© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  19/12 04. Mai 2012

Die Rechts-links-Zuschreibung wird mißbraucht
Der verfälschte Code
Jost Bauch

Carl Schmitt hat in seiner berühmten Schrift „Der Begriff des Politischen“ die Unterscheidung von „Freund“ und „Feind“ als die die Politik letztlich konstituierende Leitunterscheidung angesehen. Wie „Gut“ und „Böse“ als Leitdifferenz das Moralische, „Schön“ und „Häßlich“ das Ästhetische begründet, so beruht nach Schmitt alle Politik auf der Grundunterscheidung zwischen Freund und Feind. Das hat ihm unbegründeterweise den Vorwurf des „Bellizismus“ (Kriegslüsternheit) eingebracht.

Wenn auch für Schmitt eine rein friedliche Vorstellung vom gesellschaftlichen Leben eine unpolitische Vorstellung ist, so bedeutete die Parteinahme für die Freund-Feind-Leitunterscheidung nicht immerwährenden Kampf, sondern Orientierung an der Möglichkeit eines politischen Kampfes. Eine solche Politik des Vorbereitet­seins auf den kriegerischen Ernstfall durch die Beachtung der Freund-Feind-Antithetik kann sogar friedensstiftend wirken. Im Grunde beruhte die gesamte Nato-Strategie der Abschreckung im Kalten Krieg auf dieser Einsicht.

Niklas Luhmann, Soziologe und Systemtheoretiker, hat diese Leitunterscheidung für das Politische von Carl Schmitt aufgegriffen. Für ihn war allerdings die Freund-Feind-Unterscheidung zu „archaisch“; er hat gleichsam diese Differenzierung demokratietheoretisch „zivilisiert“, indem er sie durch die Unterscheidung von Regierung und Opposition ersetzte. Bei Politik handelt es sich nach Luhmann funktional um die „Herstellung kollektiv bindender Entscheidungen“. Kollektiv bindende Entscheidungen werden durch den Einsatz des Mediums „Macht“ möglich. Die Lizenzierung der Machtausübung erfolgt in Demokratien über die Codierung (Leitunterscheidung) von Regierung und Opposition.

Die über Mehrheitsentscheidungen inaugurierte Regierung verfügt über Macht, kollektiv bindende Entscheidungen zu fällen, die Opposition ist dagegen machtlos. Sie entwickelt Alternativen zum Regierungsprogramm, um bei der nächsten Wahl selbst Regierung zu werden und die aktuelle Regierung in den Status der Opposition zu versetzen. Der Evolutionsgewinn der Demokratie besteht darin, daß die Machterringung friedlich erfolgt und nach rechtsstaatlichen Prinzipien und Prozessen geregelt ist, ein Gewalt anwendender Machtkampf ist damit ausgeschlossen. Die Codierung von Regierung und Opposition hat den zivilisatorisch wichtigen Vorteil, daß der Übergang von Regierung zu Opposition und von Opposition zu Regierung erleichtert wird; der permanente Wechsel von einer Position zur anderen wird gleichsam zum politischen Normalfall.

Solange dieses Prinzip funktioniert, werden Machtergreifungen über Revolutionen, Bürgerkriege, Staatsputsche und so weiter überflüssig; das politische System erneuert sich über die politische Leitunterscheidung zwischen Regierung und Opposition kontinuierlich. Da die Opposition gesellschaftliche Entwicklungen aufgreift und politische Alternativen offeriert, sind die in Diktaturen üblichen politischen Machtverkrustungen eher unwahrscheinlich.

Dabei stellt die Unterscheidung von Regierung und Opposition den institutionellen Aspekt der politischen Leitunterscheidung dar. Flankiert wird diese institutionelle Leitunterscheidung durch eine inhaltliche: die Differenzierung zwischen konservativ und progressiv oder auch zwischen rechts und links. Geradezu lässig schreibt Luhmann in seiner „Soziologischen Aufklärung 3“ aus dem Jahre 1981: „Wer für irgend etwas ist, was als Herrschaft oder herrschend bezeichnet werden kann, ist konservativ. Wer emanzipieren möchte, ist – auch und gerade wenn er dies anderen antun will – progressiv.“

