© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  20/12 11. Mai 2012

Nur Anbieter auf dem Markt der Ideen
Wirtschaftstheorie: Der Ökonom Stefan Kolev verteidigt in seiner Dissertation den Neoliberalismus gegen seine populärwissenschaftlichen Kritiker
Christian Schwiesselmann

Ein Gespenst geht um in Europa: der „Neoliberalismus“. Den geistigen Erben von Marx und Engels ist es gelungen, aus einer breiten ökonomischen Theoriepalette ein plastisches Feindbild zu zimmern. Die „Neoliberalen“ in den Vorstandsetagen und auf den Lehrstühlen seien schuld an der Globalisierung, dem Kasino-Kapitalismus und der Mitnahmementalität der Konzerne, lautet das Klagelied der zumeist linken Kritiker. Margaret Thatcher und Ronald Reagan hätten einer Krämerideologie zum Durchbruch verholfen. Nur der Staat könne die „Heuschrecken“ bannen.

Diesem Zerrbild des „Neoliberalismus“ – den Begriff prägte der Schweizer Ökonom Hans Honegger 1925 – tritt Stefan Kolev in seiner Dissertation bei der Hamburger Wirtschaftsprofessorin Elisabeth Allgoewer entgegen. Er versucht die mannigfaltige Ideenwelt wichtiger neoliberaler Denker auszuleuchten und konzentriert sich dabei auf das Staatsverständnis der Marktwirtschaftler. Kolev, mittlerweile selbst zum Professor für Volkswirtschaftslehre an der Westsächsischen Hochschule Zwickau avanciert, zeigt, daß es nicht so leicht ist, die im Pariser Colloque Walter Lippmann und später in der Mont Pèlerin Society vernetzten Wissenschaftler als „staatsfeindlich“ oder „marktfreundlich“ über einen Leisten zu schlagen.

Während der Österreicher Ludwig von Mises den „Nachtwächterstaat“ empfahl, plädierte der Freiburger Ökonom Walter Eucken für einen starken Staat, der die Funktion eines Schiedsrichters über das Marktgeschehen einnimmt. Wilhelm Röpke, mit 24 Jahren 1923 an die Universität Jena berufen, wich vom Leitbild vollkommener Märkte schon erheblich ab. Er befand das Spielfeld selbst für instabil, da der Markt auf anthropologischen Prämissen basiere, die er nicht schaffe, sondern unter Umständen sogar aufbrauche. Der Staat müsse daher als Statiker agieren und die Fundamente der Wettbewerbungsordnung immer wieder stärken.

Noch komplizierter liegt der Fall bei Friedrich August von Hayek. Der in Wien geborene Nobelpreisträger gehörte zwar wie Röpke und Eucken zum Ordoliberalismus, renovierte sein Theoriegebäude im Laufe seines langen Gelehrtenlebens aber mehrfach. Sein staatliches Leitbild gleicht eher einem Gärtner eines englischen Gartens. In diesem hat der Staat eine Funktion, die nicht im Düngen und Stutzen der einzelnen Marktgewächse besteht, sondern im Kultivieren der großen Formen. Kein Wunder also, daß Hayeks Faible für die spontane Ordnung in seiner späten Schaffensperiode in einen evolutorischen Liberalismus einmündete.

Am Ende der Promotionsschrift muß sich Kolev zwar von seiner Arbeitshypothese verabschieden, wonach sich in den Werken von Röpke, Eucken, Hayek und Mises ein in dieser Reihung abnehmender Staatsumfang feststellen läßt. Mit Hilfe der vergleichenden Topoi-Analyse gewinnt er aber folgenden Befund: „Den neoliberalen Staat gibt es nicht, es handelt sich vielmehr um filigrane Gedankenmodelle, die Eucken, Hayek, Mises und Röpke ein Leben lang verfeinern, revidieren und immer wieder ergänzen und die sie letztlich als Anbieter auf dem Markt der Ideen darbieten.“

Einigkeit unter den Vordenkern besteht darin, daß der Staat für einen Ordnungsrahmen zu sorgen hat; in wettbewerbs-, konjunktur- und währungs- und sozialpolitischen Details dominieren Differenzen, wobei Röpke und Eucken als Väter der Sozialen Marktwirtschaft immer auch zu Konzessionen gegenüber der Praxis – sprich: zweitbesten Lösungen – bereit waren. Gerade Hayeks Meinungswandel zum Goldstandard und seine Hinwendung zum „Free-Banking“ war symptomatisch für dessen geistige Beweglichkeit. Dogmatismus blieb eine marxistische Domäne: Statt dessen waren „die vier Neoliberalen auf einer lebenslangen Reise nach den besten Antworten auf die Fragen ihrer Zeit“.

Stefan Kolev: Neoliberale Leitideen zum Staat. Dissertation an der Uni Hamburg, 2011, 258 Seiten. Als kostenlose pdf-Datei unter:

www.ediss.sub.uni-hamburg.de

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