© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  21/12 18. Mai 2012

Die Abwahl des Euro
Billionenpoker: Der Protest der Völker zwingt zur Umkehr / Rückkehr zu nationalen Währungen
Wilhelm Hankel

Die Franzosen wählten nicht Angela Merkels Wunschpartner Nicolas Sarkozy, sondern den Sozialisten François Hollande zu ihrem neuen Staatspräsidenten. Die Griechen stimmten zu zwei Dritteln für rechte und linke Parteien, die das Spardiktat von EU und Internationalem Währungsfonds (IWF) rundweg ablehnen. Der Ausgang dieser Wahlen (JF 20/12) macht auch dem letzten Euro-Retter klar: So wie bisher geplant läßt sich die Gemeinschaftswährung nicht mehr retten.

Was nützen ein billionenschwerer Europäischer Stabilisierungsmechanismus (ESM), eine 1,1 Billionen-Kreditlinie für europäische Banken bei der Europäischen Zentralbank (EZB) und weitere etwa 800 Milliarden Euro Überbrückungshilfen (Target2-Kredite, JF 18/12) der Bundesbank an ihre notleidenden Zentralbankschwestern in den Euro-Krisenländern, wenn die einen (Griechen) ab sofort nicht mehr sparen und die anderen (Franzosen) bei der Sanierung (dem Fiskalpakt) partout nicht mehr mitmachen wollen.

Die klaren Wählervoten machen die alten stereotypen Beschwichtigungsformeln der Eurokraten zu Makulatur. Wenn jetzt die einen „Wachstum“ wollen, die anderen an „Schuldentilgung“ und „Haushaltskonsolidierung“ festhalten, gibt es nichts „nachzuverhandeln“. Wenn die griechische Parlamentsmehrheit weiteres „Kaputtsparen“ ablehnt, kann man ihr nicht „etwas mehr Nicht-sparen“ (oder weniger Selbstverstümmelung) schmackhaft machen – sowenig wie man Frankreich zumuten kann, sich bei der Euro-Rettung selber als „Grande Nation zweiter Klasse“ einzustufen.

Die Bundeskanzlerin und ihr Finanzminister Wolfgang Schäuble mögen noch so wendig sein im Segelstreichen und rechtzeitigem Kurswechsel. Doch wenn sie die Forderung nach „Staatsschuldengrenzen“ über Nacht fallenlassen, dann bringt sie das nicht nur um ihre Regierungskoalition, sondern auch um ihre Wiederwahl bei der Bundestagswahl – und das wissen sie. Die Zeit ist reif, es in Sachen EU-Politik und Integration einmal mit der ökonomischen Vernunft zu versuchen.

Der Billionen-Rausch des ESM (JF 13/12) läßt Bürger und Steuerzahler blaß werden, die Finanzmärkte läßt der sogenannte Euro-Rettungsfonds kalt. Sie wissen: Gerade sein aufgepumptes Volumen (an Bilanz, geplanten Garantien, nicht eingezahltem Eigenkapital) macht ihn verdächtig. Ein solches „Superding“ (größer als EZB, Bundesbank und Deutsche Bank zusammen genommen) kann nur entweder seine Träger (die Euro-Staaten) ruinieren oder sich selbst. Schon der ESM-Vorgänger, die Europäische Finanzstabilisierungsfazilität (EFSF) zeigt, daß auch dieser Rettungsfonds gezwungen ist, seine Langfristkredite (über eine Dekade und länger) mit wesentlich kürzer laufenden Anleihen zu finanzieren: Dieser Verstoß gegen die „Goldene Bankregel“ (Prinzip der Fristenkongruenz) bringt das Finanzieren à la Lehman Brothers & Co. nach Europa!

EZB und Bundesbank haben als Zentralbanken völlig vergessen, daß sich Geldmenge und Geldmengenpotential nach der realen Leistung der ihnen anvertrauten Volkswirtschaften zu richten haben – in keinem Fall aber nach dem Geldbedarf von (noch dazu unseriös regierten) Staaten und der bei ihnen verzockten Banken. Der Geldbedarf der Wirtschaft war in dieser Krise (wie in jeder) mäßig. Gleichwohl haben EZB und Bundesbank ihr Bilanzvolumen mehr als verdoppelt. Die Bundesbank hat mit ihren großzügigen Target2-Krediten ein gutes Fünftel des deutschen Bruttoinlandsprodukts (BIP) ins Ausland transferiert!

Es ist ein schwacher Trost, daß die daraus resultierenden Verluste an Volksvermögen am wenigsten den deutschen Sparer treffen (er unterhält dort keine Einlagen), sondern „nur“ den Finanzminister. Fette Einnahmen aus Bundesbank-Gewinnen wird Schäuble wohl sobald nicht mehr sehen. Verantwortungsvolle, auf Geldwertstabilität und Vermögenserhalt gerichtete Politik sieht anders aus! Und wie geht es weiter? Das Euro-Abenteuer sollte nicht „von selbst“ zu Ende gehen – das macht es noch einmal so teuer.

Es muß jetzt überlegt beendet werden. Dafür gibt es realistischerweise nur den einen Weg: Zurück zu den nationalen Währungen der Vor-Euro-Zeit. Die Völker haben ihren Regierungen an der Urne bestätigt, daß sie besser wissen, wo ihr Wohlergehen liegt und wo die Zukunft ihrer Kinder sicher aufgehoben ist: in ihren Staaten, in denen sie arbeiten und für ihre Gemeinschaftsaufgaben auch ihre Steuern erbringen. Die Lösung liegt nicht in einem nebulösen Europa der Funktionäre, Bürokraten und Illusionisten, das sie verführt hat, diese Steuern durch Kredite zu ersetzen, und das sie nun mit diesen Schulden sitzen läßt, ohne zu wissen, wie man sie sozialverträglich tilgt.

Und der Euro? Er könnte in einem neuen europäischen Währungs- und Wechselkursverbund nach dem Muster des alten Europäischen Währungssystems (EWS) fortleben, als ein „zweiter Ecu“ (Rechnungseinheit aus Währungskorb der EU-Länder, JF 33/11) – und als Erinnerungsposten an den nicht mehr wiederholbaren Jugendstreich eines sehr alten Kontinents, der darüber um ein Haar seine Zukunft verspielt hätte.

 

Prof. Dr. Wilhelm Hankel war Leiter der Währungsabteilung des Wirtschaftsministeriums und Chef der Bank- und Versicherungsaufsicht. Er klagte mit Fachkollegen vor dem Bundesverfassungsgericht gegen die Griechenlandhilfe und den Euro-Rettungsschirm.

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