Die Unterscheidung zwischen konservativ und progressiv bildet sich fast naturwüchsig aus, sobald Politik im Spiel ist. Selbst im Politbüro der bolschewistischen Partei der UdSSR bildeten sich rechte (Nikolai Bucharin) und linke Flügel (Leo Trotzki) aus, die Rechts-links-Kennung des Politischen ist unhintergehbar. Für eine Demokratie ist es selbstverständlich, daß die radikalen Positionen sowohl auf der linken als auch auf der rechten Seite, die das Prinzip der Demokratie und damit die Möglichkeiten des gewaltfreien Oszillierens zwischen links und rechts in Frage stellen, politisch tabuisiert werden. Sind diese extremen Endpunkte von links und rechts abgeschnitten, muß das politische System, wenn es denn demokratisch verfaßt sein will, der Wirksamkeit der Rechts-links-Kennung zu ihrem Recht verhelfen. Ohne diese Kennung ist das Spiel von Regierung und Opposition nicht durchführbar.

Dabei darf man die politische Leitdifferenz von rechts und links nicht substantialistisch mißverstehen. Gerade, weil sie nicht an bestimmten Positionen gleichsam fest anhaftet, setzt sie sich im Politischen als Leitdifferenz immer wieder durch. Wie im Straßenverkehr kann es im Politischen kein links ohne rechts und vice versa geben, es sind Relationsbegriffe.

Jede politische Position bildet gleichsam eine linke und rechte Spielart aus, jede rechte Position wird mit einem linken Pendant, jede linke Position mit einem rechten Pendant konfrontiert. Entscheidend ist, daß die Rechts-links-Dichotomie vom Beobachterstandpunkt abhängig ist. Rechts und links sind nicht einfach da, ein politischer Sachverhalt wird von einem Beobachter als rechts oder links bezeichnet, es handelt sich dabei um eine soziale Konstruktion.

Der gleiche politische Sachverhalt kann von einem Beobachter als „rechte Politik“ bezeichnet werden, ein anderer sieht dies als „linke Politik“. Deswegen ist auch jede politische Position, jeder Politiker und letztlich jeder Mensch rechts und links gleichzeitig. Es kommt auf den Standpunkt an, von dem aus diese Politik oder dieser Mensch beurteilt wird. Willy Brandt ist aus der Sicht eines oberbayerischen CSU-Bürgermeisters ein „Linker“, aus der Sicht eines Antifa-Aktivisten aus Bremen ein „Rechter“. Eine politische Gruppierung, ein politisches Programm oder ein einzelner Mensch ist immer nur in Relation zu einer anderen politischen Gruppierung rechts oder links, niemals „an sich“. Was als rechts oder links bezeichnet wird, wandelt sich natürlich im Laufe der Zeit.

Im vorpolitischen Raum galt die rechte Seite immer als privilegiert. Die rechte Seite Gottes repräsentiert im christlichen Glauben die Gnade, die linke das Gericht. Der Platz zur rechten Gottes oder des Königs ist der Ehrenplatz. Noch heute steigt der katholische Priester mit dem rechten Fuß zuerst den Altar hinauf. Im politischen Raum symbolisierte die Rechts-links-Differenz zunächst die Sitzordnung im Parlament, wo Konservative rechts, liberale und andere progressive Kräfte links saßen. Um 1867 galten Parteien als rechts, die sich antinationalistisch, gegen den starken preußischen Staat Bismarckscher Prägung wandten, föderalistisch und legitimistisch orientiert waren.

Auch der neue Patriotismus der deutschen Burschenschaftsbewegung galt als eher links. Das politische Spektrum hat sich seither völlig verschoben. In der Bundesrepublik haben sich in den letzten Jahren die politischen Koordinaten nach links verschoben. Das hat Auswirkungen auf die Rechts-links-Kennung, die zwar formal erhalten bleibt, aber insbesondere die rechte Seite dieser Unterscheidung mit Problemen konfrontiert.

