© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  20/12 11. Mai 2012

CD: Pop
Dadaistischer Dreh
Georg Ginster

Du hast gesagt, es wird alles gut, doch du hast gelogen, Mutter“. Einsichten wie diese eines den heutigen Problemen innewohnenden Generationenkonflikts irrlichtern durch die Texte der Berliner Band Die Türen, parolenartig, aus heiterem Himmel kommend und sogleich zum nächsten Themenwechsel geleitend.

Die Türen erfassen mit leichter Hand und schwindelerregender Präzision Stimmungen und Zustände, die sie bis zum Kalauer paraphrasieren. Ihre Materialbasis ist die Alltagserfahrung von bildungsnahen Ü-30ern in gentrifizierten Stadtbezirken Berlins, denen kein glanzvoller Karriereweg mit Lebensstellung und Pensionsberechtigung offensteht. Dies mag man als eine der üblichen Anmaßungen von Hauptstadtbewohnern begreifen. Tatsächlich aber kommt Berlins Bohème aus aller Herren Länder (Die Türen so ursprünglich aus Westfalen), und Lebensentwürfe und Kopfkino sind längst deutschlandweit (und darüber hinaus) standardisiert.

Die empirische Vorgehensweise der Band verhindert jedenfalls, daß sie sich besserwisserisch, von ausgeklügelten postmodernen Theoriegebäuden herab die Wirklichkeit zurechtbastelt. Allerdings sind Die Türen nicht erschöpft oder nihilistisch genug, um aus der Sinnlosigkeit der beobachteten Phänomene den heiteren und unbeschwerten Schluß zu ziehen, daß Sinnhaftigkeit nicht möglich wäre.

So mühen sie sich auf ihrer neuen CD „ABCDEFGHIJKLMNOPQRSTUVWXYZ“ (Staatsakt/Indigo) sogar an gewerkschaftlichen Kernthemen ab, denen sie einen dadaistischen Dreh geben, ohne die Relevanz der Fragestellung ins Lächerliche zu ziehen. „Rentner und Studenten“ heißt etwa der zu einer über elf Minuten langen Jam Session ausfasernde Auftakt, der unter dem Strich daran erinnert, daß es vor nicht allzu langer Zeit einmal eine Diskussion darüber gab, ob die Arbeitslast nicht gerechter verteilt und den Menschen mehr Freizeit ermöglicht werden sollte. Über die Entzauberung ideologischer Konstrukte wie Selbstoptimierung, Arbeitsfreude, Wissensgesellschaft und Neuerfindung des Sozialen durch „Social Media“ hinaus betreiben Die Türen jedoch vor allem eine Ehrenrettung des durch Bildung zum Prekariat veredelten Lumpenproletariats, das selbst die Urväter des Marxismus abschätzig betrachteten. „Ich will keinen Mindestlohn, ich will Mindestliebe“: Vielleicht lassen sich Impulse zur Humanisierung des Alltags ja wirklich nicht mehr aus der Wirtschaftsgesellschaft heraus erwarten, sondern nur von jenen, die sie bereits ausgestoßen hat.

Der Düsseldorfer Spielart neodadaistischer Gegenwartserfahrung hingegen sind soziale Fragen fremd. Stabil Elite geriert sich wie die musikalische Verkörperung eines Stadtmarketings, das auf Oberflächlichkeit und Schick als Imagefaktoren setzt. Hier am Niederrhein, in sicherer Distanz zum proletarisch-jovialen Köln, entwickelte Kraftwerk seinen kühlen, klinischen Sound, hier trieb Der Plan seine versponnenen multimedialen Späße, hier verflachte Rheingold souverän die elektronische Avantgarde zum Fahrstuhlpop. Stabil Elite stellt sich auf seiner Debüt-CD „Douze Pouze“ (Italic Recordings/Rough Trade) leichtfüßig in diese Lokaltradition. Es ist immerhin das Grundrecht auf Zeitvertreib, dem so Geltung verschafft wird.

Die Türen, ABCDEFGHIJKLMNOPQRSTUVWXYZ Staatsakt/Indigo, 2012 www.staatsakt.de

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