© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  21/12 18. Mai 2012

„Da schlug mir echt der Haß entgegen“
Der Rapper Oliver Harris sorgte mit seiner Kritik an integrationsunwilligen Einwanderern und seinem patriotischen Bekenntnis zu Deutschland für Furore. Schließlich scha te er es sogar bis ins Bundeskanzleramt.
Moritz Schwarz

Harris, du bist vor uns gewarnt worden?

Harris: Unbedingt.

Moment, du bist der große böse Rapper.

Harris: Aber ihr seid die mit dem schlechten Image. Um ehrlich zu sein, ich kannte euch gar nicht. Deshalb habe ich mich erst mal schlau gemacht, zum Beispiel gegoogelt und ein paar Leute gefragt, wer euch kennt und ob ich euch ein Interview geben soll.

Und?

Harris: Alle sagten: Auf gar keinen Fall!

Warum sitzt du trotzdem hier?

Harris: Gerade dann mach ich’s doch!

Du willst es offenbar wissen.

Harris: Mir hat ehrlich gesagt gefallen, daß ihr keine Angst habt, zu sagen, was ihr denkt. Und auch, daß jeder vor euch warnt – das hat meine Neugier geweckt.

Neugier ist der Katze Verhängnis.

Harris: Ja, und genug Leute werden versuchen, mich dafür zu zerfetzen.

Das schreckt dich nicht?

Harris: Mir wurde klar: Für dieses Interview braucht es Mut. Ja, ich will’s wissen.

In einem Interview mit dem „Musikexpress“ hast du mal gesagt: „Es regt mich auf, daß man in Deutschland immer aufpassen muß, was man sagt.“

Harris: Genau! Das ist auch der Grund, warum ich dieses Interview gebe, weil ich Grenzen aufbrechen will! Ich bin wohl auch der einzige dunkelhäutige deutsche Rapper, der öffentlich bekannt gemacht hat, daß er mal in Israel war – obwohl ich viele palästinensische Freunde habe. So, und jetzt twittere ich erst mal, daß ich gerade ein Interview mit der JUNGEN FREIHEIT mache, mal sehen was passiert.

Du trägst eine dicke „Deutschland“-Tätowierung auf der Brust, hattest bis vor kurzem in Berlin eine eigene Radiosendung namens „Der Patriot“ – im Logo der deutsche Adler. Eigentlich hättest du dafür schon fällig sein müssen.

Harris: Was meinst du, was ich zu hören bekommen habe: „Spinnst du?“ „Wie kann man so was machen!“ Obendrein haben wir ja nur Deutsch-Rap aufgelegt, keine englischen Texte! Im Gegenteil: Englisch wurde unter Strafe gestellt – wer es benutzt hat, bekam die „Englisch-Schelle“. Also hieß es statt „DJ“, Plattendreher und statt okay, „i.O.“ etc. Für einige war das alles schon zuviel, aber es war ein Versuch – und es war kühl.

Inwiefern?

Harris: Natürlich war es auch ein Joke – oh, Englisch-Schelle: Klatsch! – aber wir wollten mal zeigen, wie viele komische Worte wir im Alltag so untermischen unter unsere schöne deutsche Sprache. Ganz ehrlich, mach ich mir auch Sorgen, wenn etwa nicht mal mehr die Nachrichtensprecher noch die richtigen Artikel benutzen. Dabei bin ich noch harmlos: Meine Frau rauft sich manchmal richtiggehend die Haare, wenn sie so was im Fernsehen sieht, und die ist Deutsch-Afrikanerin. Wie kann es nur sein, daß die meisten Deutschen, die beanspruchen, deutscher zu sein als ich, nicht kümmert, was mit ihrer Sprache geschieht?

Richtig rund ging es bei dir allerdings, als dein Lied „Nur ein Augenblick“ rauskam.

Harris: Alter, da schlug mir dann echt der Haß entgegen, kraß! Doch der Zuspruch überwog, definitiv!

