© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  21/12 18. Mai 2012

Die Aussichtslosigkeit des Unterfangens
Wie die verantwortlichen Historiker der Kommission zur Aufarbeitung der Geschichte des Auswärtigen Amtes in der NS-Zeit ihre Fehlleistungen begründen
Stefan Scheil

Selten stand Prominenz des tendenzschreibenden Historikermilieus so blamiert da wie auf jener Pressekonferenz, auf der die von Minister Joschka Fischer eingesetzte Historikerkommission ihre Ergebnisse über die angebliche NS-Verstrickung des bundesdeutschen Auswärtigen Amtes vorstellen wollte. Die Historiker Eckart Conze, Moshe Zimmermann, Peter Hayes und Norbert Frei drückten bei der Buchvorstellung gerade die üblichen Knöpfe. Man sprach von verkappten NS-Seilschaften im Amt, lobte die eigene Arbeit, erweckte einen kompetenten Eindruck dank der Masse von fast neunhundert Druckseiten Bericht und schimpfte über die Mitarbeiter des ministerialen politischen Archivs, die angeblich die Recherche behindert hätten. Da erhob sich vor der versammelten Hauptstadtpresse doch glatt ein Mitarbeiter dieses Archivs und stellte die wahrhaft sardonische Frage, ob das „an dem einen Tag“ gewesen sei, den die Kommissionsmitglieder überhaupt nur im Archiv verbracht hatten.

Das saß. Damit war öffentlich, was sonst vor lauter Gerede nie zur Sprache gekommen wäre. Der umfangreiche Band über „Das Amt“ zitierte zwar eifrig Archivsigel, aber nur solche, die der Sekundärliteratur schon länger entnommen werden konnten. Gerade die schlagzeilenträchtigsten „Ergebnisse“ des Jahres 2010 kannte man seit mehr als einem halben Jahrhundert. Archiv-arbeit war für den Text nicht nötig gewesen, sie war, wenn überhaupt, auch nicht von den Kommissionsmitgliedern geleistet worden, sondern von freien Mitarbeitern. Obendrein war der Text ebenfalls nicht von den vier Kommissionsmitgliedern geschrieben worden, sondern von eben diesen Mitarbeitern. Und zu allem Überfluß enthielt er nicht nur nichts Neues, sondern zwischen seinen großen Lücken außerdem noch Falsches.

Die Sache machte Schlagzeilen und die Kommissionsmitglieder mußten hinnehmen, daß der Archivmitarbeiter des Amtes für seine Frage mit einem Preis für Zivilcourage ausgezeichnet wurde. Zudem ließ das Politische Archiv eine Umfrage unter den wirklichen Benutzern durchführen, die sich mit Transparenz und Service überwiegend zufrieden zeigten. Beides hat die Kommissionsmitglieder offenkundig derart geärgert, daß sie nach mehr als eineinhalb Jahren nun eigens eine Erklärung für „den einen Tag“ zu liefern versuchen, die sie nach ihrer Ansicht in besserem Licht erscheinen lassen soll.

In einem gemeinsamen, fast ganzseitigen Beitrag vom 6. Mai („Panzerschrank der Schande“) für das Feuilleton der FAZ ziehen Conze und Co. erneut die bekannten Register. Das Auswärtige Amt hätte NS-Vergangenheiten vertuscht oder „verharmlost“ – hier wird Ex-Bundespräsident Walter Scheel namentlich genannt – und sei überhaupt ein einziger Sumpf „gezielter Desinformation“.

Der kritisch fragende Mitarbeiter sei seinerzeit von den finsteren Mächten im Archiv nur „vorgeschickt“ worden. Eigene Archivarbeit hätten sie nie vorgesehen, räumen die Kommissionsmitglieder jetzt ein, nachdem es ohnehin allgemein bekannt ist. Die Geschichte, warum sie dennoch letztlich den berüchtigten einen Tag anwesend waren, wird folgerichtig ebenfalls zu einer Verschwörungsgeschichte.

Den „Panzerschrank der Schande“ mit unerschlossenem Archivmaterial, als Vertrauenssache gestempelt, hätte das Auswärtige Amt unterhalten. Das gibt es zwar in jedem Archiv jedes Außenministeriums der Welt, aber man kann gut versuchen, es zum Skandal hochzuschreiben. Im weiteren geht dann sogar aus der Darstellung der Kommissionsmitglieder hervor, daß das AA die Kommission schließlich selbst auf diesen Aktenbestand aufmerksam machte, aber auch dies wird negativ als „zu spät“ gewertet. Jedenfalls erhielten die Kommissionsmitglieder Conze und Frei Einsicht in diesen Aktenbestand. Sie standen also quasi vor dem Kernbestand der ganzen finsteren Verschwörung. Was geschah? Warum blieb es bei dem „einen Tag“? Die Antwort der Kommission: „Es zeigte sich sogleich die Aussichtslosigkeit des Unterfangens, aus einem riesigen Wust aus unzusammenhängendem und oft banalem VS-Schriftgut potentiell relevante Einzelakten zu identifizieren.“

So machte man denn den Deckel wieder zu und ging nach Hause. Kein Versuch wurde unternommen, mit den gewährten eineinhalb Millionen Euro Zuschuß des Auswärtigen Amtes unter Einsatz der vorhandenen Mitarbeiter diese unerschlossenen Bestände zu sichten. Als die Sache in Arbeit auszuarten drohte, ließ man die angebliche Verschwörung einfach Verschwörung sein, als bloße Behauptung.

Man darf den Kommissionsmitgliedern für die jetzt noch einmal ausführlich dokumentierte Selbstentlarvung in gewisser Weise dankbar sein. Der Bedarf nach echter, ergebnisoffener Erforschung der Geschichte des Auswärtigen Amts durch leistungsbereite Historiker konnte kaum deutlicher offengelegt werden. Das wird dann allerdings mehr als einen Tag dauern.

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