© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  22/12 25. Mai 2012

Nato-Gipfel in Chicago
Innerlich zerrissen
Günther Deschner

Mit 63 Jahren steht die Nato vor einem Wendepunkt. Seit dem Ende der sowjetischen Bedrohung muß das Bündnis dauernd neu erklären, wie es zukünftig strategische Relevanz behalten will. Schon die Einsätze auf dem Balkan und in Afghanistan haben gezeigt, daß Europa und Amerika nicht automatisch an einem Strang ziehen. Dazu kommt, daß sich der strategische Blick der Vereinigten Staaten zunehmend auf Asien richtet, weg von Europa. Die unterschiedlichen Interessen spiegeln die innere Zerrissenheit der Allianz wider.

Drei Themen spielten in Chicago eine Rolle: Afghanistan, Raketenabwehr und mehr Rüstungskooperation. Für Ärger sorgte das Ausscheren Frankreichs aus der Bündnissolidarität: Der frischgewählte Präsident Hollande will die Kampftruppen schon Ende 2012 aus Afghanistan heimholen; bald sind Parlamentswahlen. Der Gipfel stellte auch die Weichen für milliardenschwere Rüstungsprojekte. Da auch in den USA Geld knapp wird, werden die Europäer – vor allem die Deutschen – in Zukunft mehr zahlen müssen. Beim Raketenschutzschild gegen „Schurkenstaaten“ konnte die Nato eine erste Stufe der Einsatzbereitschaft melden – ein zweischneidiger Erfolg. Denn Rußland hatte erneut strikte Ablehnung verdeutlicht, weil es damit einen Eingriff in seine strategische Reaktionsfähigkeit befürchtet. Kein Wunder, daß Präsident Putin dem Gipfel fernblieb.

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