In dem Stück kritisierst du drastisch integrationsunwillige Einwanderer und verteidigst Deutschland: „Wieso wohnst du hier über zehn Jahre? / Vielleicht länger und sprichst trotzdem nicht die deutsche Sprache? / Du sagst, Deutsche sind scheiße, deutsche Frauen sind Dreck / Tu Deutschland bitte einen Gefallen und zieh weg“.

Harris: Ja, dabei schreibe ich eigentlich keine politischen Songs. Jeder in der Szene weiß, daß ich ein Rapper bin, der sonst über Partythematik reimt.

In einem Interview schilderst du, wie es zu dem Lied kam: „Ich fragte meine Frau über was ich als nächstes schreiben soll. Sie meinte: ‘Nimm doch Dein Lieblingsthema.’ Ich dachte: ‘Ja, geil, Deutschland!’“

Harris: Und dann sah ich im Fernsehen zufällig eine junge Deutsche, die zum Türsteher einer Disko sagte: „Scheiß Deutscher, verpiß dich!“ Mal abgesehen davon, daß der Typ sich am Ende als Russe oder so was herausstellte, hat mich das aufgeregt: Schon hab ich losgelegt.

In dem Stück heißt es: „Ich glaube, manche wissen gar nicht, wie gut sie es hier haben / Ich denke mal, da wo du herkommst, hast du gar nichts zu sagen / Schäm dich, über Deutschland so schlecht zu reden / Wenn du genau drüber nachdenkst, ist es schön in Deutschland zu leben“.

Harris: Ja, ist doch einfach: Gefällt mir eine Party nicht, die Drinks sind zu teuer, Musik ist schlecht etc., bin ich selbst schuld, wenn ich bleibe. Wem’s also in Deutschland nicht gefällt, sollte überlegen, ob er nicht gehen will.

Gefällt es den meisten Einwanderern nicht?

Harris: Ach, die haben bloß nicht das Selbstbewußtsein zuzugeben, daß Deutschland cool ist.

Warum?

Harris: Weil ihr Umfeld sagt, Deutschland sei scheiße und alle Deutschen Muslime hassen – der Spruch kommt ganz oft! Ich wende ein: „Wie? Hier gibt’s doch etwa jede Menge Moscheen!“ Natürlich, es stimmt, es gibt andererseits auch diesen Alltagsrassismus, zum Beispiel wenn an der Tanke neben mir ein großer blonder Typ wie du steht und besser bedient wird als der schwarze Mann. Und so was macht es dann auch wiederum leicht, an den Haß auf Deutschland zu glauben.

„Du bist jung, schwarze Haare, braune Augen, dunkle Haut / Glaube mir, ich kenn diese scheiß Blicke auch / Dieser bestimmte ‘Du-scheiß-Kanacke-Blick’“, singst du.

Harris: Ja, doch der Text geht weiter: „Aber das ist nicht Deutschland, das ist nur ein Augenblick“ – Deshalb habe ich das ganze Lied so genannt: Weil das verdammt noch mal nicht Deutschland ist, sondern nur ein Augenblick! Dann soll mich der Tankwart doch scheiße finden. Scheiß auf den Tankwart! Scheiß auf seine Tanke! Dann geh ich da einfach nicht mehr hin. Es gibt genug andere Tanken.

Was willst du? Gerechtigkeit für Deutschland?

Harris: Das würde dir so passen, wenn ich den Spruch jetzt übernehme, was? Aber den Gefallen tu ich dir nicht. Nein, ich möchte, daß die Leute endlich begreifen, daß das ein gutes Land ist! Die Leute machen eine schlechte Erfahrung, aber sie machen nicht die Beteiligten oder die Situation dafür verantwortlich, sondern Deutschland – das ist Quatsch.

Das Lied ist an die Adresse von Einwanderern geschrieben. Das Mädchen, das dich dazu angeregt hat, war aber eine Deutsche.

