© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  20/12 11. Mai 2012

Tot, toter, Tageszeitung
Sorgenvoll blickt die Zeitungsbranche auf sinkende Auflagenzahlen, aber es gibt auch Hoffnungsschimmmer
Werner Becker

Weniger Leser, weniger Anzeigen. Das ist der dauerhafte Trend für die Masse der gedruckten Zeitschriften, insbesondere Tageszeitungen. Immer mehr Leser wandern ins Netz ab. Wohin geht die Reise?

Wer sich heute in der Bahn umschaut, sieht kaum noch jemanden eine unhandliche Zeitung in Händen halten. Wahrscheinlicher ist es, daß einem heutzutage Mittvierziger mit Kopfhörern und einem kleinen, flachen Bildschirm begegnen, auf dem die aktuellen Nachrichten mitzuverfolgen sind.

Eine Zeitung ist heute vergleichsweise unpraktisch, und vor allem hat sie enorm an Aktualität eingebüßt. Die Zukunft der Printmedien im allgemeinen sieht nicht besonders rosig aus. Eine Statistik von Klaus Meier von der Universität Eichstätt-Ingolstadt zeigt, daß Zeitungen seit 1990 stetig und immer schneller an Popularität verloren haben. Vor 22 Jahren wurden noch rund 26 Millionen Zeitungen in Deutschland verkauft. Tag für Tag. 2002 waren es noch 23,2 Millionen. Und 2011 nur noch 18,8 Millionen. Sollte es kein Wunder geben, sagt Meier das Ende der Zeitungen für ungefähr 2034 voraus, eine erstaunlich präzise Prognose.

Derlei Voraussagen sorgen für Unbehagen, liegen vielen Verlegern und Journalisten schwer im Magen. Das im Juni in Wiesbaden stattfindende Branchentreffen „Zeitungsgipfel 2012“ ist einer von vielen Terminen, bei denen Zeitungsmacher mit Sorgenfalten auf der Stirn über ihre Branche reden werden. „Print steht gehörig unter Druck“, heißt es nachdenklich in der Einladung. Bislang bestand die Reaktion meistens aus Sparmaßnahmen, also Entlassungen.

In den Vereinigten Staaten ist dieser Trend noch weiter vorangeschritten. Die Washington Post beispielsweise mußte 2010 rund 40 Prozent der festangestellten Journalisten entlassen, da wegen sinkender Einnahmen Einschnitte gemacht werden mußten. Auch in Deutschland wird langsam deutlich, wie sich Verlage einschränken müssen. Im April letzten Jahres kündigte die Frankfurter Rundschau an, wegen Umstrukturierung 44 der 190 redaktionellen Arbeitsplätze einzusparen. Die überregionalen Nachrichten werden nun in Berlin geschrieben, wo auch die Zentralredaktion der Berliner Zeitung sitzt, die ebenfalls zum DuMont Verlag gehört. Trotz dieser ernüchternden Fakten findet Mathias Döpfner, Chef des Springer Verlags, daß „die Digitalisierung eine ganz große Chance“ sei, um „eine neue Dimension in Umsatz und Ergebnis zu erreichen“. Weiter sagt er: „Es ist kein Naturgesetz, daß die Printunternehmen als Verlierer aus diesem Strukturwandel hervorgehen werden.“ Die Frage ist: Wieviel Print steckt noch in den Verlagen, wenn dieser Prozeß abgeschlossen ist.

Vor kurzem wurde das iPad 3 vorgestellt, und Leser scheinen heutzutage ihre Nachrichten lieber hochaktuell im Internet zu lesen, als Seiten in einer Zeitung aufzuschlagen. Die Internetseite giga.de berichtet von einer Studie, die ergeben hat, daß 58 Prozent der iPad-Nutzer innerhalb der nächsten sechs Monate ihr Zeitungsabo kündigen wollen, da die iPad-Ausgabe einer Zeitung billiger sei als das gedruckte Exemplar.

Das größte Problem der Zeitungen ist die mangelnde Aktualität, eine Tageszeitung wird niemals in der Lage sein, Dinge, die am Tag der Herausgabe geschehen, so schnell zu kommentieren, wie es im Internet passiert.

Mit der Umstrukturierung auf dem Zeitungsmarkt aus der Sicht des Journalisten beschäftigt sich auch der Blogger Constantin Seibt im Schweizer Tages-Anzeiger. Er hat einen 15-Punkte-Plan aufgestellt, in dem er für eine Neuerfindung des Journalismus im 21. Jahrhundert plädiert. Zum Beispiel sagt er, daß „das ehemalige Kernprodukt, die Nachrichten, inflationär“ geworden sei. Leser würden im „24-Stunden-Rhythmus“ aus dem Internet mit Informationen bedient werden, was dazu führe, daß viele Leser Nachrichten eher als eine „Belästigung“ sähen. Somit würden Informationen „wertlos“. Wegen dieses Werteverfalls muß der Journalist an „Stil“ gewinnen, denn meistens würden Zeitungsartikel mit dem gleichen Thema auch im gleichen „Ton“ geschrieben werden. „Der individuelle Ton jeder Story, jedes Journalisten, jeder Zeitung ist ihr bestes Verkaufsargument“, meint Seibt. Für den Blogger ist klar: Solange ein Journalist „Haltung und Stil“ beweist, überlebt er die Zeitungskrise ganz gewiß.

Und warum sollte Seibt unrecht haben? Ein wenig Optimismus kann nie schaden, und wer aus der Masse heraussticht, wird immer gefragt sein und ein Medium finden, sei es nun gedruckt oder digital, das stilvolle Artikel mit einer klaren Haltung auch heute noch veröffentlicht und das wiederum Käufer für sein Produkt findet.

Vision: 15 Punkte zur Zukunft der Zeitung

www.tages-anzeiger.ch

Newspaper Death Watch. Amerikanische Seite über das Zeitungssterben in den USA

www.newspaperdeathwatch.com

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen