© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  20/12 11. Mai 2012

Kampf gegen die Bürokratie
Bundeswehr I: Mit „Leitgedanken zur Neuausrichtung“ versucht der Generalinspekteur, dem Soldatischen wieder mehr Geltung zu verschaffen
Martin Böcker

Der ranghöchste Soldat der Bundeswehr, Generalinspekteur Volker Wieker, hat in der vergangenen Woche seine „Leitgedanken zur Neuausrichtung der Bundeswehr“ an der Führungsakademie in Hamburg vorgestellt. Vor mehreren hundert Offizieren versuchte er eine Standortbestimmung, betrachtete die „Einsatzrealität einer Freiwilligenarmee“, sprach von „beruflichem Selbstverständnis“ und Tradition. Wieker, der seit knapp zweieinhalb Jahren Generalinspekteur ist, scheint der Broschüre seinen persönlichen Stempel aufgedrückt zu haben. Der parteilose Soldat gilt als Kontrast zu seinen Vorgängern im Amt, die sich als „Militärpolitiker“ eher zurückhaltend äußerten. So war es sicher kein Zufall, daß gerade Wieker acht Monate nach seiner Amtseinführung scharfe Kritik am desaströsen Beschaffungswesen der Bundeswehr geübt hat. Auch seine „Leitgedanken zur Neuausrichtung“ sind relativ deutlich.

So erinnert er sein Offizierkorps an einen alten Grundsatz deutscher Streitkräfte, das „Führen mit Auftrag“, welches mit der Bürokratisierung der Verteidigungsarmee Stück für Stück einer Absicherungsmentalität gewichen ist. Den „Trends zur Rückversicherung und detailversessener Kontrolle auf allen Führungsebenen“ sei entschieden entgegenzutreten. Damit stößt er ins gleiche Horn wie Verteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU), der eben diese Herrschaft des bürokratischen Mißtrauens schon mehrfach kritisierte.

Der Verzicht auf Absicherung soll mit einem selbstsichereren Auftreten einhergehen. Denn es ist mittlerweile ja nichts Neues mehr, daß deutsche Soldaten in den Auslandseinsätzen sehr weit von der Lebenswelt deutscher Zivilisten entfernt sind. „Gefahr, Entbehrungen, Tod und Verwundung, aber auch die Ermangelung jeglicher Privatsphäre sind soldatische Erfahrungen, die in der Bundeswehr vielfach, in der breiten Gesellschaft hingegen höchst selten anzutreffen sind“, bringt Wieker einen Umstand auf den Punkt, der eigentlich ein Allgemeinplatz sein sollte.

Also weist er seine militärischen Führer darauf hin, daß sie das „Recht und die Pflicht“ hätten, „ihre Interessen und Ansichten auf verantwortungsbewußte Weise in den gesellschaftlichen Dialog gleichberechtigt einzubringen“. Denn gerade sie, „als Soldaten und mündige Bürger“, könnten die Sinnhaftigkeit des militärischen Dienstes besonders authentisch vermitteln. Das, so Wieker, sollte nicht nur „anderen“ überlassen werden. Diese deutliche Aufforderung zum Mitreden widerspricht der gängigen Praxis deutscher Offiziere, denen ja nachgesagt wird, daß sie sich gegenüber Politik und Öffentlichkeit doch sehr zurückhaltend äußern.

Natürlich weiß der Generalinspekteur, daß seine Forderungen nicht per Befehl zu verwirklichen sind. Das „institutionelle Beharrungsvermögen“ der Bundeswehr müsse überwunden werden, „tiefgreifende Veränderungen“ werden sicher auf Widerstand stoßen. Denn die Soldatengenerationen sind schlichtweg unterschiedlich sozialisiert, hier die jungen Einsatzsoldaten, dort die alten Kameraden der Verteidigungsarmee.

An solchen Stellen sind Wiekers Leitgedanken erfreulich deutlich. Er verzichtet auf Gerede von „kollegialem Führungsstil“ oder „Management“, stattdessen geht es um selbstbewußtes Beteiligen. Er verwendet Begriffe wie „Entschlossenheit“, „charakterliche Eignung“ und „Kampfkraft“ sowie „Tapferkeit“ und „Kameradschaft“. Trotz hochentwickelter Technik sei immer noch der Soldat für den Einsatzerfolg entscheidend. Und wenn er davon spricht, daß das Bestehen „im Einsatz unter Kampfbedingungen“ der höchste Maßstab sei, an dem sich Vorgesetzte zu orientieren hätten, dann sagt er zwar nichts Neues, aber er sagt es.

Fraglich bleibt dann allerdings, warum er vom „Einsatz unter Kampfbedingungen“ spricht, wo es doch um „neue Kriege“ (Herfried Münkler) geht. Mit solchen Formulierungen bleibt er – leider – an vielen Stellen in diesem klassischen Beamtenjargon. Das gehört zu einer Armee, deren Führung aus den verknöcherten Strukturen des friedlich gewordenen Kalten Krieges hervorgegangen ist. Warum spricht er von „beruflichem Selbstverständnis“, wo es doch um das soldatische Selbstbild geht? Warum beschränkt sich seine „Standortbestimmung“ auf eine Nabelschau rund um Individualisierung und religiöse Vielfalt in der Bundeswehr sowie die Pendlerproblematik vieler Soldaten? Geht es nicht vielmehr darum, daß Bundeswehrsoldaten gegen Irreguläre kämpfen, deren Philosophie des Krieges sich so sehr von der unseren unterscheidet? Man mag derartige Kritik für kleinlich halten oder angesichts des Pathos die Nase rümpfen. Doch genau dieses Pathos, wenn es denn nicht theatralisch und die einzige Quelle des Selbstwertgefühls wird, braucht ein Mensch, der im Namen seines Landes zu töten und zu sterben bereit ist.

In Zeiten einer äußerst unklaren Feindlage bieten Wiekers „Leitgedanken“ keine Anhaltspunkte für das Selbstbild des deutschen Soldaten. Aber seine Absage an die Absicherungsmentalität und die Aufforderung zum selbstbewußten Mitreden sind ein erfreulicher Impuls für eine Debatte darüber.

Foto: Generalinspekteur Volker Wieker bei einem Gelöbnis vor dem Reichstag: Klassischer Beamtenjargon

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen