich die Kritiker der Rekonstruktionswelle. Denn die geschilderten Beispiele sind nur das Vorspiel für das wichtigste Projekt in dieser Reihe, den Wiederaufbau des Berliner Stadtschlosses, der unaufhaltsam an Fahrt gewinnt. Nach mehr als zwanzig Jahren teilweise erbittert geführter Diskussionen wurde jetzt auf dem Areal des Stadtschlosses trotz aller Sparbeschlüsse mit den ersten Vorarbeiten für den Wiederaufbau des imposanten Baus des Barockbaumeisters Andreas Schlüter begonnen. Da unter dem Schloß künftig die U-Bahnline 5 verläuft, mußte bereits vor dem offiziellen ersten Spatenstich, der für das kommende Jahr geplant ist, mit Arbeiten am weichen Berliner Untergrund begonnen werden, damit dieser dem Gewicht des künftigen Humboldt-Forums standhalten kann.

Gleichzeitig geht am Bauplatz die erste Musterfassade ihrer Vollendung entgegen. Mit dem auch bei Neubauten üblichen Fassadenmodell im Maßstab eins zu eins sollen erste Erfahrungen mit den Materialien gesammelt werden und Hinweise für die Farbgestaltung gewonnen werden. Gleichzeitig wird die Musterfassade einen ersten Eindruck von dem Detailreichtum der Außenfront geben und den Berlinern eine Ahnung von der künftigen Wirkung des Schlosses im Stadtbild vermitteln. Die Fassadenelemente wurden von den Steinmetzen der Schloßbauhütte gefertigt, die im vergangenen Jahr in Berlin-Spandau ihren Betrieb aufgenommen hat und in der intensiv an der Rekonstruktion der Fassade gearbeitet wird. Längst sind die Skeptiker widerlegt, die es für unmöglich hielten, diese original nachzuschöpfen. Die Handwerker profitieren dabei von den jahrelangen Vorarbeiten des Schloßbauvereins um Wilhelm von Boddien, dessen Verdienste um den Wiederaufbau des Berliner Stadtschlosses nicht hoch genug eingeschätzt werden können.

Maßgeblich zur wachsenden Akzeptanz des Wiederaufbaus beigetragen hat die Qualität des Entwurfs des mit dem Bau des rund 500 Millionen Euro teuren Humboldt-Forums beauftragten Architekten Franco Stella. Der Italiener ist in seinen Plänen, die er in den vergangenen Monaten ständig verfeinert hat, respektvoll mit Schlüters Werk umgegangen und hat mit der von ihm geplanten großartigen Passage zwischen den Portalen II und IV den Schloßkomplex genial ergänzt. Dennoch gibt es natürlich für Schloßpuristen an Stellas Entwurf wie auch am Gesamtkonzept genügend zu kritisieren. Angefangen bei der neu gestalteten Spreefront über das moderne Innere bis hin zur künftigen Nutzung des Barockschlosses als musealer Gemischtwarenladen irgendwo zwischen Völkerkundemuseum und Globalisierungsforum.

Doch bei aller Kritik darf nicht vergessen werden, daß der Wiederaufbau des Berliner Stadtschlosses ein Triumph für all jene ist, die sich nicht mit den architektonischen Brachen in unseren vielerorts immer noch vom Krieg und mehr noch vom Wiederaufbau entstellten Städten abfinden wollen und der Gestaltungskraft der modernen Architektur mißtrauen.

Zudem ist der Wiederaufbau des Stadtschlosses ungewöhnlich kompromißlos. Alles was tatsächlich rekonstruiert wird, wird auch so wiederhergestellt wie es bis zur Zerstörung des Schlosses existierte. Kein Bauteil wird – wie etwa beim Potsdamer Stadtschloß – gestaucht oder aufgebläht oder verkürzt oder versetzt. Dort wo Schloßelemente rekonstruiert werden, ist es der pure Schlüter. Und statt wie von den Skeptikern befürchtet weniger, gibt es immer mehr Details, die rekonstruiert werden sollen.

Jüngstes Beispiel ist das sogenannte Eckrondell der Schloßplatzfassade. Dieser barock überformte Turm eines der Vorgängerbauten der Residenz war im ursprünglichen Entwurf Stellas nicht vorgesehen, obwohl es sich um ein bauhistorisch bedeutsames Detail des Schlosses handelt. Eine anonyme Spende in Höhe von zwei Millionen Euro macht es nun möglich, das Rondell, das künftig den Übergang zwischen Barockfassade und der modern gestalteten Spreefront akzentuieren wird, zu rekonstruieren.

Ähnlich dürfte es sich bei der bislang ohne den Bauschmuck eingeplanten Schloßkuppel verhalten. Die Befürchtungen, daß die rund 80 Millionen Euro teure Rekonstruktion der Fassade, die allein aus Spenden finanziert werden soll, am Geldmangel scheitern könnte, scheint vor diesem Hintergrund unbegründet.

Die im Zweiten Weltkrieg schwer beschädigte und dann aus ideologischen Gründen von den Kommunisten abgeräumte Hohenzollernresidenz ist in Jahrhunderten gewachsen. Gleiches könnte für den Wiederaufbau gelten. Wenn voraussichtlich ab 2019 die wuchtige, aber fein gegliederte Gestalt des Stadtschlosses wieder die Berliner Mitte bestimmt, werden die Stimmen lauter werden, die eine Rekonstruktion auch der wichtigsten Innenräume fordern. Es gehört zu den vielen bemerkenswerten Details der Geschichte des Wiederaufbaus, daß die Grundrisse bereits so geplant wurden, daß die Neuschöpfung der wichtigsten Prunkräume und Treppenhäuser möglich sein wird. Für die kommenden Generationen wird es auch nach der Einweihung des Humboldt-Forums genügend Aufgaben geben, das Schloß zu vollenden.

Man muß sich verwundert die Augen reiben: In einem Land, das seine Brüche und Wunden bis zum Exzeß pflegt, entsteht tatsächlich einer der größten Barockbauten des Landes äußerlich (und inklusive des großartigen Schlüterhofes) neu: Originalgetreu, ohne daß die moderne Architektur einen grellen Kontrapunkt zur überkommenen Bautradition setzen konnte. Wer immer etwas an der Neuschöpfung von Schlüters Meisterwerk durch Stella auszusetzen hat, der sollte sich die teilweise absurden und seelenlosen Vorschläge der modernen Architektur für die Bebauung des Schloßplatzes vor Augen führen. Und schweigen.

www.historisches-stadtschloss.de

Foto: Gerüst an einem Fassadenelement des Berliner Stadtschlosses (3. April): Die Vorbereitungen für den Bau des Schlosses haben begonnen. Das Element soll demonstrieren, wie die künftige Fassade aussehen soll.

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