© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  21/12 18. Mai 2012

CD: Goethe
Lied wird zu Gesang
Sebastian Hennig

Wer hat nicht alles Goethes Gedichte vertont. Handelt es sich doch um Lieder und Balladen, denen das Singbare innewohnt. Goethe ist zum Gesangslehrer der Komponisten seiner Zeit geworden. Die von ihm selbst geordnete Gedichtsammlung beginnt mit der Abteilung „Lieder“ und trägt das Motto: „Spät erklingt was früh erklang, Glück und Unglück wird Gesang.“

So essentiell ihm diese Ausdrucksform war, so eifersüchtig bewahrte er diese erstgeborenen Kinder vor unangemessener Kostümierung. Der Dichtung ursprüngliche Kraft wurde oft mit der künstlerischen Eigenart genialer Tonsetzer zu neuen Kunstbildungen verschmolzen. Goethe stand solcher Okkupation zumeist eigensinnig und verärgert gegenüber. Seinem Verständnis nach handelte es sich um fertige Lieder eines Dichtersängers, die hier mit einem, oft zur Grundrichtung des Gedichtes gegenläufigen, Musikdrama unterlegt wurden. So geschehen durch Franz Schubert, Beethoven und später noch Robert Schumann und Hugo Wolf.

In seinen letzten Jahren zog sich Goethe immer wieder in die böhmischen Badeorte zurück. Dort fühlte er sich gelenkiger und erfrischt. Während eines solchen Aufenthaltes in Eger kam es am 7. August 1822 zu einem Konzert im Haus des Advokaten Frank. Am Pianoforte saß Johann Wenzel Tomaschek (1774–1850) und begleitete aus dem Gedächtnis seine Vertonung der Goethe-Verse, die er dabei aus einem Gedichtbuch ablas, ganz als fände er die Musik in den gedruckten Zeilen. Spontanes überschwengliches Lob erntete er vom Dichter, der nach dem Vortrag von „Mignons Sehnsucht“ auf die glückliche Behandlung dieser Gestalt hinwies und die Bemühungen von Spohr und Beethoven tadelte.

Die Nachdenklichkeit des seltsamen Wesens kommt in dem Lied zum Ausdruck. Das Lied schmilzt nicht dahin, wenn vom „ersten Verlust“ der holden Zeit der ersten Liebe gesungen wird. Die musikalische Fassung des gedichteten Lieds öffnet das Wort und schwemmt es nicht inbrünstig aus der metrischen Form in die Uferlosigkeit schmerzlicher Gefühlsinnigkeit. Goethe, der die romantische Klaviatur wohl kannte und beherrschte, weicht ihr aus Haltungsgründen und aus künstlerischem Kalkül aus. Er erkennt die verwandte Bewegung in dem tschechischen Musiker. Tomaschek zielt auf die Liedgedichte, die er voller Gefühl für das Angemessene in Klänge hüllt, während die ganz großen Ton-Künstler durch die Vertonungen ihre eigene Transformation in künstlerische Existenzen des goethischen Typus vollzogen.

Ildikó Raimondi trägt 22 der Vertonungen vor und wird dabei von Leopold Hager am Klavier begleitet. Sie gehört dem Sänger-Ensemble der Wiener Staatsoper an und hat innerhalb der Schriftenreihe der österreichischen Goethe-Gesellschaft alle 41 Goethe-Lieder von Johann Wenzel Tomaschek herausgegeben. Die Platte klingt unbefangen aus mit „Rastlose Liebe“. Ohne Wiederholungen kurz und wild dahinpreschend, wird dieser Ausbruch ganz wörtlich genommen, ohne komplizierte Überfrachtung. „Dem Schnee, dem Regen, dem Wind entgegen…“ Hier wird das Gesicht der Welt entgegengehalten, ohne von Gedankenblasen umwölkt zu sein. Nachdenklichkeit ist Privatsache, Kunst ist Scheidung, ist Klarheit.

Tomaschek: 22 Goethe-Lieder Paladino 2011 www.paladino.de

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