© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  20/12 11. Mai 2012

Gärtner und andere Ideologiekritiker
Vor fünfzig Jahren findet in der Zeitschrift „Der Monat“ die erste große Konservatismus-Debatte der Bundesrepublik statt
Felix Dirsch

Man braucht kein Historiker zu sein, um 1962 als einen Schlüsseljahrgang der bundesrepublikanischen Geschichte zu begreifen. Herausragend in der Ereignisfolge dieses Jahres sind die Schwabinger Krawalle als „generationell-jugendkulturelles Konfliktsignal“ (Stefan Hemler), aber auch die Spiegel-Affäre. Solche politischen Eruptionen sind eingebettet in eine erhebliche sozialgeschichtliche Zäsur. So bringt das Wirtschaftswunder breiteren Bevölkerungsschichten zunehmenden Wohlstand. Fernsehen und eine gestiegene Zahl an privaten Automobilen erhöhen Kommunikationsfähigkeit und Mobilität. Der Generationenwechsel hin zu immer mehr NS-Unbelasteten, die das „Dritte Reich“ lediglich in Kindheit und Jugendzeit erlebt haben, ist in vollem Gang. Nicht nur der aus den USA herüberschwappende Rock’n’ Roll kündet also von bereits angebrochenen „dynamischen Zeiten“.

In Zeiten derartiger Wandlungsprozesse ist es nicht verwunderlich, daß die Zeitschrift Der Monat, 1948 mit eindeutiger antikommunistischer Zielsetzung gegründet, klären will, wie „Leute von links“, aber auch ihre konservativen Gegner ticken. Der Ausdruck „rechts“ gilt damals schon als emotional belastet, weshalb ihn die Redaktion vermeidet. Prominente Persönlichkeiten nehmen zur Frage „Was ist heute eigentlich konservativ?“ Stellung: Armin Mohler, Dietrich Schwarzkopf, Golo Mann, Hans-Joachim von Merkatz, Caspar von Schrenck-Notzing, Klaus Harpprecht, Eugen Gerstenmaier, Hans Zehrer und Peter Dürrenmatt. Ein Widerstandskämpfer ist ebenso vertreten wie ein Emigrant und ein als „belastet“ eingestufter Autor.

Der Schweizer Publizist Armin Mohler übernimmt die Ouvertüre im April-Heft. Den in den 1950er Jahren vorherrschenden „Gärtner-Konservatismus“, der nur noch sein eigenes ideengeschichtliches Erbe als zartes Pflänzchen pflegt und begießt, aber nicht mehr aktuelle Grundsatzfragen stellt wie einst die Protagonisten der Konservativen Revolution, sieht er als Ergebnis der Kompromittierung dieser Strömung im Nationalsozialismus. Bloße Ideologie-feindschaft reicht ihm nicht aus. Hellsichtig konstatiert der zeitweilige Sekretär Ernst Jüngers die „Moralisierung der Politik“ als bundesdeutsches Haupt- und Dauerproblem. Mohler kommt am Ende seines Beitrages zu dem Resultat, daß „Wunschdenken“ nichts helfe, sondern „von dem ausgegangen werden“ müsse, „was ist“.

Den Kontrapunkt dazu setzt Golo Mann. Nach dem Redakteur Dietrich Schwarzkopf, der in seiner Antwort die Sorge um die Freiheit aus konservativer Perspektive in den Mittelpunkt stellt und sogar das Pétain-Motto „Arbeit, Familie, Vaterland“ goutiert, distanziert sich der Sohn des Nobelpreisträgers von einigen Traditionen des Konservatismus, der häufig das gestützt habe, was längst untergegangen sei. Als Historiker will er wissen, was der Natur des Menschen entspricht. Ein Kernprinzip ist für ihn die Kenntnis menschlicher Fehlbarkeit. Aus seiner Vorliebe für die Linie des liberalen Konservatismus, der von Burke, Tocqueville, Lord Acton und anderen repräsentiert wird, macht Mann keinen Hehl.

Auch die übrigen Beiträge lohnen, erneut gelesen zu werden. Der DP-, dann CDU-Politiker sowie Bundesminister Hans-Joachim Merkatz insistiert (trotz der Mohlerschen Ironisierung) auf die Ideologie-Gegnerschaft als jenes Element, das dem Konservatismus einen „zeitüberlegenen Gehalt“ verschaffe. Der spätere Criticón-Gründer Caspar von Schrenck-Notzing sieht den Grundzug konservativen Denkens in der „Sachgerechtigkeit“. Der Journalist Klaus Harpprecht, in späteren Jahren Herausgeber der Zeitschrift, benennt etliche Aufgaben für den Widerstand gegen destruktive Modernität, etwa gegen die „One World“. Er ringt sich zu einer großangelegten „Verteidigung des Altmodischen“ durch.

Der damalige Bundestagspräsident Eugen Gerstenmaier, der schon in den fünfziger Jahren Kritik an seiner Definition der CDU als konservative Partei geerntet hat, äußert sich aus explizit christlicher Sicht. Er bezieht sich auf die „Einheit der Person (...) in ihren legitimen Ordnungen und ihrem geschichtlichen Zusammenhang“. Der ehemalige Tat-Redakteur und seinerzeitige Welt-Mitarbeiter Hans Zehrer verdeutlicht in seinem Schreiben an die Zeitschrift, daß es dem Konservativen stets um die „Begründung der menschlichen Existenz“ und um die „Bestätigung der Person“ gehen müsse. Zum Abschluß der Diskussion fordert der Chefredakteur der Basler Nachrichten, Peter Dürrenmatt, Konservative zu Gegenläufigkeit, Widerstand und Aushalten auf, weiterhin zu einem Einsatz für ein Europa der Vielfalt.

Nach fünfzig Jahren ist von den Teilnehmern nur noch Harpprecht am Leben. Was bleibt von der lebendigen Kontroverse in einem lange eingegangenen Periodikum? Etliche Argumente sind nach wie vor aktuell. Dazu zählt die Ablehnung einer exzessiven „Moralisierung der Politik“, die mittlerweile längst in einen „Kult der Schuld“ (Heinz Nawratil) übergegangen ist, ebenso wie die Kritik an einem zentralistischen Europa. Manches, was sich seinerzeit vorsichtig abzeichnet, erreicht erst Jahrzehnte nach dem Disput seinen Höhepunkt. Die Qualität der Beiträge ist von späteren Versuchen, die Frage „Was heißt heute konservativ“ zu beantworten, nicht übertroffen worden; und das hinterläßt in der Retrospektive schon einen Beigeschmack von ein wenig Wehmut.

Foto: Hans Zehrer, Armin Mohler, Caspar von Schrenck-Notzing (v.l.n.r.): Debatten in der Dauerdefensive

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