Harris: Richtig, und das Lied richtet sich keineswegs nur an Einwanderer. Es stimmt, Deutsche schimpfen genauso auf Deutschland: Wenn irgendwas nicht funktioniert, man seinen Hartz-IV-Antrag vielleicht zu spät abgegeben hat und nicht bewilligt bekommt, dann ist Deutschland schuld: „Scheiß Amt, scheiß Land, ich verpiß mich!“ Aber man sieht dann ja in „Goodbye, Deutschland“ und solchen Fernsehsendungen: Meist schnallen diese Auswanderer ziemlich schnell, wie gut sie es doch in Deutschland hatten.

Bei dir war das auch so.

Harris: Stimmt: Ich war mit siebzehn für ein Jahr in Jamaika. Vorher dachte ich: „Ich komme aus Kreuzberg, ich komme aus dem Ghetto.“ In Jamaika habe ich dann erlebt, was ein echtes Ghetto ist! Leute, die in Hütten ohne Dach leben: Vier nackte Wände und sonst gar nichts! Die besaßen nur einen großen Kochtopf, in dem sie nicht nur kochen, sondern auch Wäsche waschen und baden! Und ich sage dir, wenn du dich in der Hauptstadt Kingston nachts traust, einfach nur auf die Straße zu gehen, bekommst du einen völlig neuen Blick darauf, in welchem Komfort wir leben, und welch sozial ausgelegtes System, Deutschland zu bieten hat. Ein System in dem jeder eine Chance hat, es zu schaffen, egal aus welchem Elternhaus er kommt, während es in anderen Teilen der Welt kaum Unterstützung vom Staat gibt. Da schwimmst du entweder oben oder bist ein Fall für die Straße.

In „Nur ein Augenblick“ heißt es auch: „Du hast Glück, bist jetzt hier, also benimm dich ...Wenn du nicht weißt, wo der Flughafen ist – ich bring dich“. Du drohst mit Abschiebung? Das traut sich heute nicht mal mehr die CDU.

Harris: Nein, das legst du mir jetzt in den Mund. Das ist ein Angebot an alle, die ständig meckern. Vielleicht bringt sie das mal zum Nachdenken.

Viele deiner Kritiker hat das vor allem auf die Palme gebracht.

Harris: Ja, übrigens die linken deutschen Kritiker mehr als die migrantischen.

Linke Deutsche haben also ein noch größeres Integrationsproblem als Einwanderer?

Harris: Sieht ganz so aus. Ich weiß nicht, warum so viele Deutsche, vor allem eben Linke, so ein Problem mit Deutschland haben? Ich versteh’s einfach nicht! Vermutlich hat es mit der Geschichte zu tun. Ich erinnere mich an eine Journalistin, die mich wegen „Nur ein Augenblick“ empört anrief. Bis dahin hatte ich viel Respekt vor ihr, aber da merkte ich: Sie kann gar nicht begründen, was an dem Lied falsch sein soll, sie ist einfach nur empört. Ihr einziges Argument war der Vorwurf: „Wie kannst du so was machen?“ Ich fragte: „Was meinst du?“ Sie: „Ein so prodeutsches Lied!“ Aha, prodeutsch zu sein, das reicht also schon.

Rassismus gegen Deutsche?

Harris: Ich würde das nicht Rassismus nennen, aber wenn man in Deutschland pro Deutschland redet, bekommt man Probleme – merkt eigentlich keiner, wie absurd das ist? Ein Freund von mir meint auch, das habe historische Gründe und müsse sich eben langsam auswachsen. Aber ich habe keine Lust, mein Leben lang zu warten, bis sich Deutschland normalisiert hat. Ich lebe jetzt, ich bin nicht verantwortlich für das, was damals Schlimmes passiert ist. Und ich sehe deshalb nicht ein, jetzt den Mund halten zu müssen, warum?

Das hast du schön gesagt: Willkommen bei der JUNGEN FREIHEIT!

Harris: Das ist mir scheißegal.

Mit „Nur ein Augenblick“ hast du es als Vorzeige-Integrations-Ausländer sogar zu einer Einladung ins Bundeskanzleramt und in den Deutschen Bundestag geschafft. Der Wochenzeitung „Die Zeit“ hast du aber anschließend gesagt: „Diese Politiker haben nicht gerafft, daß ich das Lied nicht als Ausländer, sondern als Deutscher geschrieben habe!“

Harris: Stimmt, spätestens als ich mal vorübergehend zu meinem Vater in die USA gezogen bin, habe ich gemerkt: Ich bin kein Amerikaner, ich bin Deutscher!

Mit diesem Bekenntnis endet auch dein Lied: „Deutschland ist großzügig und hat ’n großes Herz ... / Sei stolz auf deine Wurzeln, Brust raus und geradegehen ... / Ich weiß, es klingt verrückt, ich bin stolz, Deutscher zu sein / bin Patriot und hab ’ne gesunde Portion Nationalbewußtsein“.

Harris: Na klar! Jetzt ist ja bald wieder Europameisterschaft, und dann wird alles voller deutscher Fahnen sein, weil das die einzige Möglichkeit für die Deutschen ist, ungestraft ihr Nationalbewußtsein zu leben. Das zeigt, die Leute wollen es eigentlich. Ich formuliere also nur, was ihr euch sonst nicht zu sagen traut!

Wer verbietet es uns denn?

Harris: Ihr, ihr Medien! Ihr erzeugt doch diesen Gruppenzwang, daß sich keiner unbefangen zu Deutschland bekennen kann. Denn sonst sorgt ihr dafür, daß seine Karriere vorbei ist!

„Würde Peter Fox so reden wie ich, wäre er weg vom Fenster“, hast du gesagt.

Harris: Auf jeden Fall. Einer wie du, blond und blauäugig, kann so was nicht sagen, sonst ist er „der Nazi“. Heute hat alles, was dem deutschen Standardbild entspricht, Schiß, zum Thema Deutschland ehrlich den Mund aufzumachen. Und deshalb ist es an Leuten wie mir, das zu tun. Denn was ihr nicht kapiert habt, ist daß es ein neues Deutschland gibt, mit neuen Deutschen wie mir, die sich das nicht mehr gefallen lassen.

Und was sagt inzwischen Twitter?

Harris: Mal sehen ... einer schreibt: „Fuck, das sind Rechte!“, ein anderer: „Würd’ ich nicht machen!“ und noch einer: „Nicht austricksen lassen!“ Aber einer auch: „Gute Aktion!“

 

Oliver Harris, wurde als Sohn einer deutschen Mutter und eines amerikanischen Vaters 1977 in Berlin-Kreuzberg geboren. Der Rapper, unter seinem Geburtsnamen Harris bekannt, gründete verschiedene Musikprojekte wie Spezializtz, GBZ Babbasoundz und gemeinsam mit Sido „Deine Lieblingsrapper“. Mit Johannes Heesters drehte er ein Musikvideo.

2001 spielte Harris eine Hauptrolle in der ARD-Tatort-Folge „Fette Krieger“, 2009 trat er im Kinofilm „Kopf oder Zahl“ auf. Zeitweilig moderierte er eine eigene Radio- und eine Fernsehsendung. 2010 unterstützte er die Kampagne „Ich spreche deutsch“ (siehe rechts) der Deutschlandstiftung Integration des Verbands der deutschen Zeitungsverleger. Im gleichen Jahr veröffentlichte er sein umstrittenes Lied „Nur ein Augenblick“ und wurde im Bundeskanzleramt mit dem Titel „Botschafter für Integration“ geehrt. Harris ist mit der in Magdeburg geborenen Pop- und Soulsängerin Bintia Bangura verheiratet, mit der er drei Kinder hat.

www.daistharry.de

Foto: Rapper Harris: „Ich bin vor einem Interview mit euch gewarnt worden. Alle sagten, mit der JUNGEN FREIHEIT? Mach das auf keinen Fall! Mir wurde klar, für dieses Interview braucht es Mut.“

 

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