Rechts wird so, was früher eher links war; freiheitlich-konservative Positionen, die früher eher der Mitte zugerechnet wurden, wandern ins rechte Spektrum. Die Lage wird noch dadurch dramatisiert, daß durch die Linksverschiebung des politischen Spektrums Angehörige ausgewiesener linker Positionen nach und nach die Deutungshoheit über die Definition von rechts und links gewinnen. Diese verlinken natürlich nicht ohne politische Hintergedanken liberale und demokratische Positionen des Konservativismus assoziativ mit dem Rechtsradikalismus, wobei den Konservativen eine „Scharnier- und Brückenkopffunktion“ nach rechts außen unterstellt wird.

Es ist klar, was damit intendiert ist: Man will der rechten Seite der Links-rechts-Differenzierung insgesamt einen Schlag versetzen, man will diese Positionen innerhalb des politischen Spektrums zum Schweigen bringen, um der eigenen Position konkurrenzlos Geltung zu verschaffen. Gleichzeitig wird die Beobachterabhängigkeit des Begriffspaares substantialistisch umgedeutet. Man „ist“ rechts oder links, wie man katholisch oder evangelisch ist. Rechts oder links wird zu einem faktischen Merkmal einer Person, Gruppierung oder Position.

Diese Umdeutung hat den Vorteil, daß man politische Positionen moralisieren kann, man kann Inhaber von konservativen Positionen damit verächtlich machen. Doch bei einer solchen moralischen Aufladung von Politik, wenn also die Unterscheidung von Regierung und Opposition im politischen System mit dem Moralcode vermengt wird, die Opposition beispielsweise für schlecht oder böse erklärt wird, ist die Demokratie schnell am Ende, wie Niklas Luhmann richtig schreibt. Durch diese Entwicklung ist die Demokratie in Deutschland insgesamt gefährdet.

Denn die Differenzierung zwischen Regierung und Opposition hat nur dann einen Sinn, wenn auch in programmatischer Hinsicht zwischen rechts und links oder konservativ und progressiv unterschieden werden kann. Wenn sogenannte rechte Positionen innerhalb des demokratischen politischen Spektrums sich nicht mehr in der Öffentlichkeit Gehör verschaffen können, kommt es zu einer Kompression der politischen Varianz und Pluralität, es entsteht ein alternativloser „Mittismus“, der nur noch auf der linken Seite abweichende Urteile erlaubt. Es werden gleichsam demokratiekompatible Positionen des Konservativismus aus dem politischen Spektrum ausgeschlossen. Dieser „Mittismus“, der heute weit links von Positionen steht, die man früher als Mitte bezeichnet hat, unterläuft nämlich die Codierung des Politischen: Das Spiel der Konvertibilität von Regierung und Opposition wird weitgehend überflüssig. Man tauscht dann letztlich nur noch das politische Personal aus, ohne daß das Ganze irgendeinen Einfluß auf die politischen Inhalte und Programme hat. Die Politik wird in inhaltlicher Hinsicht alternativlos. Unter diesen Umständen ist es nicht verwunderlich, daß das Wahlvolk mit Apathie reagiert; die Zahl der Nichtwähler steigt kontinuierlich, das politische Engagement sinkt. Der Versuch der Tabuisierung der einen Seite der Rechts-links-Differenzierung lähmt das gesamte politische System.

Die Menschen wenden sich von der Politik ab, die keine mobilisierende Kraft mehr hat, weil alternativlos geschieht, was sowieso geschieht. Oder aber sie wählen „Spaßparteien“ wie die Piratenpartei, weil sie nicht wissen, wo sie ihre Stimme sonst unterbringen können. Erst wenn der Spannungsbogen des demokratischen Spektrums wieder von rechts bis links reicht, ohne daß die rechte Seite unter moralischen Generalverdacht gestellt wird, kann sich die Demokratie revitalisieren. Die linke Deutungshoheit über die Begriffe steht dem im Wege.

 

Prof. Dr. Jost Bauch, Jahrgang 1949, lehrt Medizinsoziologie an der Uni Konstanz und ist Vizepräsident des Studienzentrums Weikersheim. Auf dem Forum schrieb er zuletzt über die Nation als Gehäuse des Sozialstaates („Das solidarische Wir“, JF 3/12).

Jost Bauch: Der Niedergang. Deutschland in der globalisierten Welt. Schriften wider den Zeitgeist, Ares Verlag, Graz 2010. Das Buch fragt nach dem Überleben einer Nation im globalen Zeitalter, beschreibt Problemlagen und Gegenstrategien.

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