© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  20/12 11. Mai 2012

Souveränität auf des Messers Schneide
Südsudan: Knapp ein Jahr nach den Feierlichkeiten zur Unabhängigkeit steckt das Land am Weißen Nil in einer tiefen Krise / Eskalation des Streits um Öl
Marc Zöllner

Es hätte der Beginn einer neuen Freundschaft werden können, als der christlich geprägte Süden Sudans im Juli letzten Jahres seine Unabhängigkeit vom islamistischen Norden erklärte. Nach zwei insgesamt fünf Jahrzehnte andauernden Bürgerkriegen, die allein im Süden rund zwei Millionen Zivilisten das Leben kosteten, reichten sich die einstigen Todfeinde feierlich die Hände, um einen wirtschaftlichen wie politischen Neuanfang zu vereinbaren.

Zur Zeremonie der Unabhängigkeitsfeier reiste der nordsudanesische Präsident Umar al-Baschir persönlich an, um zu erklären, Khartum werde „den Brüdern im Süden zur Seite stehen“ und ihnen „beim Aufbau ihres eigenen Staates“ behilflich sein. Ein Versprechen, welches anfangs eingehalten schien, als erstes Land weltweit erkannte der Norden den Süden als eigenständiges Land an. Eine Vereinbarung über die gemeinsame Nutzung der Einnahmen aus dem Ölexport sollte überdies zur wirtschaftlichen Prosperität beider Länder beitragen.

Ein knappes Jahr später scheint die Lage jedoch desolater denn je. Seit Januar fördert der Süden kein Öl mehr, Streitigkeiten mit dem Norden über die korrekte Besteuerung der Transportwege beantwortete die Regierung in Juba mit der kompletten Einstellung der bislang lukrativen Förderung von über 350.000 Barrel pro Tag.

Des Südens Nachteil, daß die einzige Pipeline durch den Norden führt, konnte Präsident Salva Kiir Mayardit bislang nicht durch Verhandlungen mit den Nachbarstaaten kompensieren. Ein versprochener kenianischer Kredit zum Bau einer zweiten Trasse in Richtung Mombasa liegt bislang auf Eis.

Zu prekär scheint Nairobi die Einmischung in den neu aufkeimenden innersudanesischen Konflikt zu sein. Ebenso kam eine Zusammenarbeit zwischen dem in der Schweiz ansässigen Konzern Glencore, dem französischen Ölmulti Total sowie der südsudanesischen Erdölgesellschaft Nilepet aufgrund „vertraglicher Details“ bislang nicht zustande. Es gebe „Klauseln, denen der Südsudan nicht zuzustimmen vermag“, so Ölministerin Elisabeth James Bol im März dieses Jahres. Überdies sei dieser Vertrag nicht mit ihr, sondern „zur Zeit des früheren Ölministers abgeschlossen worden.“ Welche Details der bislang unterzeichneten Verträge noch einmal genau zu überprüfen seien, vermochte ihr Ministerium jedoch bislang nicht zu benennen. Man prüfe jedoch zeitgleich das Angebot einer „asiatischen Regierung“, so die Ministerin, zur „Kreditvergabe gegen südsudanesisches Rohöl“.

Dabei läuft der Regierung in Juba die Zeit davon. Über 98 Prozent der Einnahmen des Staatshaushaltes fließen direkt aus dem Ölexport, eine nennenswerte Industrie existiert am Weißen Nil nicht. Generell ist der Süden stark abhängig vom Import von Handwerkswaren, Maschinenteilen sowie der Anleihe ausländischer Devisen. Insbesondere Karthum war bislang stets Haupthandelspartner des wirtschaftlich wie infrastrukturell stark unterentwickelten Südens.

Im Land von der Größe Frankreichs existieren gerade einmal sechzig Kilometer geteerte Straße, rund die Hälfte der zehn Millionen Einwohner besitzen keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser, und gerade ein Viertel der Bevölkerung ist des Lesens mächtig.

Mit einer Kindersterblichkeit von 72 pro tausend Geburten belegt der Südsudan weltweit einen traurigen 19. Platz, und obwohl aufgrund der halbnomadischen Lebensweise vieler Südsudanesen keine konkreten Zahlen berechnet werden können, schätzt das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP) die Arbeitslosigkeit im Lande mit über 30 Prozent auf fast doppelt soviel wie im Norden, Tendenz steigend.

Hinzu kommen kostspielige Altlasten. Noch immer unterhält die Regierung in Juba knapp 200.000 Soldaten der früheren Separatistenarmee SPLA, die mitsamt Waffen und Kleidung bezahlt gehören.

Ein Großteil dieser Truppen ist seit der Unabhängigkeit vom Juni letzten Jahres noch immer aktiv in Kampfhandlungen gegen Khartum in den zum Nordsudan gehörenden Provinzen des Blauen Nils sowie des Kordofan eingebunden. Stellvertreterkriege Jubas, wie Umar al-Bashir mit ernster Mine erläutert. Ein Konflikt, welcher dieser Tage mit der Besetzung der nordsudanesischen Provinzstadt Heglig durch südsudanesische Truppen bald zum offenen Krieg eskaliert wäre.

Erst eine Drohung der Vereinten Nationen mit massiven Sanktionen gegen beide Staaten vom 25. April bewirkte ein Einlenken der beteiligten Regierungen, Salva Kiir zog seine Truppen aus der ölreichsten Stadt des Nordens zurück, Umar al-Bashir erklärte die Kampfhandlungen daraufhin für beendet. Zumindest in dieser Provinz.

Denn neben ethnischen Spannungen zwischen nomadischen Stämmen im Osten des Landes, bei denen seit Beginn dieses Jahres Hunderte Zivilisten zu Tode kamen, ringt der Süden noch immer um politische Stabilisierung innerhalb der eigenen Reihen. Erst im Januar gelang es der Regierung in Juba, die Südsudanesische Bewegung für Demokratie (SSPM) des bei einer Gouverneurswahl unterlegenen Dissidenten George Athor Deng entscheidend zu schlagen sowie zu entwaffnen.

Mit der Südsudanesischen Volksbefreiungsbewegung (SSPLM) des für eine Wiedervereinigung beider Staaten kämpfenden SPLA-Renegaten Tong Lual Ayat, dessen Versprechen nach Bekämpfung der grassierenden Korruption täglich weitere hochrangige Regierungsvertreter überlaufen läßt, entspringt nicht nur Salva Kiir Mayardit ein mächtiger Rivale im Kampf ums politische Überleben, sondern ebenso eine Bedrohung für die frisch erungene Souveränität des Südsudan. Dem Land der leeren Kassen, dessen strukturelle Existenz aufgrund des Ölboykottes am seidenen Faden hängt.

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