© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  19/12 04. Mai 2012

Blick in die Medien
Netz steh auf und Sturm brich los
Toni Roidl

Wenn sich der Pöbel des Internets in einen virtuell wütenden Mob mit Fackeln und Forken verwandelt, nennt der Mediensoziologe das „Shitstorm“. Dabei genügt es dem Online-Wutbürger, wenn er den Grund für das Empörungsgewitter vom Hörensagen kennt. Erst schimpfen, dann Fakten betrachten.

Barbara Schwede und Daniel Graf aus der Schweiz, Experten für Soziale Netzwerke, haben das Phänomen genauer untersucht und eine Windstärke-Skala für Shitstorms entwickelt. Die Skala hat sechs Stufen, von Windstille (gelegentliche Kritik von Einzelpersonen ohne Resonanz) bis Orkan (kanalübergreifende Hetzkampagne, Top-Thema in den Medien). Kritisch ist vor allem der Sprung von Stufe 3 zu 4: wenn sich empörte Einzelkritiker zu Gruppen vernetzen und der Krawall aus den Blogs in die etablierten Medien schwappt.

Die Einordnung soll helfen, einen aufziehenden Shitstorm frühzeitig zu erkennen, die nächste Stufe vorherzusehen und rechtzeitig gegenzusteuern. Das Standardmanöver geht so: Man erklärt, man habe lediglich eine Debatte zu einem Tabuthema anstoßen wollen und die Eskalation zeige nur, daß man einen sensiblen Punkt getroffen habe und wie notwendig die Kontroverse sei. Öffentlich Zurückrudern oder abtauchen ist dagegen ganz falsch!

Schlagen die Wellen noch so hoch, jeder Shitstorm zieht irgendwann vorüber. Und so marginal wie der Auslöser bleiben meist auch die Folgen. Wer sich souverän zeigt, kann die Aufmerksamkeit bestenfalls sogar in Erfolg ummünzen.

Der Empörungssturm ist übrigens kein Internetphänomen. In Feuilletons und Fernsehen funktioniert die Haufenbildung cholerischer Meinungskläffer genauso. Im Grunde ist die Berichterstattung vom Lokalblättchen bis zur öffentlich-rechtlichen Nachrichtensendung über alles Konservative und Patriotische nichts weiter als ein nicht enden wollender, täglicher Shitstorm.

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